Dieser gro?e Canon war ein beliebter Weg der Eroberer. Man baute den Damm, um ihn zu sperren und das Wasser plotzlich loslassen zu konnen.«
«Und der zweite Grund?«
«Der Schatz.«
«Der Schatz?«fragte der Hauptling, indem er einen Schritt zurucktrat.
«Was wei?t du von ihm?«
«Nichts; aber ich errate viel. Ich sehe den See, seine Ufer, seine Umgebung und denke nach. Bevor es den Damm gab, war kein See vorhanden, sondern ein tiefes Thal, durch welches die Bache, die es heute hier noch gibt, in den Canon flossen, den sie sich gegraben hatten. Eine reiche Nation wohnte hier; sie kampfte lange Zeit gegen die andringenden Eroberer; sie erkannte, da? sie nachgeben, fliehen musse, vielleicht einstweilen nur. Sie vergrub ihre Kostbarkeiten, ihre heiligen Gefa?e, hier in dem Thale und errichtete den Damm, damit ein gro?er See entstehe, dessen Flut der unbesiegbare, stumme Wachter dieses Schatzes sei.«
«Schweig, schweig, sonst enthullst du alles, alles!«rief der» gro?e Bar «erschrocken.»Sprechen wir nicht von dem Schatze, sondern nur von dem Damme. Ja, ich kann ihn offnen; ich kann tausend und noch mehr Utahs ersaufen, wenn sie sich im Canon befinden. Soll ich es thun, wenn sie kommen?«
«Um Gotteswillen, nein! Es gibt noch andre Mittel, sie zu bezwingen.«
«Welche? Die Waffen?«
«Ja, und sodann die Geiseln, welche dort im Grase liegen. Es sind die beruhmtesten Hauptlinge der Utahs. Diese werden, um ihre Anfuhrer zu retten, auf manche Bedingung, die wir machen konnen, eingehen. Deshalb haben wir sie ergriffen und mitgebracht.«
«Dann mussen wir diese Gefangenen in Sicherheit bringen.«
«Hast du einen passenden Ort?«
«Ja; sie mogen erst essen und trinken; dann werden wir sie nach demselben schaffen.«
Die Gefangenen bekamen die Hande frei; sie erhielten Fleisch und Wasser und wurden dann wieder gefesselt. Nachher wurden sie mit Hilfe einiger Timbabatschen in den am Ufer liegenden Kanoes nach der Insel gebracht. Old Firehand, Shatterhand und Winnetou begaben sich auch hinuber. Sie waren wi?begierig, das Innere des Bauwerkes zu sehen.
Dieses bestand oberhalb nur aus einem Erdgescho?, welches durch eine Mauer in zwei Abteilungen getrennt wurde. In der einen befand sich der Herd, und die andre bildete den Wohnraum. Dieser war au?erordentlich durftig ausgestattet. Eine Hangematte und ein primitives Lager, das war alles.»Und hier sollen die Gefangenen bleiben?«fragte Old Shatterhand.»Nein, denn hier hatten wir sie nicht sicher genug. Es gibt einen noch viel bessern Ort.«
Er schob das Lager auf die Seite. Dieses bestand aus einer Unterlage von Querholzern mit daruber gebreiteten Schilfmatten und Decken. Unter dem Lager wurde eine viereckige Offnung frei, durch welche ein eingekerbter Baumstamm als Leiter nach unten fuhrte. Der Hauptling stieg hinab; Old Shatterhand folgte ihm, und die andern sollten nun die Gefangenen einzeln hinablassen.
Durch die Offnung fiel so viel Licht in diesen kellerartigen Raum, da? Old Shatterhand sich leicht zu orientieren vermochte. Er war gro?er als die Wohnstube; die Vergro?erung lag nach der Gartenseite zu. Die entgegengesetzte Seite wurde durch eine Luftziegelmauer abgeschlossen, in welcher es weder Thur noch sonstige Offnung gab. Als der Jager an dieselbe klopfte, klang sie dunn und hohl. Es befand sich also hinter ihr ein zweiter Keller, welcher unter dem Herdraume lag. Und doch war in dem letzteren kein Zugang nach unten zu sehen gewesen.
Die Utahs wurden herabgereicht und nebeneinander gelegt. Old Shatterhand befurchtete, da? es ihnen an Luft mangeln werde. Als er eine darauf bezugliche Bemerkung machte, antwortete der» gro?e Bar«:»Sie konnen genugsam atmen. Hier von der Decke aus gehen Locher durch die Mauer des Hauses; es sind Hohlziegel eingesetzt. Die alten Bewohner dieser Gegend wu?ten gar wohl, was sie thaten.«
Old Shatterhand trat wie unwillkurlich, aber mit Absicht, einigemal sehr fest auf. Der Boden des Kellers klang auch hohl. Jedenfalls war die Insel, ehe man den See entstehen lie?, als hohles Gebaude aufgemauert und dann mit einem festen, fur das Wasser undurchdringlichen Erd- und Steinmantel umgeben worden. Sollte da unten, auf dem Grunde der Insel, der Schatz aufbewahrt liegen?
