Zehntes Kapitel
Am Eagle-tail
Die Arbeiter in Sheridan waren meist Deutsche und Irlander. Sie hatten von all den eben erzahlten Vorgangen noch keine Ahnung, da man es doch fur moglich hielt, da? der Cornel einen oder einige Kundschafter senden werde, um sie zu beobachten, und da diese aus dem Gebaren der Leute vielleicht hatten schlie?en und erraten konnen, da? dieselben unterrichtet seien. Aber als die Stunde des Feierabends gekommen war, teilte der Ingenieur seinem Overseer of the workmen das Notige mit und gab ihm den Auftrag, die Arbeiter in unauffalliger Weise damit bekannt zu machen und ihnen anzudeuten, da? sie sich moglichst unbefangen zu verhalten hatten, damit etwaige Spaher nicht mi?trauisch wurden.
Der Schichtmeister war ein New-Hampshireman und hatte ein sehr bewegtes Leben hinter sich. Ursprunglich fur das Baufach bestimmt, und auch eine Reihe von Jahren in demselben thatig gewesen, hatte er es nicht zur Selbstandigkeit gebracht und darum nach anderm gegriffen, was fur den Yankee gar keine Schande ist. Das Gluck war ihm aber auch da nicht hold gewesen, und so hatte er dem Osten Valet gesagt und war uber den Mississippi gegangen, um dort sein Heil zu versuchen, leider aber mit ganz demselben Mi?erfolg. Nun endlich hatte er hier in Sheridan seine jetzige Anstellung, in welcher er die fruher erworbenen Kenntnisse verwerten konnte, gefunden, fuhlte sich aber keineswegs befriedigt. Wer die Luft der Prairie und des Urwaldes einmal eingeatmet hat, dem ist es schwer, wenn nicht gar unmoglich, sich in geordnete Verhaltnisse zu finden.
Dieser Mann, welcher Watson hie?, war au?erordentlich erfreut, als er horte, was geschehen solle.
«Gott sei Dank, endlich einmal eine Unterbrechung dieses alltaglichen, immerwahrenden Einerlei!«sagte er.»Meine alte Rifle hat lange im Winkel gelegen und sich danach gesehnt, wieder einmal ein vernunftiges Wort sprechen zu konnen. Ich schatze, da? sie heute die Gelegenheit dazu finden wird. Aber, wie ist mir denn? Der Name, den Ihr da genannt habt, kommt mir nicht unbekannt vor, Sir. Der rote Cornel? Und Brinkley soll er hei?en? Ich bin einmal einem Brinkley begegnet, welcher falsches, rotes Haar trug, obgleich sein naturlicher Skalp von dunkler Farbe war. Ich habe dieses Zusammentreffen beinahe mit dem Leben bezahlt.«
«Wo und wann ist das gewesen?«fragte Old Firehand.
«Vor zwei Jahren, und zwar droben am Grand River. Ich war mit einem Mate, einem Deutschen, welcher Engel hie?, droben am Silbersee gewesen, wir wollten nach Pueblo und dann auf der Arkansasstra?e nach dem Osten, um uns dort die Werkzeuge zu einem Unternehmen zu verschaffen, welches uns zu Millionaren gemacht hatte.«
Old Firehand horchte auf.
«Engel hie? der Mann?«fragte er.»Ein Unternehmen, welches Euch Millionen bringen sollte? Darf man vielleicht etwas Naheres uber dasselbe erfahren?«
«Warum nicht! Wir beide hatten uns zwar das tiefste Schweigen gelobt; aber die Millionen sind in Nichts zerronnen, weil der Plan nicht zur Ausfuhrung gekommen ist, und darum schatze ich, da? ich nicht mehr an das Gelobnis der Verschwiegenheit gebunden bin. Es handelte sich namlich um die Hebung eines ungeheuren Schatzes, welcher in das Wasser des Silbersees versenkt worden ist.«
Der Ingenieur lie? ein kurzes, unglaubiges Lachen horen; darum fuhr der Schichtmeister fort:»Es mag das abenteuerlich klingen, Sir; aber es ist trotzdem wahr. Ihr, Mr. Firehand, seid einer der beruhmtesten Westmanner und werdet manches erlebt und erfahren haben, was Euch, falls Ihr es erzahlen wolltet, niemand glauben wurde. Vielleicht lacht wenigstens Ihr nicht uber meine Worte.«
«Fallt mir gar nicht ein, «antwortete der Jager in ernstestem Tone.»Ich bin gern bereit, Euch allen Glauben zu schenken, und habe meine guten Grunde dazu. Auch ich habe als ganz gewi? erfahren, da? ein Schatz in der Tiefe des Sees liegen soll.«
«Wirklich? Nun, dann werdet Ihr mich nicht fur einen leichtglaubigen Menschen oder gar fur einen Schwindler halten. Ich schatze, es mit gutem Gewissen beschworen zu konnen, da? es mit diesem Schatze seine Richtigkeit habe. Der, welcher uns davon erzahlte, hat uns gewi? nicht belogen.«
«Wer war das?«
«Ein alter Indianer. Ich habe noch nie einen so ur-, ur-, uralten Menschen gesehen. Er war geradezu zum Gerippe abgezehrt und sagte uns selbst, da? er weit mehr als hundert Sommer erlebt habe. Er nannte sich Hauey-kolakakho, teilte uns aber einst vertraulich mit, da? er eigentlich Ikhatschi-tatli hei?e. Was diese indianischen Namen zu bedeuten haben, wei? ich nicht.«
«Aber ich wei? es, «fiel Old Firehand ein.»Der erstere gehort der Tonkawa-, der zweite der aztekischen Sprache an, und beide haben ganz dieselbe Bedeutung, namlich» gro?er Vater«. Sprecht weiter, Mr. Watson. Ich bin au?erordentlich begierig, zu erfahren, auf welche Weise Ihr diesen Indianer kennen gelernt habt.«
«Nun es ist eigentlich gar nichts Besonderes, oder gar Abenteuerliches dabei. Ich hatte mich in der Zeit verrechnet und war zu lange in den Bergen geblieben, so da? ich von dem ersten Schnee uberrascht wurde. Ich mu?te also oben bleiben und mich nach einem Orte umsehen, an welchem ich, ohne verhungern zu mussen, uberwintern konnte. Ich ganz allein, tief eingeschneit, das war kein Spa?! Glucklicherweise kam ich noch bis an den Silbersee und erblickte dort eine Steinhutte, aus welcher Rauch aufstieg; ich war gerettet. Der Besitzer dieser Hutte war eben jener alte Indianer. Er hatte einen Enkel und einen Urenkel, Namens der gro?e und der kleine Bar, welche — «
«Ah! Nintropan-hauey und Nintropan-homosch?«fiel Old Firehand ein.
