«Eene Gefahr is es freilich, «antwortete Droll,»aber mer musse es wage. Vielleicht konne mer unsre Freunde rette.«
«Hier?«
«Ja. Falls der» gro?e Wolf «nich an unserm Lagerplatz bleibe will, wird er grad hierher komme.«
«Das ware famos!«
«Famos? Na, na, es kann uns das Lebe koste!«
«Das schadet nischt, wenn wir nur unsre Gefahrten retten. Jetzt kann es mir nich einfallen, umzukehren.«
«Recht so, Vetter; bist een tuchtiger Kerl. Aber List is besser als Gewalt. Also nur vorsichtig, nur vorsichtig!«
Sie schlichen weiter, bis sie stehen bleiben mu?ten, weil der Schein eines Feuers zu sehen war. Auch waren unbestimmte Tone, wie ferne Menschenstimmen, zu vernehmen. Der Wald schien sich nun mehr nach rechts auszubreiten. Sie folgten dieser Richtung und erblickten bald noch mehrere Feuer.
«Een gro?es, gro?es Lager, «flusterte Droll.»Das werde de Utahkrieger sein, welche sich zum Zuge gegen de Navajos versammle. Da sind jedenfalls viele hundert beisamme.«
«Schadet nischt. Wir mussen naher. Ich will wissen, was mit Old Shatterhand und den andern wird. Ich mu? —«
Er wurde unterbrochen, denn vor ihnen ertonte jetzt plotzlich ein viel-, vielstimmiges Geheul, nicht des Schmerzes oder der Wut, sondern des Jubels.
«Ach! Jetzt bringe se de Gefangene, «meinte Droll.»Der» gro?e Wolf «kommt von Nord, und wir komme von Sud. Nun musse mer unbedingt erfahre, was mer mit ihne anfange will.«
Bis jetzt waren sie in aufrechter Stellung vorwarts geschritten; jetzt mu?ten sie sich anschleichen. Sie legten sich also auf den Boden nieder und krochen weiter. Nach kurzer Zeit erreichten sie die himmelhoch scheinende Felsenwand, welche die ostliche Grenze des Waldes bildete. Ihr entlang schlichen sie sich weiter, indem sie sich nebeneinander hielten. Sie hatten jetzt die Feuer zu ihrer linken Hand und erblickten sehr bald den kleinen See, an dessen Ufer das Feuer der Hauptlinge brannte.»Een Teich oder een See!«meinte Droll.»Das habe ich geahnt. Wo Wald is, mu? ooch Wasser sein. Mer konne nich mehr weiter, weil das Wasser bis an den Felsen geht. Mer musse also wieder nach links nebber.«
Sie befanden sich am sudlichen Ende des Sees, an dessen westlichem Ufer das Feuer brannte, an welchem die Hauptlinge gesessen hatten. Sie krochen am Ufer hin, bis sie einen hohen Baum erreichten, dessen untere Aste man leicht mit den Handen erlangen konnte. Da wurde neue Nahrung in das erwahnte Feuer geworfen; die Flamme loderte hoch empor und beleuchtete die gefangenen Bleichgesichter, welche jetzt gebracht wurden.
«Jetzt musse mer genau offpasse, «sagte Droll.»Kannste klettere, Vetter?«
«Wie een Eechhornchen!«
«Dann roff off den Boom. Von da oben aus habe mer eene viel freiere und schonere Aussicht als hier unten.«
Sie schwangen sich hinauf und sa?en dann oben im Laube, so da? selbst der scharfaugigste Indianer sie nicht hatte bemerken konnen.
Die Gefangenen hatten laufen mussen; also waren sie an den Fu?en nicht gefesselt. Sie wurden an das Feuer gefuhrt, wo sich die Hauptlinge, der» gro?e Wolf «naturlich bei ihnen, wieder niedergelassen hatten. Dieser Indianer hatte die im Gurtel verborgenen Adlerfedern hervorgeholt und wieder in den Schopf gesteckt. Er war Sieger und durfte also sein Abzeichen wieder tragen. Sein Auge ruhte mit dem Ausdrucke eines hungrigen Panthers auf den Wei?en, doch sagte er jetzt noch nichts, da der alteste Hauptling das Recht besa?, zuerst das Wort zu ergreifen.
Der Blick Nanap neavs, des Alten, flog von einem Wei?en zum andern, bis er zuletzt an Winnetou halten blieb.
