Als die beiden sich bis auf bequeme Horweite genahert hatten, lupfte der Kastentrager leicht seinen Hut und gru?te den andern:»Good day, Kamerad. Woher des Weges?«

«Von Kinsley da unten, «antwortete der Gefragte, indem er mit der Hand ruckwarts deutete.»Und Ihr?«

«Von uberall her. Zuletzt von der Farm, welche da hinter mir liegt.«

«Und wohin wollt Ihr?«

«Uberall hin. Zunachst nach der Farm, welche da vor uns liegt.«

«Gibt es da eine?«

«Ja. Wir werden kaum langer als eine halbe Stunde zu gehen haben.«

«Gott sei Dank! Ich hatte es auch nicht langer aushalten konnen!«

Er sagte das mit einem tiefen Seufzer. Er war herangekommen und stehen geblieben, wobei man seinen Korper wanken sah.

«Nicht aushalten? Warum?«

«Vor Hunger.«

«Alle Teufel! Hunger? Ist das moglich! Warte, da kann ich helfen. Setzt Euch nieder, hierher auf meinen Kasten. Ihr sollt gleich etwas zwischen die Zahne bekommen.«

Er legte den Kasten ab, druckte den Fremden auf denselben nieder, zog dann aus der Brusttasche seines Frackes zwei riesige Butterbrote hervor, brachte aus der einen Scho?tasche ein gro?es Stuck Schinken zum Vorscheine, reichte beides dem Hungrigen und fuhr fort:»Da e?t, Kamerad! Es sind nicht etwa Delikatessen, aber fur den Hunger wird es ausreichend sein.«

Der andre griff schnell zu. Er war so hungrig, da? er das Brot sofort zum Munde fuhren wollte; hoch besann er sich, hielt in dieser Bewegung inne und meinte:»Ihr seid sehr gutig, Sir; aber diese Sachen sind fur Euch bestimmt; wenn ich sie esse, werdet dann Ihr selbst hungern mussen.«

«O nein! Ich sage Euch, da? ich auf der nachsten Farm soviel zu essen bekommen werde, wie mir beliebt.«

«So seid Ihr dort bekannt?«

«Nein. Ich war noch nie in dieser Gegend. Aber sprecht jetzt nicht, sondern e?t!«

Der Hungrige folgte dieser Aufforderung, und der Yankee setzte sich in das Gras, sah ihm zu und freute sich daruber, da? die riesigen Bissen so schnell hinter den gesunden Zahnen des Essenden verschwanden. Als sowohl Brot wie auch Schinken alle geworden waren, fragte er:»Satt seid Ihr noch nicht, aber einstweilen befriedigt wohl?«

«Ich bin wie neugeboren, Sir. Denkt Euch, ich bin seit drei Tagen unterwegs, ohne einen Bissen zu essen.«

«Ist das denkbar! Von Kinsley bis hierher habt Ihr nichts gegessen? Warum? Konntet Ihr Euch denn nicht Proviant mitnehmen?«

«Nein. Meine Abreise ging zu plotzlich vor sich.«

«Oder unterwegs einkehren?«

«Ich habe die Farmen vermeiden mussen.«

«Ah so! Aber Ihr habt ein Gewehr bei Euch; da konntet Ihr Euch doch ein Wild schie?en!«

«O, Sir, ich bin kein Schutze. Ich treffe eher den Mond als einen Hund, der gerade vor mir sitzt.«

«Wozu dann aber das Gewehr?«

«Um etwaige rote oder wei?e Vagabunden abzuschrecken.«

Der Yanke sah ihn forschend an und meinte dann:»Hort, Master, bei Euch ist irgend etwas nicht in Ordnung. Ihr scheint Euch auf der Flucht zu befinden und doch ein hochst ungefahrliches Subjekt zu sein. Wo wollt Ihr denn eigentlich hin?«

«Nach Sheridan an die Eisenbahn.«

«So weit noch, und ohne Lebens- und Existenzmittel! Da konnt Ihr leicht Schiffbruch leiden. Ich bin Euch unbekannt, aber wenn man sich in der Not befindet, so ist es gut, Vertrauen zu fassen. Sagt mir also, wo Euch der Schuh druckt. Vielleicht kann ich Euch helfen.«

