Felsenwand.
«Ah!«meinte Old Shatterhand.»Sie kommen hier nahe voruber. Was meinst du, Firehand? Wollen wir sie nehmen?«
«Bei lebendigem Leibe?«
«Naturlich!«
«Das ware ein Coup! Schnell nieder auf die Erde; du den ersten und ich den zweiten!«
Die beiden Utahs kamen naher. Der eine ging hinter dem andern. Da tauchten plotzlich zwei Gestalten hinter ihnen auf — zwei gewaltige Fausthiebe, und die Getroffenen sturzten zu Boden.
«Gut so!«flusterte Old Firehand.»Die haben wir. Nun schnell in unser Versteck mit ihnen!«
Jeder nahm den seinigen auf. Winnetou erhielt die Weisung, zu warten, und dann eilten die beiden dem verborgenen Felsensaale zu. Dort lieferten sie die neuen Gefangenen ab, lie?en sie binden und knebeln und kehrten dann zu Winnetou zuruck, nicht aber ohne zuvor den Befehl zu geben, da? keiner der Gefahrten das Versteck verlassen durfe, bevor sie zuruckgekehrt seien, moge auch geschehen, was da wolle.
Winnetou stand noch an derselben Stelle. Es war jetzt weniger notig, die drei Hauptlinge zu belauschen, als vielmehr den Ort ausfindig zu machen, an welchem sich der rote Cornel mit seiner Sippe befand. Um zu diesem Ziele zu gelangen, mu?te das ganze Lager umschlichen werden. Die drei kuhnen Manner schritten also immer weiter an der Felsenwand hin, die Feuer alle zu ihrer Linken lassend.
Nach dieser Seite hin konnten sie gut sehen; nach vorn war es dunkel; da galt es also, vorsichtig zu sein. Wo das Auge nicht ausreichte, mu?te die tastende Hand gebraucht werden. Winnetou huschte, wie gewohnlich, voran. Plotzlich blieb er stehen und lie? ein fast zu lautes, erschrockenes» Uff!«horen. Die andern beiden hielten ihre Schritte auch an und lauschten gespannt. Als alles ruhig blieb, fragte Old Shatterhand leise:»Was gibt es?«
«Ein Mensch, «antwortete der Apache.
«Wo?«
«Hier bei mir, vor mir, in meiner Hand.«
«Halte ihn fest! La? ihn nicht schreien!«
«Nein. Er kann nicht schreien; er ist tot.«
«So hast du ihn erdrosselt?«
«Er war schon tot; er hangt an dem Pfahle.«
«Herrgott! Wohl am Marterpfahle?«
«Ja. Sein Skalp fehlt; sein Leib ist voller Wunden. Er ist kalt, und meine Hande sind na? vom Blute.«
«So sind die Wei?en schon tot, und hier ist der Marterplatz. Suchen wir einmal!«
Sie tasteten um sich und fanden binnen zehn Minuten gegen zwanzig schauderhaft verstummelte Leichen, welche an Pfahle und Baume gebunden waren.
«Entsetzlich!«stohnte Old Shatterhand.»Ich glaubte, diese Leute noch retten zu konnen, wenigstens vor solchen Qualen! Gewohnlich warten die Roten bis zum nachsten Tage; hier aber haben sie sich keine Zeit gelassen.«
«Und der Plan, die Zeichnung!«meine Old Firehand.»Die ist nun verloren.«
«Noch nicht. Wir haben die gefangenen Hauptlinge. Vielleicht konnen wir diese gegen die Zeichnung austauschen.«
«Wenn sie noch da und nicht etwa vernichtet ist.«
«Vernichtet? Schwerlich! Die Roten haben gelernt, die Wichtigkeit solcher Papiere einzusehen. Ein Indianer vernichtet jetzt eher alles andre als ein Papier, welches er bei einem Wei?en findet, zumal wenn es nicht bedruckt, sondern beschrieben ist. La? dir also noch nicht bange sein. Ubrigens leuchtet mir ein, aus welchem Grunde man diese Kerle hier so schnell ermordet hat.«
«Nun, warum?«
«Um Platz fur uns zu bekommen. Unsre Ankunft ist gemeldet worden. Wir sind noch nicht da; folglich erwartet man uns fur morgen fruh ganz gewi?, und kommen wir da noch nicht, so sendet man Spaher nach uns aus.«
«Die Boten, welche abgesendet wurden, um unsre Ankunft zu melden, werden da sein, die Yampa-Utahs aber noch nicht, «meinte Winnetou.
