streng behandelt worden wie die erwachsenen und mannlichen Gefangenen. Als diese letzteren sich von ihren Banden befreit hatten und zu den Hauptlingen gesprungen waren, um sich derselben zu bemachtigen, war sie ganz allein an dem von Old Shatterhand ausgeloschten Feuer zuruckgeblieben. Ein Gluck, da? die Roten nicht daran gedacht hatten, sich ihrer zu bedienen, um die Freiheit der Geiseln zu erzwingen!

Der schmale Canon stieg ziemlich steil empor und mundete nach vielleicht einer Stunde auf die weite, offene Felsenebene, welche von den dunkeln Massen der Rocky-Mountains begrenzt zu werden schien. Hier drehte Winnetou sich um und sagte:»Meine Bruder wissen, da? die Roten uns folgen werden. Wir wollen jetzt Galopp reiten, um eine moglichst gro?e Strecke zwischen sie und uns zu bringen.«

Infolgedessen gab man den Pferden die Sporen und trieb dieselben so sehr an, wie es die Rucksicht auf die Sanfte und die Ponnies, welche dieselbe trugen, erlaubte. Spater erlitt diese Schnelligkeit eine Unterbrechung durch einen fur die Reiter sehr erfreulichen Umstand. Man erblickte namlich ein Rudel Gabelantilopen, und es gelang, zwei derselben zu umkreisen und zu erlegen. Das gab hinreichend Proviant fur den heutigen Tag.

Die Berge traten immer naher. Die Hochebene schien an den Fu? derselben zu sto?en; dies war aber keineswegs der Fall, da das Thal des Grand River dazwischen lag. Gegen Mittag, als die Strahlen der Sonne so hei? herniederbrannten, da? sie Mensch und Tier belastigten, gelangte man an eine schmale Stelle der felsigen Ebene, welche sich abwarts senkte.»Das ist der Anfang eines Canons, welcher uns zum Flusse fuhren wird, «erklarte Winnetou, indem er dieser Senkung folgte. Es war, als hatte ein Riese hier den Hobel angesetzt, um eine tief und immer tiefer gehende Bahn in den harten Stein zu schneiden. Die Wande rechts und links, erst kaum bemerkbar, dann manns-, nachher haushoch, stiegen immer hoher an, bis sie oben scheinbar zusammenstie?en. Hier in der Enge wurde es dunkel und kuhl. Von den Wanden sickerte Wasser herab, welches sich auf der Sohle sammelte und bald fu?tief wurde, so da? die durstigen Pferde trinken konnten. Und eigentumlich, dieser Canon zeigte nicht die leiseste Windung. Er war schnurgerade in den Felsen eingefressen, so da?, lange bevor man sein Ende erreichte, vorn ein heller Strich zu sehen war, welcher desto breiter wurde, je mehr man sich demselben naherte. Das war der Ausgang, das Ende des mehrere Hundert Fu? tiefen Einschnittes.

Als die Reiter bei demselben anlangten, bot sich ihnen ein beinahe uberwaltigender Anblick dar. Sie befanden sich im Thale des Grand River. Dieses war vielleicht eine halbe englische Meile breit, der Flu? stromte in der Mitte hin und lie? zu seinen beiden Seiten einen Grasstreifen frei, welcher von der senkrecht ansteigenden Canonwand begrenzt wurde. Das Thal lief von Nord nach Sud, gerade wie mit dem Lineal gezogen, und die beiden Felsenwande zeigten nicht den engsten Ri? oder den kleinsten Vorsprung. Daruber stand die gluhende Sonne, welche hier trotz der Tiefe des Canons das Gras dem Verdorren nahe brachte.

Kein einziger Ri?? Und doch! Gerade den Reitern gegenuber gab es am rechten Ufer des Flusses einen ziemlich breiten Einschnitt, aus welchem ein sehr ansehnlicher Bach geflossen kam. Dorthin deutete Winnetou, indem er sagte:»Diesem Bache mussen wir aufwarts folgen; er fuhrt nach dem Thale der Hirsche.«

«Aber wie kommen wir hinuber?«fragte Butler, welchem es um seine Tochter zu thun war.»Der Flu? ist zwar nicht rei?end, scheint aber tief zu sein.«

«Oberhalb des Bacheinflusses gibt es eine Furt, welche so seicht ist, da? das Wasser in dieser Jahreszeit die Sanfte nicht beruhren wird. Meine Bruder mogen mir folgen!«

Man ritt quer uber das Gras bis an die Uferstelle, an welcher sich die Furt befand. Dieselbe lag so, da? man, am jenseitigen Ufer angekommen, auch noch den Bach uberschreiten mu?te, um an das rechte Ufer desselben zu gelangen, welches breiter und also bequemer zu passieren war als das linke. Winnetou trieb sein Pferd in das Wasser, und die andern folgten ihm. Er hatte recht gehabt; das Wasser reichte ihm lange nicht bis an die Fu?e. Dennoch blieb er, in der Nahe des andern Ufers angekommen, plotzlich halten und stie? einen halblauten Ruf aus, als ob er eine Gefahr entdeckt habe.

