durchdringendes Geheul, dann verschwanden die Indianer; der Platz war leer.
«So!«meinte Old Shatterhand.»Die wissen nun, da? wir auf unsrer Hut sind und ihre Gedanken kennen. Aber wir mussen aufbrechen, da sie uns doch vielleicht von der Seite beschleichen konnen. Vorwarts also!«
In wenigen Minuten war der Zug wieder beritten und setzte sich in Bewegung. Es war anzunehmen, da? die Roten nur langsam, weil mit au?erster Vorsicht, vordringen wurden; darum konnte man uberzeugt sein, einen mehr als genugenden Vorsprung zu bekommen.
Es ging die Matte hinauf, uber die Lehne des Berges hinuber, und dann erreichte man ein Labyrinth von Schluchten und Thalern, welche aus verschiedenen Richtungen kommend, alle nach einem und demselben Punkte zu streben schienen. Dieser Punkt war der Eingang einer breiten, oden, stundenlangen Felsenkluftung, in welcher nicht ein einziger Grashalm Nahrung zu finden schien. Felsenstucke von jeder Form und Gro?e lagen hoch aufgeturmt ubereinander oder zerstreut umher. Es war, als sei hier in der Urzeit ein riesiger Naturtunnel eingesturzt.
In diesem Steinschutte war es schwer, eine zusammenhangende Spur ausfindig zu machen. Nur hie und da zeigte ein aus seiner Lage gesto?ener oder von einem Pferdehufe geritzter Stein, da? die Tramps hier geritten seien. Winnetou deutete mit der Hand vorwarts und sagte:»In zwei Stunden senkt sich dieses Steingewirr in das gro?e, grune Thal der Hirsche nieder. Wir aber werden hier links abreiten. Old Shatterhand und Old Firehand mogen absteigen, ihre Pferde fuhren lassen und hinterher gehen, um etwaige Spuren sofort zu vertilgen, damit die Yampa-Utahs nicht bemerken, da? wir zur Seite gewichen sind!«
Er wendete sich nach links in die Trummer hinein. Die beiden Genannten gehorchten seiner Anweisung und stiegen erst dann, als man weit genug entfernt vom Wege war, wieder auf ihre Pferde. Der Apache bewies, da? er ein ganz unvergleichliches Ortsgedachtnis besa?. Es schien, als ob kein Mensch sich in diesem Wirrsal zurechtfinden konne; es waren seit seinem letzten Hiersein Jahre vergangen, und doch kannte er jeden Stein, jeden Fels, jede Steigung und Biegung, so da? er sich nicht einen Augenblick lang uber die einzuhaltende Richtung im unklaren befand.
Es ging sehr steil bergan, bis eine weite, ode Hochflache erreicht wurde. Uber dieselbe flog man im Galopp. Schon war die Sonne hinter den Rockybergen verschwunden, als man das Ende dieses Plateaus erreichte oder doch vor sich liegen sah, denn der Apache hielt an, deutete nach vorn und erklarte:»Noch funfhundert Schritte weiter fallt der Stein so gerade wie ein Wassertropfen zur Tiefe; jenseits ebenso; dazwischen aber liegt unten das Thal der Hirsche mit gutem Wasser und vielem Wald. Es hat nur einen bekannten Eingang, namlich den, von welchem wir abgewichen sind, und auch nur einen Ausgang, welcher hinauf nach dem Silbersee fuhrt. Ich und Old Shatterhand sind die einzigen, welche einen weiteren Zugang kennen, den wir, als wir uns in Gefahr befanden, durch Zufall entdeckten. Ich werde ihn euch zeigen.«
Er naherte sich dem Rande des Plateaus. Dort lagen Felstrummer, wie eine Schutzmauer, damit man nicht in die grausige Tiefe sturzen moge, nebeneinander geschichtet. Er verschwand zwischen zwei solchen Trummerstucken, und die andern folgten ihm einzeln.
Sonderbar, es gab da einen Weg. Rechts gahnte die Tiefe, in welche man hinab wollte; er fuhrte aber links in den Felsenstock hinein und zwar so steil abwarts, da? man vorzog, abzusteigen und die Pferde zu fuhren. Der ungeheure, meilenlange und breite Felsenkolo? hatte einen Ri? bekommen, welcher in verschiedenen Krummungen, von oben nach unten ging.
Nachrollendes Steinwerk hatte diesen Ri? in der Weise ausgefullt, da? ein fester Boden gebildet worden war, dem man sich getrost anvertrauen konnte. Die Pferde konnten trotz der Steilheit dieses Weges nicht sturzen, da er nicht aus glattem Gestein, sondern aus ziemlich festem Geroll bestand, welches das Ausgleiten verhinderte. Je tiefer man kam, desto finsterer wurde es. Old Firehand hatte Ellen Butler auf sein Pferd gesetzt und ging, sie stutzend und haltend, neben demselben her. Es war, als ob man stundenlang zur Tiefe gestiegen sei, bis plotzlich die Senkung aufhorte, der Boden sich ebnete und der Felsenri? so breit wurde, da? er einen gro?en Saal, aber ohne Decke, bildete. Hier hielt Winnetou an und sagte:»Wir sind beinahe im Thale. Hier werden wir bleiben, bis die Dunkelheit uns gestattet, an den Utahs voruberzukommen. Schafft die Pferde nach hinten, wo sie trinken konnen, und gebt den Gefangenen Knebel, damit sie nicht laut werden!«
Die Roten hatten naturlich auch abwarts steigen mussen; darum hatte man ihnen die Beine freigegeben. Nun fesselte man sie wieder und verschlo? ihnen auch den Mund, um sie am Rufen zu verhindern. Es herrschte tiefe Dammerung in diesem Raume, aber die Manner, welche geubt waren, des Nachts fast wie die Katzen zu sehen, fanden sich dennoch leicht zurecht. Im hintern Teile sammelte sich die Feuchtigkeit des Felsens in einem kleinen Tumpel, aus welchem ein Wasserlein vorn abflo?; wohin, das sah man noch nicht.