«Ja, so waren die indianischen Worte. Kennt Ihr vielleicht diese beiden, Sir?«
«Ja. Doch weiter, weiter!«
«Die beiden» Baren «waren nach den Wahsatschbergen hinuber, wo sie bis zum Fruhjahr bleiben mu?ten. Der Winter kam allzufruh, und es war eine vollstandige Unmoglichkeit, durch den Massenschnee von dort heruber nach dem Silbersee zu kommen. Jedenfalls waren sie um den Alten in gro?er Sorge. Sie wu?ten ihn allein und mu?ten uberzeugt sein, da? er in dieser Einsamkeit zu Grunde gehen musse. Glucklicherweise kam ich zu ihm, und fand auch schon einen andern in seiner Hutte, eben den vorhin erwahnten Deutschen, Namens Engel, welcher sich gerade so wie ich vor dem ersten Schneesturme hierher gerettet hatte. Ich schatze, da? es geraten ist, mich kurz zu fassen, und will nur sagen, da? wir drei den ganzen Winter miteinander verlebten. Zu hungern brauchten wir nicht; es gab Wild genug; aber die Kalte hatte den Alten zu sehr angegriffen, und als die ersten lauen Lufte wehten, mu?ten wir ihn begraben. Er hatte uns lieb gewonnen und teilte uns, um sich uns dankbar zu erweisen, das Geheimnis vom Schatze des Silbersees mit. Er besa? ein uraltes Lederstuck, auf welchem sich eine genaue Zeichnung der betreffenden Stelle befand, und erlaubte uns, eine Kopie davon zu machen. Zufalligerweise hatte Engel Papier bei sich, ohne welches wir die Zeichnung nicht hatten erhalten konnen, weil der Alte das Leder uns nicht geben, sondern dasselbe fur die beiden» Baren «aufbewahren wollte. Er hat es am Tage vor seinem Tode vergraben, doch wo, das erfuhren wir nicht, da wir seinen Willen achteten und nicht nachforschten. Als er dann unter seinem Hugel lag, brachen wir auf. Engel hatte die Zeichnung in seinen Jagdrock eingenaht.«
«Ihr habt nicht auf die Ruckkehr der beiden» Baren «gewartet?«fragte Old Firehand.
«Nein.«
«Das war ein gro?er Fehler!«
«Mag sein, aber wir waren monatelang eingeschneit gewesen und sehnten uns nach Menschen. Wir kamen auch bald unter Leute, aber unter welche. Wir wurden von einer Schar Utahindianer uberfallen und vollstandig ausgeraubt. Sie hatten uns sicher getotet; aber sie kannten den alten Indianer, welcher bei ihnen in gro?en Ehren gestanden hatte, und als sie erfuhren, da? wir uns seiner angenommen und ihn dann nach seinem Tode begraben hatten, schenkten sie uns das Leben, gaben uns wenigstens die Kleider zuruck und lie?en uns laufen. Unsre Waffen aber behielten sie, ein Umstand, den wir ihnen nicht danken konnten, da wir ohne Waffen allen Fahrlichkeiten, sogar dem Hungertode preisgegeben waren. Glucklicher oder vielmehr unglucklicherweise trafen wir am dritten Tage auf einen Jager, von welchem wir Fleisch erhielten. Als er horte, da? wir nach Pueblo wollten, gab er vor, dasselbe Ziel zu haben, und erlaubte uns, uns ihm anzuschlie?en.«
«Das war der rote Brinkley?«
«Ja. Er nannte sich zwar anders, aber ich habe spater erfahren, da? er so hie?. Er fragte uns aus, und wir sagten ihm alles; nur das von dem Schatze und der Zeichnung, welche Engel bei sich trug, verschwiegen wir ihm, denn er hatte kein vertrauenerweckendes Aussehen. Ich kann nicht dafur, aber ich habe stets gegen rothaarige Menschen einen Widerwillen gehabt, obgleich ich schatze, da? es unter ihnen auch nicht mehr Schurken gibt, als