«Was gibt's?«fragte Old Shatterhand, welcher hinter ihm ritt.»Hat sich das Flu?bett verandert?«

«Nein; aber da druben sind Manner geritten.«

Er deutete nach dem Ufer. Old Shatterhand trieb sein Pferd mehrere Schritte weiter und sah nun auch die Fahrte. Sie war breit, wie von vielen Reitern; das Gras hatte sich noch nicht ganz wieder erhoben.

«Das ist wichtig!«sagte Old Firehand, welcher sich den beiden genahert hatte.»Wir wollen diese Fahrte untersuchen; unterdessen mussen die andern im Wasser bleiben.«

Die drei ritten vollends an das Ufer, stiegen dort ab und betrachteten die Eindrucke mit ihren Kenneraugen.

«Das waren Bleichgesichter, «sagte Winnetou.

«Ja, «stimmte Old Shatterhand bei.»Indianer waren hintereinander geritten und hatten keine so breite, augenfallige Spur verursacht. Ich mochte behaupten, da? diese Leute keine echten Westmanner sind. Ein Jager, welcher Erfahrung besitzt, ist weit vorsichtiger. Ich schatze den Trupp auf drei?ig bis vierzig Personen.«

«Ich ebenso, «meinte Old Firehand.»Aber Wei?e, hier, unter den gegenwartigen Verhaltnissen! Das mussen Neulinge sein, unvorsichtige Menschen, welche es sehr notwendig haben mussen, hinauf in die Berge zu kommen.«

«Hm!«brummte Old Shatterhand.»Ich glaube, zu erraten, wen wir da vor uns haben.«

«Nun, wen?«

«Den roten Cornel mit seiner Abteilung.«

«Alle Wetter! Moglich ist's. Meiner Berechnung nach konnen die Kerle hier sein. Und das stimmt auch mit dem, was du von Knox und Hilton erfahren hast. Wir mussen die Spur — «

Er wurde von Winnetou unterbrochen, welcher an den Bach gegangen war und, in das Uferwasser zeigend, sagte:»Meine Bruder mogen hierherkommen. Es ist der rote Cornel gewesen.«

Sie gingen hin und sahen in das Wasser. Dieses war brunnenhell; man konnte den Grund ganz deutlich erkennen und sah eine Reihe von Eindrucken, welche neben der Stelle, an welcher die Reiter den Bach uberschritten hatten, von dem einen Ufer nach dem andern fuhrte.

«Ehe die Reiter hinuber sind, «erklarte der Apache,»ist einer von ihnen abgestiegen, um die Tiefe des Wassers zu untersuchen. Es sind also dumme Menschen gewesen, denn jedes offene Auge sieht, da? das Wasser niemand bis uber die Beine reicht. Und womit hat der Mann den Bach untersucht? Meine Bruder mogen es mir sagen.«

«Mit einer Hacke, deren Stiel er in der Hand gehabt hat. Das ist aus dem Eindrucke deutlich zu erkennen, «antwortete Old Firehand.

«Ja, mit einer Hacke. Diese Leute wollen also nicht jagen, sondern graben. Es war der rote Cornel.«

«Ich bin ganz derselben Meinung; dennoch aber mussen wir es fur moglich halten, da? es auch andre gewesen sein konnen.«

«Dann konnten nur Goldgraber hier vorbei sein, «sagte Old Shatterhand.»Und das bestreite ich.«

«Aus welchen Grunden?«

«Erstens sind Goldgraber erfahrene Leute, welche nicht so unvorsichtig sind, und zweitens konnen wir bei den Spuren von vierzig Pferden auf vielleicht zehn Packpferde rechnen; bleiben drei?ig Reiter; Goldgraber aber wandern nicht in so bedeutenden Trupps in den Bergen und Canons umher. Nein, es ist der rote Cornel mit seinen Leuten. Ich mochte es beschworen.«

«Auch ich bezweifle es nicht. Wo aber sind sie hin? Da druben rechts abgebogen, also nicht weiter den Grand River hinab, sondern am Bache empor nach dem Thale der Hirsche. Sie reiten also den Utahs gerade in die Arme.«

«Das ist ihr Schicksal, welches sie sich selbst bereitet haben. Wir konnen es nicht andern.«

«Oho!«rief Old Firehand.»Wir mussen es andern.«

«Mussen? Warum? Haben sie es verdient?«

«Nein. Aber wir mussen den Plan, die Zeichnung haben, welche der Cornel gestohlen hat. Wenn wir diese Zeichnung nicht bekommen, erfahren wir nie, wo die Schatze des Silbersees liegen.«

«Das ist wahr. Du willst diesen Halunken nachreiten, um Sie zu warnen?«

«Um sie nicht zu warnen, sondern um sie selbst niederzuschlagen.«

«Das ist unmoglich. Bedenke, welchen Vorsprung sie haben!«

Old Firehand buckte sich nieder, um das Gras nochmals zu untersuchen und sagte dann im Tone der Enttauschung:»Leider! Sie sind vor funf Stunden hier gewesen. Wie weit ist es bis nach dem Hirschthale?«

«Vor Abend konnen wir es nicht erreichen.«

«So mu? ich meine Absicht aufgeben. Sie befinden sich in der Gewalt der Roten, noch ehe wir die Halfte des Weges zuruckgelegt haben. Wie aber steht es mit den Boten, welche von den Yampa-Utahs nach diesem Thale

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