irgendwo eine Mutter mit zwei Sohnen ermordet oder, wie du behauptest, gar totgepeitscht worden sind!«

«Aber du kennst mich doch! Du hast es mir vorhin selbst gesagt.«

«Mu? ich, wenn ich dich einmal gesehen habe, der Mann sein, den du meinst? Auch der Knabe da verkennt mich vollstandig. Jedenfalls ist der Mann, von welchem er redet, derjenige, von welchem auch du gesprochen hast; aber ich kenne den jungen Boy nicht und — «

Er hielt plotzlich inne, als ob er uber irgend etwas erschrocken oder erstaunt sei, fa?te sich aber augenblicklich und fuhr in demselben Tone fort:» — und habe ihn niemals gesehen. Nun klagt mich meinetwegen an, aber bringt Beweise. Wenn ihr mich einer zufalligen Ahnlichkeit wegen verurteilen und exekutieren wollt, so seid ihr einfach Morder, und das traue ich wenigstens dem beruhmten Old Firehand nicht zu, in dessen Schutz ich mich hiemit begebe.«

Da? er sich mitten in dem Satze unterbrach, hatte einen sehr triftigen Grund. Er sa? da, wo die Leichen lagen; er hatte mit dem Kopfe auf einer derselben gelegen. Als ihn dann der Missourier zum Sitzen aufrichtete, hatte der steife, leblose Korper derselben eine leichte rollende Bewegung gemacht, welche keinem Menschen auffallen konnte, da sie in dem Rotkopfigen ihren Stutzpunkt verloren hatte. Nun lag sie hart hinter ihm, und zwar in seinem Schatten, weil dem Feuer entgegengesetzt. Aber dieser Mann war keineswegs tot, er war nicht einmal verwundet. Er gehorte zu denen, welche Old Firehand mit dem Kolben niedergeschlagen hatte. Das Blut seiner getoteten Kameraden hatte ihn bespritzt und ihm das Aussehen gegeben, als ob er selbst getroffen worden sei. Als er dann wieder zu sich kam, sah er sich unter den Toten, denen soeben die Taschen geleert, und die Waffen abgenommen wurden. Er ware zwar gern aufgesprungen und entflohen, da er nur vier Feinde zahlte, aber in den Flu? wollte er nicht, und von der andern Seite ertonte das Geschrei der herannahenden Rafters. Darum beschlo? er, einen gunstigen Augenblick abzuwarten. Er zog heimlich sein Messer und verbarg es im Armel; dann trat der Missourier zu ihm, wendete ihn hin und her, hielt ihn fur tot, nahm ihm ab, was sich in den Taschen und im Gurtel befand, und zog ihn nach der Stelle, wo die Leichen liegen sollten.

Von da an hatte der Tramp mit nur leise geoffnetem Auge alles beobachtet. Er war nicht gefesselt worden und konnte also im geeigneten Augenblicke aufspringen und davonlaufen. Da legte man den Cornel auf ihn, und sofort kam ihm der Gedanke, diesen auch zu befreien. Als der Rothaarige aufgerichtet wurde, rollte sich der angeblich Tote nach, so da? er hinter ihm zu liegen kam, dem die Hande hinten zusammengebunden waren. Wahrend der Cornel sprach, und aller Aufmerksamkeit auf ihn gerichtet war, zog der Tramp sein Messer aus dem Armel und zerschnitt ihm mit einer vorsichtigen Bewegung die Fessel, worauf er ihm den Messergriff in die rechte Hand schob, damit er sich mit einer schnellen Bewegung auch der Fu?bande entledigen und plotzlich aufspringen und entfliehen konne. Der Rothaarige fuhlte naturlich die heimliche Befreiung seiner Hande; er fuhlte den Messergriff, den er sofort fa?te, und war daruber erstaunt, da? er fur einen Augenblick die Fassung verlor und in der Rede inne hielt, aber eben nur fur einen kurzen Augenblick; dann sprach er weiter, und niemand merkte, was hinter dem Rucken des Angeklagten geschehen war. Da derselbe sich auf die Rechtlichkeit Old Firehands bezogen hatte, antwortete ihm dieser.»Wo ich mit drein zu reden habe, da findet kein Mord statt; darauf kannst du dich verlassen. Aber ebenso gewi? ist, da? ich mich durch die Rote deines Haares nicht irre machen lasse. Es kann gefarbt sein.«

«Oho! Kann man Haare, welche sich noch auf dem Kopfe befinden, auch rot farben?«

«Allerdings, «nickte der Jager bedeutungsvoll.

«Etwa mit Ruddle?«fragte der Cornel mit einem gepre?ten Lachen.»Der wurde schon abfarben!«

«Lache immerhin; du wirst nicht lange hohnen, «antwortete Old Firehand in ruhigem, uberlegenem Tone.»Andre magst du tauschen, mich aber nicht.«

Er trat zu den Waffen und Sachen, welche den Gefangenen und Toten abgenommen worden waren, buckte sich nieder, hob den Lederbeutel auf, welcher am Gurtel des Cornels gehangen hatte, und sprach weiter, indem er denselben offnete:»Ich habe diesen Beutel schon vorhin untersucht, und darin einige Gegenstande gefunden, deren Zweck und Gebrauch mir unklar war; jetzt aber geht mir eine Ahnung auf, welche vielleicht die richtige ist.«

Er zog ein zugestopseltes Flaschchen, eine kleine Raspel und ein fingerlanges Aststuckchen, an welchem sich noch die Rinde befand, hervor, hielt dem Rothaarigen diese drei Gegenstande vor die Augen und fragte ihn:»Wozu fuhrst du diese Sachen mit dir herum?«