«Das ist bald gesagt. Ihr seid nicht aus Kinsley, sonst mu?te ich Euch kennen, und konnt also nicht zu meinen Feinden gehoren. Ich hei?e Haller; meine Eltern waren Deutsche. Sie kamen aus dem alten Lande heruber, um es zu etwas zu bringen, kamen aber nicht vorwarts. Auch mir haben keine Rosen gebluht. Ich habe mancherlei gemacht und gearbeitet, bis ich vor zwei Jahren Bahnschreiber wurde. Zuletzt war ich in Kinsley angestellt. Sir, ich bin ein Kerl, der keinen Wurm treffen kann, aber wenn man allzusehr beleidigt wird, so lauft endlich die Galle uber. Ich bekam mit dem dortigen Redakteur einen Streit, auf welchen ein Duell folgte. Denkt Euch, ein Duell auf Flinten. Und ich habe niemals im Leben so ein Mordwerkzeug in den Handen gehabt! Ein Duell auf Flinten, drei?ig Schritt Distanz! Es wurde mir gelb und blau vor den Augen, als ich es nur horte. Ich will es kurz machen: die Stunde kam, und wir stellten uns auf. Sir, denkt von mir, was Ihr wollt, aber ich bin ein friedfertiger Mann und mag kein Morder sein. Schon bei dem Gedanken, da? ich den Gegner toten konnte, uberlief mich eine Gansehaut, welche so scharf wie ein Reibeisen war. Darum zielte ich, als kommandiert wurde, mehrere Ellen weit daneben. Ich druckte ab, er auch. Die Schusse gingen los — denkt Euch, ich war nicht getroffen, aber meine Kugel war ihm gerade durch das Herz gegangen. Die Flinte, die gar nicht mir gehorte, festhaltend, rannte ich entsetzt fort. Ich behaupte, da? der Lauf krumm ist; die Kugel geht volle drei Ellen zu weit nach links. Was aber das Schlimmste war, der Redakteur hatte einen zahl- und einflu?reichen Anhang, und das hat hier im Westen gar viel zu bedeuten. Ich mu?te fliehen, sofort fliehen, und nahm mir nur Zeit, mich kurz von meinem Vorgesetzten zu verabschieden. Meiner ferneren Existenz wegen gab er mir den Rat, nach Sheridan zu gehen, und handigte mir einen offenen Empfehlungsbrief an den dortigen Ingenieur ein. Ihr konnt ihn lesen, um Euch zu uberzeugen, da? ich die Wahrheit sage.«

Er zog ein Schreiben aus der Tasche, offnete es und gab es dem Yankee. Dieser las:

«Liebster Charoy.

Hier sende ich Dir Master Joseph Haller, meinen bisherigen Schreiber. Er ist von deutscher Abstammung, ein ehrlicher, treuer und flei?iger Kerl, hat aber das Ungluck gehabt, um die Ecke zu schie?en und gerade darum seinen Gegner in den Sand zu legen. Er mu? darum fur einige Zeit von hier fort, und Du thust mir einen Gefallen, wenn Du ihn in Deinem Bureau so lange beschaftigst, bis hier Gras uber die Angelegenheit gewachsen ist.

Dein

Bent Norton.«

Unter diesem Namen war zur besseren Legitimation noch ein Stempel angebracht. Der Yankee faltete den Brief wieder zusammen, gab ihn dem Eigentumer zuruck und sagte, indem ein halb ironisches, halb mitleidiges Lacheln um seine Lippen spielte:»Ich glaube Euern Worten, Master Haller, auch ohne da? Ihr mir diesen Brief zu zeigen braucht. Wer Euch sieht und sprechen hort, der wei?, da? er einen grundehrlichen Menschen, welcher gewi? mit Willen kein Wasserlein trubt, vor sich hat. Mir geht es gerade wie Euch, auch ich bin kein gro?er Jager und Schutze vor dem Herrn. Das ist kein Fehler, denn der Mensch lebt nicht durch Pulver und Blei allein. Aber so sehr angstlich wie Ihr, ware ich an Eurer Stelle denn doch nicht gewesen. Ich glaube, Ihr habt Euch ein wenig ins Bockshorn jagen lassen.«

«O nein; die Sache war wirklich gefahrlich.«

«So seid Ihr uberzeugt, da? man Euch verfolgt hat?«

«Gewi?! Darum habe ich bisher alle Farmen vermieden, damit man nicht erfahren soll, wohin ich mich gewendet habe.«

«Und seid Ihr uberzeugt, da? Ihr in Sheridan gut aufgenommen werdet und eine Stelle erhaltet?«

«Ja, denn Mr. Norton und Mr. Charoy, der Ingenieur in Sheridan, sind au?erordentlich befreundet.«

«Nun, welchen Gehalt gedenkt Ihr dort zu beziehen?«

«Ich hatte jetzt wochentlich acht Dollar und meine, da? man mich dort ebenso bezahlen wird.«

«So! Ich wei? eine Anstellung mit noch einmal so viel, also sechzehn Dollar und freie Station fur Euch.«

«Was? Wirklich?«rief der Schreiber erfreut, indem er aufsprang.»Sechzehn Dollar? Das ist ja geradezu zum Reichwerden!«

«Wenn auch das nicht; aber sparen konntet Ihr Euch etwas dabei.«

«Wo ist diese Stelle zu haben? Bei wem?«

«Bei mir.«

«Bei — Euch?«erklang es im Tone der Enttauschung.

«Allerdings. Wahrscheinlich traut Ihr mir das nicht zu?«

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