«Das wei?t du schon?«

«Die Augen des» gro?en Wolfes «sind scharf, und seinen Ohren kann kein Gerausch entgehen. Gehoren die Navajos nicht zu dem Stamme der Apachen? Mussen wir also Winnetou nicht als unsern Feind betrachten? Wehe ihm, wenn er in unsre Hande fallt!«

«Und wehe dann auch euch! Ich warne dich. Ihr hattet nicht nur die Krieger der Wei?en gegen euch, sondern auch viele tausend Streiter der Mescaleros, der Llaneros, der Xicarillas, Taracones, Navajos, Tschiriguamis, Pilanenjos, Lipans, Coppers, Gilas und Mimbrenjos, welche ja alle zu dem Stamme der Apachen gehoren. Diese wurden gegen euch ziehen, und die Wei?en brauchten nichts zu thun, als nur ruhig zuzusehen, wie sich die Utahs und Apachen untereinander aufreiben. Willst du euern bleichen Feinden wirklich diese Freude machen?«

Der Hauptling sah vor sich nieder und antwortete nach einer Weile:»Du hast die Wahrheit gesagt; aber die Bleichgesichter drangen von allen Seiten auf uns ein; sie uberschwemmen uns, und der rote Mann ist verurteilt, eines langsamen und qualvollen Erstickungstodes zu sterben. Ist es da nicht besser fur ihn, den Kampf so zu fuhren, da? er rascher stirbt und rascher vernichtet wird? Der Blick, welchen du mir in die Zukunft offnest, kann mich nicht abhalten, sondern mich nur darin bestarken, das Kriegsbeil ohne Gnade und Rucksicht zu gebrauchen. Gib dir also keine Muhe; es bleibt bei dem, was ich gesagt habe.«

«Da? ihr uns also am Marterpfahle sterben lassen wollt?«

«Ja. Ergibst du dich in das Schicksal, welches dir meine Worte bezeichneten?«

«Ja, «antwortete Old Shatterhand mit solcher Ruhe, da? der Rote schnell rief:»So liefert eure Waffen ab!«

«Das werden wir freilich nicht thun!«

«Aber du sagst ja, da? du dich ergeben willst!«erklang es im Tone der Verwunderung.

«Allerdings, namlich in das Schicksal, welches uns durch deine Worte verkundet wird. Was aber hast du gesagt? Da? ihr jedes Bleichgesicht, welches in eure Hande fallt, toten werdet. Oder ist es nicht so?«

«Ja, so waren meine Worte, «nickte der Rote, darauf gespannt, was Old Shatterhand darauf vorbringen werde.

«Gut, so totet uns, wenn wir in eure Hande gefallen sind, was aber bis jetzt noch nicht geschehen ist.«

«Uff! Glaubst du uns etwa zu entkommen?«

«Allerdings.«

«Das ist unmoglich. Wei?t du, wie viele Krieger ich bei mir habe? Es sind ihrer zweihundert!«

«Blo?? Vielleicht hast du dir erzahlen lassen, da? schon gro?ere Horden sich vergeblich die Muhe gegeben haben, mich zu fangen oder festzuhalten.«

«Aber zweihundert und ihr nur vier! Es ist keine Lucke vorhanden, durch welche ihr entschlupfen konntet!«

«So werden wir uns eine Lucke machen!«

«Ihr wurdet dabei getotet werden!«

«Moglich! Aber wie viele deiner Krieger wurdest du dabei einbu?en! Ich rechne auf jeden meiner Gefahrten wenigstens zwanzig und ich selbst werde gewi? viel mehr als funfzig erschie?en, ehe ihr mich in eure Hande bekommt.«

Er sagte das mit einer solchen Zuversicht, da? der Rote ihn erstaunt anschaute. Dann stie? der letztere ein rauhes Lachen hervor und sagte, indem er die Hand geringschatzend auf und nieder bewegte:»Die Gedanken deines Kopfes verwirren sich. Du bist ein kuhner Jager, aber wie konntest du funfzig Krieger erlegen?«

«Mit Leichtigkeit. Hast du noch nicht erfahren, was fur Waffen ich besitze?«

«Du sollst ein Gewehr besitzen, aus welchem man immerfort schie?en kann, ohne ein einziges Mal laden zu mussen; aber das ist eine Unmoglichkeit, ich glaube es nicht.«

«Soll ich es dir zeigen?«

«Ja, zeige es!«rief der Hauptling, ganz elektrisiert von dem Gedanken, dieses geheimnisvolle Gewehr, an welches sich so viele Sagen knupften, sehen zu konnen.

