euch, da? jene Viertelstunde mir zur Ewigkeit geworden ist. Es kann mir nicht einfallen, zu versuchen, euch meine Gedanken und Gefuhle zu beschreiben. Die Worte Wut und Grimm sagen gar nichts, es gibt eben kein passendes Wort. Ich war wie wahnsinnig und konnte mich doch nicht ruhren, nicht bewegen. Also endlich kam ich an die Reihe. Ich wurde aufgerichtet und angebunden. Die Schlage, welche ich nun erhielt, habe ich nicht gefuhlt. Meine Seele befand sich in einem Zustande, in welchem sie auf die korperlichen Schmerzen gar nicht achthaben konnte. Ich wei? nur, da? plotzlich vom Maisfelde her ein lauter Ruf erscholl und da?, als dieser von den Rafters nicht augenblicklich beachtet wurde, ein Schu? fiel. Ich war ohnmachtig geworden.«
«Ach, es kamen zufallig Leute, welche dich retteten!«
«Leute? Nein, denn es war nur einer. Er kannte naturlich die Verhaltnisse nicht und hatte gemeint, da? ein Dieb oder sonstiger Verbrecher gezuchtigt werde. Aus der Haltung meines Kopfes hatte er schon von weitem gesehen, da? mein Leben keinen Penny wert sei, wenn er nicht schon aus der Ferne Einhalt thue. Darum sein Ruf und sein Schu?. Er hatte nur einen Warnungsschu? gethan, also in die Luft geschossen, da er nicht geglaubt hatte, es mit Mordern zu thun zu haben. Als er dann rasch herbeikam, erkannte ihn einer der Kerls und rief erschrocken seinen Namen. Feig morden hatten sie gekonnt; aber sie, sechs Personen, es mit diesem einen aufzunehmen, dazu fehlte ihnen der Mut. Sie rannten davon; indem sie das Haus als Deckung benutzten, um nach dem Walde zu entkommen.«
«Dann mu? der Ankommling ein hochberuhmter und gefurchteter Westmann gewesen sein.«
«Westmann? Pshaw! Ein Indianer war's. Ja, Leute, ich sage euch, da? ein Roter mich rettete!«
«Ein Roter? Der so gefurchtet war, da? sechs Rafters vor ihm davonliefen? Unmoglich!«
«Zweifle nicht! Auch du wurdest, wenn du ein boses Gewissen hattest, alles im Stiche lassen, um vor ihm zu entkommen, denn es war kein andrer als Winnetou.«
«Winnetou, der Apache? Good lack! Ja, dann ist's freilich zu glauben. Aber war der denn schon damals so bekannt?«
«Er stand freilich erst im Anbeginne seines Ruhmes, aber der eine Rafter, welcher den Namen rief und dann ausri?, hatte ihn wohl schon auf eine Weise kennen gelernt, die ihm ein zweites Zusammentreffen nicht erwunscht sein lie?. Uberdies, wer Winnetou nur ein einziges Mal gesehen hat, der wei?, welchen Eindruck sein blo?es Erscheinen macht.«
«Aber er hat die Kerls entwischen lassen?«
«Einstweilen, ja. Oder hattest du es etwa anders gemacht? Aus ihrer eiligen Flucht erkannte er zwar, da? sie ein boses Gewissen hatten, aber die eigentlichen Umstande wu?te er doch nicht. Dann sah er mich hangen und die losgebundenen Leichen, die er vorher nicht hatte bemerken konnen, am Boden liegen. Nun wu?te er freilich, da? ein Verbrechen geschehen war; aber er konnte den Fliehenden nicht nach, weil er sich vor allen Dingen meiner anzunehmen hatte. Dabei war auch gar nichts versaumt, denn ein Winnetou wei? seine Leute auch spater mit Sicherheit zu finden. Als ich erwachte, kniete er neben mir, gerade wie der Samariter in der heiligen Schrift. Er hatte mich von den Fesseln und dem Knebel befreit, verbot mir aber, zu sprechen, eine Untersagung, auf welche ich nicht achtete. Ich fuhlte wahrhaftig keine Schmerzen und wollte auf und fort, um mich zu rachen. Er gab das nicht zu, schaffte mich und die Leichen in das Haus, wo ich mich, falls die Rafters es sich einfallen lassen sollten, wiederzukommen, leicht ihrer erwehren konnte, und ritt dann zum nachsten Nachbar, um eine pflegende und helfende Hand zu holen. Ich sage euch, da? dieser Nachbar uber drei?ig Meilen von mir wohnte und da? Winnetou noch nie in dieser Gegend gewesen war. Er fand ihn doch, obgleich er erst des Abends dort ankam, und brachte ihn und den Knecht gegen Morgen zu mir. Dann verlie? er mich, um die Spuren der Morder zu verfolgen. Ich mu?te ihm heilig versprechen, nicht eigenmachtig zu handeln, da dies zwecklos sei. Er blieb uber eine Woche aus. Ich hatte indessen meine Toten begraben und dem Nachbar Auftrag gegeben, meinen Besitz zu verkaufen. Meine zerschlagenen Glieder waren noch nicht heil; aber ich hatte mit wahren Schmerzen auf die Ruckkehr des Apachen gewartet. Er war den Rafters gefolgt, hatte sie des Abends belauscht und gehort, da? sie nach dem Smoky-hill-Fort wollten. Gezeigt hatte er sich ihnen nicht, ihnen auch nichts gethan, da die Rache nur die meine war. Als er sich von mir verabschiedet hatte, nahm ich die Buchse, stieg auf das Pferd und ritt fort. Das Ubrige wi?t ihr bereits oder konnt es euch denken.«