Das Gesicht des Gefragten wurde um einige Tone blasser, doch antwortete er sofort und in zuversichtlichem Tone:»Welch ein Wunder, da? der gro?e Firehand sich um solche Kleinigkeiten kummert! Wer hatte das gedacht! Das Flaschchen enthielt eine Medizin; die Raspel ist fur jeden Westmann ein unentbehrliches Instrument, und das Stuck Holz kam ganz zufallig in den Beutel, ohne da? es einen besonderen Zweck hat. Seid Ihr nun zufrieden, Sir?«

Er warf bei dieser Frage einen hohnischen, dabei aber angstlich forschenden Blick in das Gesicht des riesigen Jagers. Dieser antwortete in seiner ernsten, bestimmten Weise:»Ja, ich bin befriedigt, aber nicht durch deine Worte, sondern durch meine Folgerungen. Der Tramp bedarf keiner Raspel, zumal von so winziger Gro?e, eine Feile wird ihm von viel gro?erem Nutzen sein. Dieses Flaschchen enthalt Raspelspane in Spiritus, und dieses Stuck Holz ist, wie ich nach der Rinde urteile, ein Stuck vom Aste eines Zurgelbaumes. Nun aber wei? ich sehr genau, da? man mit geraspeltem Zurgelholze, welches in Spiritus gestanden hat, selbst das dunkelste Haar rot zu farben vermag; folglich — nun, was sagst du dazu?«

«Da? ich von dem ganzen gelehrten Vortrage kein Wort verstehe und begreife, «antwortete der Cornel zornig.»Mochte doch den Menschen sehen, dem es einfallen konnte, sein schones, schwarzes Haar fuchsrot zu farben. Der Kerl hatte ja einen sehr schonen, bewundernswerten Geschmack!«

«Der Geschmack ist hier ganz gleichgultig; auf den Zweck kommt es an. Ein Mensch, welcher wegen schwerer Verbrechen verfolgt wird, farbt sich das Haar gewi? gern rot, wenn er dadurch sein Leben retten kann. Ich bin uberzeugt, da? du der Gesuchte bist, und werde morgen fruh, wenn es hell geworden ist, deinen Kopf und dein Haar genau untersuchen.«

«So lange brauchen wir gar nicht zu warten, «fiel Fred ein.»Es gibt ein Erkennungszeichen. Als er mich niederwarf und mit Fu?en trat, stach ich ihm mit dem Messer in die Wade, huben hinein und druben heraus, so, da? das Messer stecken blieb. Er mag den Unterschenkel entblo?en. Ist er der Richtige, was ich gar nicht bezweifle, so mussen die zwei Narben noch zu sehen sein.«

Nichts konnte dem Rothaarigen so gelegen kommen, wie dieser Vorschlag. Wurde derselbe ausgefuhrt, so brauchte er sich die Fu?fessel nicht selbst zu durchschneiden. Darum antwortete er schnell:»Well, mein sehr kluger Boy. In diesem Falle wirst du dich uberzeugen, da? ihr euch alle irrt. Bei deiner gro?en Pfiffigkeit aber mu? ich mich wundern, da? du von mir verlangen kannst, die Hosen aufzustreifen. Einem Menschen, welchem sowohl die Hande, als auch die Beine gefesselt sind, ist das doch wohl unmoglich.«

«Das wei? ich. Darum werde ich es selbst thun.«

Der Eifer trieb den Knaben hin zu dem Gefangenen. Er kniete bei ihm nieder und nestelte an dem Riemen, welcher demselben in der Wadengegend um die Beine gebunden war. Als der Knoten geoffnet war, wollte er das eine Bein der Nankinghose abstreifen, erhielt aber von dem Rothaarigen einen solchen Sto? mit den beiden Fu?en, da? er weit fortflog. Im nachsten Augenblick schnellte der Cornel auf.

«Good bye, Mesch'schurs! Wir sehen uns wieder!«rief er aus, warf sich, das Messer hoch schwingend, zwischen zwei Rafters hindurch und scho? uber die Lichtung hinuber den Baumen zu.

Diese Flucht des Mannes, den man fur sehr gut gefesselt gehalten hatte, kam, au?er zweien, den Anwesenden so unerwartet, da? sie wie angenagelt standen. Die beiden Ausnahmen waren Old Firehand und die Tante Droll. Der erstere besa? eine Geistesgegenwart, auf welche man sich in der ungewohnlichsten Lage verlassen konnte und der letztere stand ihm in dieser Beziehung beinahe gleich, trotz seiner anderen Eigenschaften, welche einen Vergleich zwischen ihm und dem beruhmten Jager gar nicht aufkommen lie?en.

Sobald der Rothaarige sich aus seiner sitzenden Lage aufschnellte und das Messer erhob, hatte Old Firehand auch schon zum Sprunge ausgeholt, um ihn zu fassen und festzuhalten; aber er traf da auf ein unerwartetes Hindernis. Der fur tot gehaltene Tramp namlich hielt seine Zeit fur gekommen. Da aller Aufmerksamkeit auf den Cornel gerichtet war, so glaubte er jetzt leicht fliehen zu konnen. Er sprang also auch auf und schnellte sich an dem Feuer voruber, um den Kreis der Rafters zu durchbrechen. In demselben Augenblicke kam Old Firehand in gewaltigem Satze uber die Flamme herubergeflogen und stie? mit dem Tramp zusammen. Diesen packen, emporheben und niederwerfen, da? es formlich krachte, war fur ihn das Werk von nur zwei Sekunden.

«Bindet diesen Kerl, der nicht tot gewesen ist!«rief er, drehte sich nach dem Cornel um, welchem der

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