Sie setzten sich nieder, um zu warten, was nun kommen werde. Sie glaubten, zu vernehmen, was von ihnen verlangt werde, zunachst aber horten sie etwas andres. Old Shatterhand hatte namlich, als die Hauptlinge niedergestreckt und gebunden wurden, seinen Stutzen einstweilen fallen lassen; jetzt hob er ihn wieder auf. Das Auge des» gro?en Wolfes «fiel auf das Gewehr und voller Entsetzen schrie er auf:»Die Zauberflinte, die Zauberflinte, sie ist wieder da, die Geister haben sie ihm durch die Luft gebracht. Ruhrt sie nicht an, ruhrt auch ihn nicht an, sonst kostet's euch das Leben!«
«Die Zauberflinte, die Zauberflinte!«horte man die Stimmen der erschrockenen Yampa-Utahs druben unter den Baumen.
Shatterhand gebot dem» Wolfe «Schweigen und wendete sich an Feuerherz:»Was wir fordern, ist folgendes: Es fehlen uns noch viele Sachen, welche ihr uns abgenommen habt; die gebt ihr uns zuruck. Beim Anbruch des Tages reiten wir fort und nehmen die Hauptlinge samt diesen funf Mannern als Geiseln mit. Sobald wir dann uberzeugt sein konnen, da? uns von euch keine Gefahr mehr droht, geben wir diese Leute frei und erlauben ihnen, nach hier zuruckzukehren.«
«Uff! Das ist zu viel verlangt, «antwortete Feuerherz.»Das konnen wir nicht zugeben. Kein tapferer roter Krieger wird geneigt sein, als Geisel mit den wei?en Mannern zu gehen.«
«Warum? Was ist schlimmer, ein Geisel zu sein, welcher wieder freigelassen wird, oder ein Gefangener, der so unvorsichtig gewesen ist, sich ergreifen zu lassen? Doch das letztere. Wir sind bei euch gefangen gewesen, und doch hat dies weder unsern Ruhm noch unsre Ehre geschadigt; es haben vielmehr beide gewonnen, indem wir euch bewiesen haben, da? wir selbst dann nicht verzagen, wenn wir von so einer Ubermacht ergriffen und in Banden gelegt worden sind. Es ist keine Schande fur euch, einen Tag lang mit uns zu reiten, um dann unbeschadigt zuruckkehren zu durfen.«
«Es ist eine Schande, eine gro?e Schande. Ihr befandet euch in unsern Handen, die Marterpfahle sollten mit Tagesanbruch errichtet werden, und nun sind wir die Gefesselten, und ihr schreibt uns Gesetze vor!«
«Wird dies besser dadurch, da? ihr euch weigert, auf mein Verlangen einzugehen? Wird die Schande dadurch eine geringere, da? ihr es zu einem Kampfe kommen la?t, in welchem ihr, die ihr hier sitzet, ganz sicher und au?erdem noch viele andre von euch getotet werden? Die Hauptlinge und diese funf hervorragenden Krieger sterben von unsern ersten Schussen, und unsre Flinten werden dann schnell weiterfressen. Denkt an meine Zauberbuchse!«
Diese letztere Mahnung schien ganz besonders zu wirken, denn Feuerherz fragte:»Wohin sollen wir euch begleiten? Nach welcher Gegend werdet ihr reiten?«
«Ich konnte dir aus Vorsicht eine Luge sagen, «antwortete Old Shatterhand,»aber ich verschmahe das. Wir gehen in die Book-Mountains, hinauf nach dem Silbersee. Wenn wir sehen, da? ihr ehrlich seid, werden wir euch nur einen Tag bei uns behalten. Ich gebe euch jetzt eine Viertelstunde Zeit zum Uberlegen. Fugt ihr euch in unsern Willen, so wird euch nichts geschehen; weigert ihr euch aber, so werden unsre Gewehre zu sprechen beginnen, sobald die angegebene Zeit verflossen ist. Ich habe gesprochen!«Er sagte die drei letzten Worte mit einem Nachdrucke, welcher keinen Zweifel daruber zulie?, da? er sich durch keinerlei Vorstellung von seinem Verlangen abbringen lassen werde. Feuerherz senkte den Kopf. Es war geradezu unerhort, da? diese wenigen Wei?en, denen vor einigen Minuten der grausamste Tod gedroht hatte, sich jetzt in der Lage befanden, solche Forderungen zu stellen. Da wurde seine Aufmerksamkeit nach den Baumen gelenkt, denn dort lie? sich eine halblaute Stimme horen:»Mai ive!«Diese beiden Worte bedeuten» schau hierher!«Sie waren nicht gerufen, sondern ziemlich leise gesprochen worden; sie konnten jedem andern als dem Hauptlinge gelten, ihren Ursprung nur dem Zufalle verdanken und fur die Wei?en ohne alle Bedeutung sein; dennoch richteten Shatterhand, Firehand und Winnetou ihre Augen sofort nach der betreffenden Stelle. Was sie da sahen, mu?te sie sehr interessieren. Dort standen zwei Rote, welche eine Decke an deren oberen zwei Zipfeln wie einen vertikalen Vorhang zwischen sich hielten; diesen Vorhang bewegten sie in schnellen, aber gewissen Zwischenraumen auf und nieder. Hinter ihnen sah man den Schein eines der Feuer leuchten. Diese beiden Indianer sprachen mit Feuerherz.