«Nein, die sind noch nicht da. Es hat wohl Stunden gedauert, ehe sie es gewagt haben, unsern Rastort zu passieren und in die Felsenenge einzudringen. Vielleicht kommen sie erst morgen fruh, da der letzte Teil des Weges so schlecht ist, da? er des Nachts nicht — horchen! Wahrhaftig, sie kommen; sie sind da!«
Oberhalb der Stelle, an welcher die drei standen, lie? sich plotzlich ein lautes, frohliches Geschrei horen, welches von unten her sofort beantwortet wurde. Die Yampa-Utahs kamen trotz der Finsternis der Nacht und trotz des schlechten Weges, welcher ihnen sehr bekannt sein mu?te. Das war ein Gebrull und Geheul, da? man sich hatte die Ohren verstopfen mogen. Es wurden Brande aus den Feuern gerissen, mit denen die bereits hier Lagernden den Ankommlingen entgegenliefen. Der Wald wurde hell und lebendig, so da? die drei in die gro?te Gefahr, bemerkt zu werden, gerieten.
«Wir mussen fort, «sagte Old Firehand.»Aber wohin? Vor und hinter uns ist alles voller Menschen.«
«Auf die Baume, «antwortete Old Shatterhand.»In dem dichten Gezweig konnen wir warten, bis die Aufregung sich gelegt hat.«
«Gut, also hinauf! Ah, Winnetou ist schon oben!«
Ja, der Apache hatte gar nicht lange erst gefragt. Er schwang sich hinauf und versteckte sich im Blatterdach. Die beiden andern folgten seinem Beispiele, indem sie die nachsten Baume erstiegen. Es ist keine Schande, sich gegen eine solche Ubermacht zu verbergen.
Jetzt sah man beim Scheine der Feuer und der Fackeln die Yampa mit ihren Genossen kommen. Sie stiegen von den Pferden, welche fortgefuhrt wurden, und fragten, ob Winnetou und die Wei?en angekommen und ergriffen worden seien. Diese Frage wurde mit der gro?ten Verwunderung aufgenommen. Die Yampa wollten nicht glauben, da? die Genannten nicht angekommen seien, denn sie waren ja der Fahrte derselben gefolgt. Es wurde hin und her gefragt; hundert Vermutungen tauchten auf, doch der wahre Sachverhalt blieb ein Ratsel.
Es war fur die andern Utahs eine hochwichtige Nachricht, zu horen, da? Old Firehand, Old Shatterhand und Winnetou sich in der Nahe befanden. Aus den verschiedenen Ausrufungen, aus der ungeheuern Wirkung, welche diese Nachricht hervorbrachte, konnten diese drei Manner ersehen, in welch einem Rufe sie bei diesen Roten standen.
Als die Yampa erfuhren, da? uber zwanzig Wei?e zu Tode gemartert worden seien, glaubten sie, da? es die von ihnen Gesuchten seien, und verlangten, sie zu sehen. Man kam mit Fackeln herbei, um sie ihnen zu zeigen, und nun bot sich den drei im Laube versteckten ein Anblick, welcher bei der ungewissen, flackernden Beleuchtung ein doppelt gra?licher war. Die Yampas erkannten, da? diese Leichen nicht die richtigen seien, und kuhlten ihre Wut auf ganz unbeschreibliche Weise an denselben. Glucklicherweise war diese Scene nicht von langer Dauer; sie erlitt ein Ende, welches kein Utah fur moglich gehalten hatte.
Namlich vom untern Ende des Thales ertonte ein langgezogener Schrei, ein Schrei, den niemand, der ihn einmal gehort hat, jemals wieder zu vergessen vermag, namlich der Todesschrei eines Menschen.
«Uff!«rief einer der unter den Baumen stehenden Hauptlinge erschrocken.»Was war das? Die» gelbe Sonne «und» vier Buffel «sind dort unten!«
Ein zweiter, ahnlicher Schrei erscholl, und dann krachten mehrere Schusse.
«Die Navajos, die Navajos!«schrie der Hauptling.»Winnetou, Shatterhand und Firehand haben sie herbeigeholt, um sich zu rachen. Auf, ihr Krieger; werft euch auf die Hunde! Vernichtet sie! La?t die Pferde zuruck, und kampft zu Fu?e hinter den Baumen!«
Einige Augenblicke lang rannte alles durcheinander. Man holte die Waffen; man warf Holz in die Feuer, um das notige Licht zum Kampfe zu bekommen. Man rief und brullte; der Wald hallte wieder vom Kriegsgeheul. Schusse krachten, naher und immer naher. Fremde, dunkle Gestalten huschten von Baum zu Baum und lie?en ihre Gewehre blitzen.
Die Utahs antworteten, erst einzeln, hie und da, dann zu widerstandsfahigen Gruppen vereinigt. Es gab keinen eigentlichen, allgemeinen Kampfplatz, wenn man nicht dem ganzen Thale diese Bezeichnung geben wollte, sondern um jedes Feuer entspann sich ein Kampf im besonderen.
Ja, es waren die Navajos; sie hatten die Utahs uberrumpeln wollen, hatten es aber nicht verstanden, die am Ausgange des Thales stehenden Wachen lautlos zu uberwaltigen. Die Todesschreie derselben hatten Alarm