Zu weiteren auffalligen Untersuchungen gab es keine Zeit, denn der letzte Gefangene war plaziert, und der Hauptling stieg wieder nach oben. Old Shatterhand mu?te ihm folgen. Unter dem Dache des Gebaudes hingen an Stangen gro?e Stucke getrockneten und auch geraucherten Fleisches. Davon wurde in die Kanoes getragen, um mit an das Ufer genommen und dort verzehrt zu werden. Eben als man druben anlangte, erschien auf schaumendem Pferde der Bote, welcher um Hilfe abgeschickt worden war. So nahe hatten die Timbabatschen und auch der» gro?e Bar «die Feinde doch nicht geglaubt. Alles griff zu den Waffen und eilte zu den Pferden.
Ellen mu?te naturlich zuruckbleiben, doch nicht ohne Schutz. Es gab aber keinen, welcher sich gern von dem Ritte ausschlie?en wollte, und so war es schlie?lich ihr Vater, welcher bei ihr blieb. Er erhielt von dem» gro?en Bar «den Rat, sie hinuber nach der Insel zu rudern und dort bei ihr zu bleiben, da man dort am sichersten sei. Es blieb namlich niemand weiter am See zuruck. Zwar war wohl nichts zu befurchten, aber Vorsicht ist in solchen Fallen stets geraten. Er stieg also mit ihr in ein Kanoe, nahm seine Waffen mit und stie? vom Lande, als die andern fortritten. Diese strengten ihre Pferde weit mehr als die erste Abteilung an. Es ging im Galopp uber Stock und Stein, und in Zeit von einer Viertelstunde war der Weg zuruckgelegt, zu welchem die ersten funfzig drei Viertelstunden gebraucht hatten. Da stie?en sie auf deren Pferde. Vor ihnen fielen Schusse. Sie stiegen ab, lie?en ihre Tiere ebenfalls hier zuruck, teilten sich so schnell als moglich nach rechts und links und gelangten, ohne von den Utahs bemerkt zu werden, in die zerklufteten Felsenpartieen, welche ihren Freunden zum Versteck dienten.
Naturlich freuten sich diese uber die so schnelle Ankunft der Hilfe. Der Humply-Bill erzahlte, was geschehen war, und der Hobble-Frank war nicht wenig stolz auf das Lob, welches ihm infolgedessen erteilt wurde.
Die Utahs glaubten, es immer nur noch mit denen, welche sie gesehen hatten, zu thun zu haben. Sie schienen einzusehen, da? sie durch ein rasches Vorgehen dem Kampfe langst ein Ende hatten machen konnen, und wollten das nun nachholen. Diejenigen Verteidiger des Canon, welche vorn in den Verstecken lagen, sahen, da? die Utahs sich sammelten, und teilten das ihren Kameraden mit. Man machte sich also auf den Empfang bereit. Plotzlich erscholl ein Geheul, als ob das wilde Heer losgelassen worden sei, und die Utahs drangen vor. Ein kaum zwei Minuten fortgesetztes Krachen von beiden Seiten, und sie wichen zuruck, indem sie eine Menge Tote und Verwundete liegen lie?en. Old Shatterhand hatte hinter einem der Felsenpfeiler gestanden und mehrere Schusse abgegeben, dabei aber so gezielt, da? er die Getroffenen nicht totete, sondern nur verwundete und kampfunfahig machte. Jetzt sah er, da? die Timbabatschen sich hinaussturzten, um die Gefallenen zu skalpieren; ihr Hauptling war bei ihnen.
«Halt!«rief er mit donnernder Stimme.»La?t diese Leute liegen.«
«Warum? Ihre Skalpe gehoren uns!«antwortete das» lange Ohr«.
Dabei zog er sein Messer und buckte sich nieder, um einem Verwundeten die Kopfhaut zu nehmen. Im nachsten Augenblicke stand Old Shatterhand bei ihm, hielt ihm den Revolver vor den Kopf und drohte:»Thu einen Schnitt, so schie?e ich dich nieder.«
Das» lange Ohr «hatte wohl das Herz, ein Gewehr und einen Kugelbeutel zu stehlen, aber sich erschie?en zu lassen, dazu fehlte ihm der Mut. Er richtete sich auf und sagte im Tone freundlicher Vorstellung:»Was kannst du dagegen haben? Die Utahs wurden uns auch skalpieren.
«Wenn ich bei ihnen ware, wurden sie es bleiben lassen. Ich dulde es nicht, wenigstens bei den noch lebenden nicht.«
«So mogen sie ihre Skalpe behalten; aber den Toten werde ich sie nehmen.«
«Mit welchem Rechte?«
«Ich begreife dich nicht!«meinte der Rote betroffen.»Ein erlegter Feind mu? doch skalpiert werden!«
«Hier liegen viele. Hast du sie denn alle besiegt?«
«Nein. Einen habe ich getroffen.«
«Welchen?«
«Ich wei? es nicht.«
«Ist er tot?«
«Auch das wei? ich nicht. Er lief weiter.«
«So zeige mir denjenigen Toten, in welchem die Kugel deines Gewehres steckt; dann sollst du ihn