«Nein, wir wissen es nicht und denken es uns auch nicht. Erzahle nur weiter, erzahle! Warum ist Winnetou nicht mit dir gegangen?«
«Jedenfalls weil er noch andres und Besseres zu thun hatte. Oder hatte er vielleicht noch nicht genug gethan? Und weitererzahlen werde ich nicht. Ihr konnt euch denken, da? mir das kein Vergnugen sein kann. Die funf sind ausgeloscht, einer nach dem andern; der sechste und schlimmste ist mir entkommen. Er war Rafter und ist vielleicht noch bei diesem Geschafte; darum bin ich auch Rafter geworden, weil ich denke, da? ich ihn auf diese Weise am sichersten einmal treffen kann. Und nun — behold! Was fur Personen sind denn das?«
Er sprang auf, und die andern folgten seinem Beispiele, denn soeben waren zwei in bunte Decken gehullte Gestalten aus dem Dunkel des Waldes in den Lichtkreis des Feuers getreten. Es waren Indianer, ein alter und ein junger. Der erstere hob beruhigend die Hand und sagte:»Nicht Sorge haben, denn wir nicht Feinde sind! Arbeiten hier Rafters, welche schwarzen Tom kennen?«
«Ja, den kennen wir, «antwortete der alte Blenter.
«Er fur euch fort, um zu holen Geld?«
«Ja, er soll kassieren und kann in einer Woche wieder bei uns sein.«
«Er noch eher kommen. Wir also bei richtige Leute, bei Rafters, welche wir suchen. Feuer klein machen, sonst weit sehen. Und auch leise sprechen, sonst weit gehort werden.«
Er warf die Decke ab, trat an das Feuer, ri? die Brande auseinander, verloschte sie und lie? nur einige weiterbrennen. Der junge Indianer half ihm dabei. Als das geschehen war, warf er einen Blick in den Kessel, setzte sich nieder und sagte:»Uns Stuck Fleisch geben, denn wir weit geritten und nicht gegessen; gro?en Hunger haben.«
Sein so selbstandiges Beginnen erregte naturlich das Erstaunen der Rafters. Der alte Missourier gab demselben Ausdruck, indem er fragte:»Aber, Mann, was fallt dir ein! Wagst dich zu uns heran, sogar des Nachts und obgleich du ein Roter bist! Und thust genau so, als ob dieser Platz nur dir gehorte!«
«Wir nichts wagen, «lautete die Antwort.»Roter Mann mu? nicht sein schlechter Mann. Roter Mann sein guter Mann. Bleichgesicht wird das erfahren.«
«Aber wer bist du denn? Du gehorst jedenfalls nicht einem Flu?lands- und Prairiestamme an. Nach deinem Aussehen mu? ich vielmehr vermuten, da? du aus Neumexiko kommst und vielleicht ein Pueblo bist.«
«Komme aus Neumexiko, bin aber kein Pueblo. Bin Tonkawahauptling, hei?e» der gro?e Bar«, und dies mein Sohn.«
«Was,»der gro?e Bar«?«riefen mehrere Rafters uberrascht, und der Missourier fugte hinzu.»So ist dieser Knabe also» der kleine Bar«?«
«So richtig!«nickte der Rote.
«Ja, das ist etwas andres. Die beiden Tonkawabaren sind uberall willkommen. Nehmt euch Fleisch und Met, ganz wie es euch beliebt und bleibt bei uns, solange es euch gefallt. Was aber fuhrt euch denn in diese Gegend?«
«Wir kommen, um Rafters warnen.«
«Warum? Gibt es fur uns eine Gefahr?«
«Gro?e Gefahr.«
«Welche denn? Sprich!«
«Tonkawa erst essen und Pferde holen, dann reden.«
Er gab seinem Sohne einen Wink, worauf dieser sich entfernte, und nahm sich dann ein Stuck Fleisch aus dem Kessel, welches er mit solcher Ruhe zu verzehren begann, als ob er sich daheim in seinem sichern Wigwam befande.
«Pferde habt ihr mit?«fragte der Alte.»Des Nachts hier im finstern Walde? Und dabei habt ihr uns gesucht und auch wirklich gefunden! Das ist wirklich eine Art Meisterstuck von euch!«
«Tonkawa hat Augen und Ohren. Er wei?, da? Rafters stets wohnen am Wasser, am Flu?. Ihr sehr laut reden und gro?es Feuer brennen, welches wir sehen sehr weit und riechen noch weiter. Rafters sehr unvorsichtig, denn Feinde haben es leicht, sie zu finden.«
«Es gibt hier keine Feinde. Wir befinden uns ganz allein in dieser Gegend und sind auf alle Falle stark genug, uns etwaiger Feinde zu erwehren.«
«Missouri-Blenter sich irren!«