«Ja.«
«Da ist unsre Zahl zu klein, und wir konnen auch nicht durch den Spalt zuruck, weil man denselben bewachen wird.«
«So nehmen wir einen andern Weg und holen uns so viele Krieger, wie wir bedurfen. Liegen nicht ihrer genug druben im P'a-mow? Und fuhrt nicht weiter oben ein Weg quer durch den Canon, den die Bleichgesichter nicht zu kennen scheinen? Die Leichen und ihre Pferde bleiben hier und zwei von euch als Wachter dabei. Wir andern reiten nordwarts.«
Dieser Entschlu? wurde ausgefuhrt. Der Wald war zwar nur schmal, bildete aber einen stundenlangen Streifen, an welchem die Utahs im Galopp hinritten, bis die Hohe sich allmahlich niedersenkte nach einer Schlucht, welche quer durch die Felsen fuhrte. Durch diese Schlucht gelangte der» gro?e Wolf «in den Hauptcanon, in welchem die Wei?en sich befanden; freilich mundete die Schlucht wenigstens drei englische Meilen oberhalb der Lagerstelle. Gegenuber der ersteren schnitt ein enger Seitencanon in den Hauptcanon ein, doch war derselbe nicht ganz so schmal wie die Felsenspalte, in welcher heute das Zusammentreffen der Wei?en mit den Roten stattgefunden hatte. Dorthin wendete sich der» gro?e Wolf «mit seinen Leuten. Er schien den Weg sehr genau zu kennen, denn er irrte trotz der Dunkelheit nicht ein einziges Mal und fuhrte sein Pferd so sicher, als ob er sich auf einer breiten, deutschen Heerstra?e befande.
Der jetzige Canon hatte kein Wasser und stieg bergan. Bald erreichten die Roten die Scheitelhohe der weiten Felsenebene, in welche das vielverzweigte Netz der Canons tief eingeschnitten ist. Da war es hell; der Mond stand leuchtend am Himmel. Im Galopp ging es uber die Ebene, und nach einer halben Stunde fiel die Gegend in Gestalt eines breiten, sanften Einschnittes leise nieder. Rechts und links blieben die Felsen als schutzende Wande stehen, immer hoher werdend, je tiefer das Terrain sich senkte, und dann tauchten vorn uppige Wipfel auf, unter denen viele Feuer brannten. Es war ein Wald, ein wirklicher Wald, mitten auf oder in der von Sturmen glatt gefegten und von der Sonne ausgetrockneten und zu Stein gedorrten Ebene.
Dieser Wald verdankte sein Dasein einzig nur der Depression des Bodens. Die Sturme heulten daruber hin, ohne ihn zu treffen, und die Niederschlage konnten sich sammeln, um eine Art See zu bilden, dessen Wasser das Erdreich aufloste und fur die Wurzeln fruchtbar machte. Das war der P'a-mow, der Wald des Wassers, nach welchem der» gro?e Wolf «wollte.
Es hatte des Mondlichtes gar nicht bedurft, um sich hier zurechtfinden zu konnen, so zahlreich waren die Feuer, welche hier brannten. Da gab es ein reges Lagerleben, und zwar das Leben eines Kriegslagers. Man sah kein Zelt, keine Hutte. Die vielen roten Krieger, welche man erblickte, lagen an den Feuern entweder auf ihren Decken oder auf der blo?en Erde; dazwischen lagen oder standen und weideten ebenso viele Pferde. Das war der Ort, an welchem sich die Scharen der Utahs aller Stamme zum Kriegszuge zu versammeln hatten.
Als der» gro?e Wolf «bei dem ersten Feuer ankam, hielt er an, stieg ab, winkte seinen Leuten, hier zu warten und rief einem der am Feuer sitzenden den Namen» Nanap neav «zu. Diese beiden Worte bedeuten» alter Hauptling«. Es war also jedenfalls der Oberanfuhrer samtlicher Utahstamme gemeint. Der Angeredete erhob sich und fuhrte den» gro?en Wolf «nach dem See, an welchem ein gro?es, von den ubrigen abgesondertes Feuer brannte. An demselben sa?en vier Indianer, alle mit der Feder des Adlers geschmuckt. Einer derselben mu?te das Auge ganz besonders auf sich ziehen. Er hatte sein Gesicht nicht bemalt; es war von unzahligen tiefen Falten durchzogen. Sein Haar hing schlo?wei? und lang auf den Rucken herab. Dieser Mann war gewi? wenigstens achtzig Jahre alt, und doch sa? er so aufrecht, stolz und kraftig da, als waren es funfzig weniger. Er richtete das Auge scharf auf den Ankommenden, ohne aber ein Wort, einen Gru? zu sagen, auch die andern schwiegen. Der» gro?e Wolf «setzte sich stumm nieder und blickte vor sich hin. So verging eine ganze Weile; dann endlich erklang es aus dem Munde des Alten:»Der Baum wirft im Herbst die Blatter ab; wenn er sie aber vorher verliert, so taugt er nichts und soll umgehauen werden. Vor drei Tagen trug er sie noch. Wo sind sie heute hin?«
Diese Frage bezog sich auf die Adlerfedern, welche der» gro?e Wolf «nicht mehr trug; sie enthielt einen fur jeden tapfern Krieger niederschlagenden Vorwurf.
«Morgen wird der Schmuck wieder prangen, und am Gurtel die Skalpe von zehn und zwanzig Bleichgesichtern!«antwortete der» gro?e Wolf«.