«Wer bist du?«fragte er ihn.»Hast du einen Namen, und wie hei?t der raudige Hund, den du deinen Vater nennst?«
Jedenfalls hatte er erwartet, da? der stolze Apache ihm gar nicht antworten werde; aber Winnetou sagte in ruhigem Tone:»Wer mich nicht kennt, ist ein blinder Wurm, der vom Schmutze lebt. Ich bin Winnetou, der Hauptling der Apachen.«
«Du bist kein Hauptling, kein Krieger, sondern das Aas einer toten Ratte!«verhohnte ihn der Alte.»Diese Bleichgesichter alle sollen den Tod der Ehre am Marterpfahle sterben; dich aber werden wir hier in das Wasser werfen, da? dich die Frosche und Krebse verzehren.«
«Nanap neav ist ein alter Mann. Er hat viele Sommer und Winter gesehen und gro?e Erfahrungen gemacht; aber dennoch scheint er noch nicht erfahren zu haben, da? Winnetou sich nicht ungeracht verhohnen la?t. Der Hauptling der Apachen ist bereit, alle Qualen zu leiden, aber beleidigen la?t er sich von einem Utah nicht.«
«Was willst du mir thun?«lachte der Alte auf.»Deine Glieder sind gebunden.«
«Nanap neav mag bedenken, da? es fur einen freien, bewaffneten Mann leicht ist, grob gegen einen gefesselten Gefangenen zu sein! Aber wurdig ist es nicht. Ein stolzer Krieger verschmaht es, solche Worte zu sagen, und wenn Nanap neav dies nicht beherzigen will, so mag er die Folgen tragen.«
«Welche Folgen? Hat deine Nase einmal den stinkigen Schakal gerochen, von dem selbst der Aasgeier nichts wissen will? So ein Schakal bist du. Der Gestank, den du — «
Er kam nicht weiter. Es ertonte ein Schrei des Schreckens aus den Kehlen aller Utahs, welche in der Nahe standen. Winnetou war dem Alten mit einem gewaltigen Satze gegen den Leib gesprungen, hatte ihn dadurch hintenuber geworfen, versetzte ihm mit der Ferse einige Hiebe und Tritte auf die Brust und gegen den Kopf und kehrte wieder nach seinem Platze zuruck.
Auf den allgemeinen Schrei trat fur einen Augenblick eine tiefe Stille ein, so da? man die laute Stimme des Apachen horte:»Winnetou hat ihn gewarnt. Nanap neav horte nicht und wird nun nie wieder einen Apachen beleidigen.«
Die andern Hauptlinge waren aufgesprungen, um den Alten zu untersuchen. Die Hirnschale war ihm an der rechten Seite des Kopfes eingetreten und ebenso ein Teil des Brustkastens. Er war tot. Die roten Krieger drangten heran, die Hande an den Messern und blutgierige Blicke auf Winnetou werfend. Man sollte meinen, da? die That des Apachen die Utahs zur heulenden Wut aufgestachelt hatte; dem war aber nicht so. Ihr Grimm blieb stumm, zumal der» gro?e Wolf «die Hand zuruckweisend erhob und dabei gebot:»Zuruck! Der Apache hat den alten Hauptling umgebracht, um schnell und ohne Qual zu sterben. Er dachte, ihr wurdet nun uber ihn herfallen und ihn rasch toten. Aber er hat sich verrechnet. Er soll eines Todes sterben, den noch kein Mensch erlitten hat. Wir werden daruber beraten. Schafft den alten Hauptling in seiner Decke fort, damit die Augen dieser wei?en Hunde sich nicht an seiner Leiche weiden! Sie sollen alle an seinem Grabe geopfert werden. Wir werden Old Firehand und Old Shatterhand lebendig mit ihm begraben.«
«Du lebst nicht lange genug, um mich begraben zu konnen!«antwortete Old Shatterhand.
«Schweig, Hund, bis du gefragt wirst! Wie willst du die Tage kennen, welche ich noch zu leben habe?«
«Ich kenne sie. Es ist kein einziger mehr, denn morgen um diese Zeit wird deine Seele aus dem Korper gewichen sein.«
«Sind deine Augen so scharf, da? du in die Zukunft zu blicken vermagst? Ich werde sie dir ausstechen lassen!«
«Um zu wissen, wann du stirbst, bedarf es keiner scharfen Augen. Hast du jemals gehort, da? Old Shatterhand die Unwahrheit gesprochen hat?«
«Alle Bleichgesichter lugen, und du bist auch eins.«
«Die Roten lugen; das hast du bewiesen. Wir waren vier Wei?e und kampften mit vier Roten um unser Leben. Im Falle des Sieges sollten wir unsre Gegner toten durfen und dann frei sein. Wir siegten und schenkten euch das Leben. Dennoch wolltet ihr uns nicht die Freiheit geben. Ihr verfolgtet uns und fielet in unsre Hande. Wir konnten euch das Leben nehmen. Ihr hattet es verdient; wir thaten es doch nicht, weil wir Christen sind. Wir rauchten mit euch die Pfeife des Friedens, und ihr gelobtet uns, bis zum Tode unsre Freunde und Bruder zu sein. Wir lie?en euch frei, und zum Dank dafur habt ihr uns uberfallen und hierher geschleppt. Wer lugt, ihr oder wir? Aber wei?t du, was ich dir sagte, bevor wir gegen Abend im Canon voneinander schieden?«
«Der» gro?e Wolf «ist ein stolzer Krieger; er merkt sich nie die Worte eines Bleichgesichtes.«
«So will ich sie dir in das Gedachtnis zuruckrufen. Ich warnte dich und sagte dir, wenn du dein Wort abermals nicht halten solltest, so werde es dein Tod sein. Du hast dein Versprechen gebrochen und wirst also