Winnetou nahm einige der Jager mit sich, um ihnen die Ortlichkeit zu zeigen. Was sie sahen, setzte sie nicht wenig in Verwunderung. Vorn, wo der Saal sich wieder verengte, gab es einen Ausgang, so schmal, da? kaum zwei Manner nebeneinander gehen konnten. Dieser Gang fuhrte auch abwarts, aber nicht sehr weit. Nach einigen Krummungen standen die Manner vor einem dichten, naturlichen Vorhang von Schlingpflanzen, unter welchem das Wasser verschwand. Winnetou schob diese Gardine ein wenig zur Seite, und da sahen sie vor sich Wald, Baum an Baum, hoch und kraftig gewachsen und so dicht belaubt, da? das letzte Licht, des Tages nicht durch die Wipfel zu dringen vermochte.
Der Apache trat hinaus, um zu rekognoszieren. Als er wieder hereinkam, meldete er:»Rechts von uns, im Norden, also thalaufwarts, brennen viele Feuer unter den Baumen; dort lagern also die Utahs. Thalabwarts ist es finster. Dort hinab mussen wir. Vielleicht stehen keine Roten dort. Hochstens hat man zwei oder drei Mann an den Ausgang des Hirschthales gestellt; diese sind sehr leicht unschadlich zu machen, und wir konnten also das Thal ohne gro?e Gefahr verlassen, wenn sich nicht der rote Cornel in demselben befande. Wir mussen unbedingt erfahren, wie es um ihn steht. Darum werde ich mich, sobald es noch dunkler geworden ist, zu den Feuern schleichen, um zu lauschen. Bevor das geschehen ist, konnen wir nicht fort; bis dahin aber mussen wir uns vollstandig lautlos verhalten.«
Er fuhrte die Manner wieder zuruck, um nach ihnen auch den andern die Ortlichkeit zu zeigen. Das war notwendig, da im Falle der Not und Gefahr ein jeder wissen mu?te, wo er sich befand und wo es einen Ausweg gab. Die Gefangenen waren sehr gut gefesselt, dennoch erhielt jeder von ihnen einen besonderen Wachter. Hatten die Wei?en gestern und auch schon fruher ihre Banden zu losen vermocht, so konnte auch den Roten dasselbe gelingen. Winnetou war der Meinung gewesen, da? er allein rekognoszieren gehen werde, dem stimmten aber weder Old Shatterhand noch Old Firehand bei. Das Unternehmen war hier so gefahrlich, da? ein einzelner leicht nicht wiederkehrte, und dann wu?te man nicht, was ihm geschehen war und auf welche Weise man ihm Hilfe bringen konnte. Darum wollten die Genannten mit ihm gehen.
Nachdem man fast zwei Stunden gewartet hatte, brachen die drei auf. Sie schlichen hinaus in den Wald und blieben da zunachst stehen, um zu lauschen, ob sich vielleicht jemand in ihrer Nahe befinde. Es war nichts zu sehen und zu horen. Die Feuer brannten in ziemlicher Ferne; es waren ihrer sehr viele; aus dieser Anzahl lie? sich schlie?en, da? eine ganz ungewohnliche Menge Utahs hier lagerten.
Die drei schlichen nun vorwarts, von Baum zu Baum, Winnetou voran. Je weiter sie sich den Feuern naherten, desto leichter wurde ihnen die Losung ihrer Aufgabe, denn gegen die Flammen blickend, konnten sie jeden Gegenstand sehen, welcher vor ihnen stand oder lag.
Sie bewegten sich am linken Rande des Thales. Die Feuer lagen mehr gegen die Mitte. Vielleicht hatten die Roten der Felswand nicht getraut. Da? sich von derselben leicht ein Stuck losen konnte, bewiesen die Trummer, welche, Baume zerschmetternd, herniedergesturzt waren und sich tief in die Erde eingewuhlt hatten. Die drei Manner kamen rasch vorwarts. Schon befanden sie sich parallel den vordersten Feuern. Links von ihnen, und noch weiter zuruck, brannte eine sehr helle, hohe Flamme abgesondert von den andern. An derselben sa?en funf Hauptlinge, wie aus den Adlerfedern, welche ihre Schopfe schmuckten, zu erkennen war.
Eben erhob sich einer von ihnen. Er hatte den Kriegsmantel abgeworfen. Sein nackter Oberleib war, wie Gesicht und Arme, mit dicker, grellgelber Farbe bestrichen.»T'ab-wahgare!«flusterte Winnetou.»Er ist der Hauptling der Capote-Utahs und besitzt die Starke eines Baren. Seht seinen Leib! Welch dicke, starke Muskeln, und welch eine breite Brust!«
Der Utah winkte einem zweiten Hauptlinge, welcher auch aufstand. Dieser war langer als der vorige und wohl nicht weniger stark.
«Das ist Tsu-in-kuts«, erklarte Old Shatterhand.»Er tragt diesen Namen, weil er einst vier Buffelstiere mit vier Pfeilschussen getotet hat.«
Die beiden Hauptlinge wechselten einige Worte miteinander und entfernten sich dann vom Feuer. Vielleicht wollten sie Wachen inspizieren. Sie vermieden die andern Feuer und naherten sich infolge dessen mehr der