«Ist der» gro?e Wolf «von Bleichgesichtern besiegt worden, da? er die Zeichen seiner Tapferkeit und Wurde nicht mehr tragen darf?«
«Von einem Bleichgesichte nur, aber von demjenigen, dessen Faust schwerer ist als die Hande von hundert wei?en Mannern.«
«Das konnte nur Old Shatterhand sein.«
«Er ist es.«
«Uff!«entfuhr es dem Alten, und» uff!«stimmten die andern ein. Dann fragte er. So hat der» gro?e Wolf «diesen beruhmten Wei?en gesehen?«
«Ihn und noch viele andre, Old Firehand, Winnetou, den langen und den dicken Jager, einen Trupp, wohl funfmal zehn Kopfe stark. Ich bin gekommen, Euch ihre Skalpe zu bringen.«
Der Indianer soll seine Gefuhle verbergen konnen; besonders wird dies von den Alten und Hauptlingen verlangt; aber das, was diese vier Anfuhrer jetzt horten, erschutterte ihre Selbstbeherrschung derart, da? sie in Ausrufungen der Freude, der Verwunderung und des Staunens ausbrachen. Das Gesicht des Alten nahm einen solchen Ausdruck der Spannung an, da? fast keine Falte mehr zu bemerken war.
«Der» gro?e Wolf «mag erzahlen!«forderte er den Genannten auf.
Dieser kam der Aufforderung nach. Sein Bericht war nicht mit der Wahrheit ubereinstimmend; er war bemuht, sich und sein Thun in ein gutes Licht zu stellen. Die andern sa?en regungslos und horten dem Erzahler mit gro?ter Aufmerksamkeit zu. Als er geendet hatte, fragte der Alteste der Hauptlinge:»Und was will der» gro?e Wolf «jetzt thun?«
«Du wirst mir noch funfzig Krieger geben, mit denen ich diese Hunde uberfalle. Ihre Skalpe mussen noch vor der Morgenrote an unsern Gurteln hangen.«
Die Falten des Alten kamen wieder zum Vorschein; seine Brauen zogen sich zusammen, und seine Adlernase schien doppelt so dunn und scharf zu werden.»Noch vor der Morgenrote?«fragte er.»Sind das Worte eines roten Kriegers? Die Bleichgesichter haben uns uberfallen, beraubt und unsre Manner getotet. Jetzt ziehen sie mit Macht heran, unser Blut zu vergie?en und rufen auch die Scharen der Navajos herbei. Sie haben es auf unsern Untergang abgesehen, und nun der gro?e Geist die Beruhmtesten und Vornehmsten von ihnen in unsre Hande gegeben hat, sollen sie schnell und schmerzlos sterben wie ein Kind im Arme der Mutter. Was sagen meine roten Bruder zu diesen Worten des» gro?en Wolfes«?«
«Die Wei?en mussen an den Marterpfahl, «antwortete der eine Hauptling.»Wir mussen sie lebendig fangen, «meinte der zweite.
«Je beruhmter sie sind, desto gro?er sollen ihre Qualen sein, «fugte der dritte hinzu.
«Meine Bruder haben gut gesprochen, «lobte der Alte.»Wir werden diese Hunde lebendig ergreifen.«
«Der alte Hauptling mag bedenken, welche Manner unter ihnen sind!«warnte der» gro?e Wolf«.»Old Shatterhand druckt den Kopf eines Buffels nieder, und Old Firehand ist nicht schwacher. In ihren Waffen stecken alle bosen Geister. Und Winnetou ist ein gro?er Krieger — «
«Aber ein Apache!«fiel der Alte zornig ein.»Gehoren die Navajos, welche gegen uns heranziehen, etwa nicht zu den Apachen? Er ist unser Todfeind und soll mehr gemartert werden als die Bleichgesichter. Ich wei?, welche Krafte und Geschicklichkeiten diesen beruhmten Bleichgesichtern gegeben sind, aber wir haben Krieger genug, sie zu erdrucken. Du hast das erste Recht zur Rache und sollst also der Anfuhrer sein. Ich gebe dir dreihundert Krieger mit, und du wirst mir die Bleichgesichter lebendig bringen.«
«Darf ich mir dann, wenn sie an den Marterpfahl gebunden werden, die Skalpe von Old Firehand, Old Shatterhand und Winnetou nehmen?«
«Sie gehoren dir, aber nur dann, wenn kein Wei?er vorher getotet wird. Der vorzeitige Tod eines jeden bringt uns um die Wonne, ihre Qualen sehen zu konnen. Du hast bereits funfzig Manner bei dir; da kommen auf jeden Wei?en sieben Rote. Wenn ihr euch gut anschleicht, so mu? es euch gelingen, sie zu umschlingen und zu binden, bevor sie recht erwachen. Nehmt genug Riemen mit! Jetzt komm; ich werde wahlen, wer dich begleiten soll. Die Zuruckbleibenden werden sich gramen; aber sie sollen dafur die vordersten an den Marterpfahlen sein.«
Sie standen auf und machten einen Rundgang von Feuer zu Feuer, um die Auserwahlten zu bestimmen. Bald waren dreihundert Mann beisammen und au?erdem noch funfzig zur Bewachung der Pferde, welche ja nicht ganz bis hin zu den Wei?en mitgenommen werden konnten. Der» gro?e Wolf «erklarte diesen Leuten, um was es