Die Indianer haben namlich eine Zeichensprache, welche bei den verschiedenen Stammen eine verschiedene ist. Des Nachts bedienen sie sich dazu gluhender Pfeile, mit denen sie in die Luft geschossene Grasbuschel entzunden. Am Tage brennen sie ein Feuer an und halten, um den Rauch zu sammeln, Felle oder Decken daruber. So oft diese Felle und Decken weggenommen oder gelupft werden, steigt eine Rauchwolke empor, welche das Zeichen bildet. Es ist das eine Art Telegraphie, ganz der unsern ahnlich, denn die Intervalle zwischen den einzelnen Rauchwolken haben eine ganz so bestimmte Bedeutung wie unsre Striche und Punkte. Man darf aber nicht denken, da? ein Stamm stets bei denselben Zeichen bleibt; dieselben werden vielmehr sehr oft verandert, damit den Fremden und Feinden die Entzifferung dieser Zeichensprache so schwer wie moglich werde.
Waren die beiden Roten der Ansicht gewesen, da? man ihr Beginnen nicht beachten werde, so hatten sie sich geirrt. Sobald sie die Decke zu bewegen begannen, trat Winnetou einige Schritte zur Seite, so da? er genau hinter Feuerherz, fur welchen diese Zeichen bestimmt waren, zu stehen kam. Die zwei Indianer standen in gerader Linie zwischen diesem und dem Feuer; indem sie die Decke abwechselnd hoben und senkten, lie?en sie das Feuer vor den Augen des Hauptlings erscheinen und wieder verschwinden, und zwar in langeren oder kurzeren Zwischenraumen, welche naturlich ihre ganz bestimmte Bedeutung hatten.
Old Firehand und Shatterhand wu?ten sofort, um was es sich handelte, thaten aber so, als ob sie nichts bemerkten; sie uberlie?en die Entratselung der Zeichen Winnetou, welcher als geborener Roter darin noch gewandter war als sie.
Das Telegraphieren wahrte wohl funf Minuten lang, wahrend welcher Zeit Feuerherz kein Auge von der Stelle, an welcher die beiden standen, verwendete. Dann traten sie auseinander; sie waren mit ihrer Mitteilung zu Ende und dachten wohl nicht, da? sie von ihren Gegnern belauscht worden seien. Feuerherz bemerkte erst jetzt, da? Winnetou hinter ihm stand. Das fiel ihm auf, und er drehte sich besorgt und schnell um, zu sehen, wohin der Apache blickte. Dieser aber war klug genug, sich schnell abzuwenden und so zu thun, als ob die im Mondenscheine schillernde Flache des Sees seine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch nehme. Feuerherz fuhlte sich beruhigt. Winnetou aber trat langsam zu Old Shatterhand und Old Firehand. Diese entfernten sich mit ihm noch einige Schritte weiter, und dann fragte der letztere in leisem Tone:»Die Roten haben zu dem Hauptlinge gesprochen. Hat mein Bruder ihre Worte gesehen und verstanden?«
«Gesehen wohl, aber nicht jedes einzelne verstanden, «antwortete der Gefragte.»Dennoch ist der Sinn mir klar, denn was ich nicht verstand, das konnte ich mir leicht durch Nachdenken erganzen.«
«Nun, was haben sie gesagt?«
«Die beiden Roten sind zwei junge Hauptlinge der Sampitsche-Utahs, deren Krieger sich auch mit hier befinden. Sie forderten Feuerherz auf, getrost mit uns zu reiten.«
«So meinen sie es ehrlich? Das sollte mich sehr wundern.«
«Sie sind nicht aufrichtig. Wenn wir nach dem Silbersee wollen, so geht unser Weg von hier aus zunachst uber den Grand River und in das Teywipah hinein. Dort lagern viele Krieger der Tasch-, Capote- und Wihminutsche-Utahs, um sich zum Zuge gegen die Navajoes zu versammeln und die hier befindlichen Utahs zu erwarten. Auf diese mussen wir sto?en, und sie werden, wie man meint, uns niederschlagen und die Geiseln befreien. Es sollen gleich jetzt einige Boten an sie gesendet werden, um sie zu benachrichtigen. Und damit wir auf keinen Fall entkommen konnen, werden die hiesigen Utahs, sobald wir aufgebrochen sind, dieses Waldlager verlassen und uns folgen, damit wir zwischen die beiden Utahheere geraten und unmoglich gerettet werden konnen.«
«Alle Teufel! Dieser Plan ist nicht ubel. Was sagt mein roter Bruder dazu?«
«Ich stimme bei, da? er sehr gut ausgedacht ist; aber er hat einen gro?en Fehler.«
«Welchen?«
«Den, da? ich ihn belauscht habe. Wir kennen ihn und wissen nun, was wir zu thun haben.«
«Aber in das Hirschthal mussen wir, wenn wir nicht einen Umweg von wenigstens vier Tagen machen wollen.«
«Wir werden keinen Umweg machen, sondern nach diesem Thale reiten, aber trotzdem den Utahs nicht in die Hande fallen.«
«Ist das moglich?«
«Ja. Frage meinen Bruder Old Shatterhand. Ich bin mit ihm im Thal der Hirsche gewesen. Wir waren allein und wurden von einem gro?en Haufen von wandernden Elk-Utahs gejagt. Wir sind ihnen entkommen, weil wir einen Felsenweg fanden, welchen vielleicht vor und dann auch nach uns kein Mensch betreten hat. Er ist nicht