«So werde ich es mir geben lassen und es dir bringen.«

Er stand auf und schritt zum Felsen, um den Stutzen zu holen. Wie die Verhaltnisse lagen, mu?te er vor allen Dingen danach trachten, die Indianer trotz ihrer Uberzahl einzuschuchtern und besturzt zu machen, und dazu war dieses Gewehr am besten geeignet. Er wu?te, welche und wie viele Sagen uber dasselbe unter den Roten kursierten. Sie hielten es fur eine Zauberflinte, welche der» gro?e Manitou «dem Jager gegeben habe, um denselben unuberwindlich zu machen. Jemmy langte sie ihm von dem Felsen herab; er kehrte zu dem Hauptling zuruck, hielt sie ihm hin und sagte:»Hier ist das Gewehr; nimm es, und siehe es dir an!«

Schon streckte der Rote die Hand aus; aber er zog sie wieder zuruck und fragte:»Darf denn auch ein andrer als du es angreifen? Wenn es wirklich das Zaubergewehr ist, so mu? es jedem, dem es nicht gehort, Gefahr bringen, sobald er es beruhrt.«

Diese vorteilhafte Ansicht mu?te Old Shatterhand ausbeuten. Mu?te er sich mit seinen Begleitern den Roten ergeben, so war er mit ihnen jedenfalls gezwungen, die Waffen alle auszuliefern. In diesem Falle kam es sehr darauf an, wenigstens dieses eine Gewehr behalten zu konnen. Eine direkte Luge wollte Old Shatterhand zwar nicht sagen, aber er antwortete:»Ich darf die Geheimnisse desselben nicht mitteilen. Nimm, und versuche es selbst!«

Er hatte den Stutzen in der rechten Hand und legte bei diesen Worten den Daumen an die Patronenkugel, um durch eine kleine, ganz unbemerkbare Bewegung dieselbe so vorzudrehen, da? der Schu? bei der geringsten Beruhrung derselben losgehen mu?te. Sein scharfes Auge bemerkte eine Gruppe von mehreren Roten, welche aus Neugierde ihre geschutzten Stellungen verlassen hatten und nun nahe dem Rande der Lichtung bei einander standen. Diese Gruppe bildete ein so gutes Ziel, da? eine auch nicht ganz genau auf sie gerichtete Kugel einen von ihnen treffen mu?te. Jetzt kam es darauf an, ob der Hauptling das Gewehr ergreifen werde oder nicht. Er war wohl weniger aberglaubisch als die andern Roten, aber er traute der Sache doch nicht ganz.»Soll ich, oder soll ich nicht?«Diese beiden Fragen waren in seinen begierig auf das Gewehr gerichteten Augen zu lesen. Old Shatterhand nahm es jetzt mit beiden Handen, hielt es ihm naher und zwar so, da? der Lauf genau nach der erwahnten Indianergruppe zeigte. Die Neugierde des Hauptlings war doch gro?er als seine Besorgnis; er griff zu. Old Shatterhand spielte ihm das Gewehr so in die Hand, da? dieselbe die Kugel beruhrte. Sofort krachte der Schu? — druben, wo die Indianer standen, ertonte ein Schrei und der» gro?e Wolf «lie? den Stutzen erschrocken fallen. Einer der Roten rief heruber, da? er verwundet worden sei.

«Bin ich's gewesen, der ihn verwundet hat?«fragte der Hauptling betroffen.

«Wer sonst?«antwortete Old Shatterhand.»Das ist nur erst zur Warnung geschehen. Bei der nachsten Beruhrung dieses Gewehres wird es aber Ernst werden. Ich erlaube dir, es wieder anzufassen, aber ich warne dich; die Kugel wurde nun — «

«Nein, nein!«rief der Rote, indem er mit beiden Handen abwehrte.»Es ist wirklich ein Zaubergewehr und nur fur dich bestimmt. Wenn ein andrer es nimmt, so geht es los und er trifft seine eigenen Freunde, vielleicht gar sich selbst. Ich mag es nicht; ich mag es nicht!«

«Das ist sehr klug von dir, «meinte Old Shatterhand in ernstem Tone.»Sei froh, da? es jetzt nur einmal losgegangen ist. Du hast nur eine kleine Lehre erhalten; das nachste Mal wurde es anders kommen. Ich werde dir zeigen, wie oft es losgeht. Schau nach dem Ahornbaumchen dort am Bache. Es ist nur zwei Finger stark und soll zehn Locher erhalten, welche genau die Breite deines Daumens voneinander entfernt sind.«

Er hob den Stutzen auf, legte ihn an, zielte auf den Ahorn und druckte ein — drei — sieben — zehnmal ab. Dann sagte er:»Gehe hin, und siehe es! Ich konnte noch viele, viele Male schie?en, aber es ist ja genug, um dir zu zeigen, da? ich in einer Minute funfzig von deinen Kriegern in das Herz treffen konnte, wenn ich wollte.«

Der Hauptling ging zum Baumchen. Old Shatterhand sah, da? er die Entfernungen der Locher mit dem Daumen ma?. Mehrere Rote kamen, von der Wi?begierde getrieben, aus ihren Verstecken hervor und zu ihm hin. Dies benutzte der Jager, um schnell neue Patronen in die sich exzentrisch bewegende Kugel zu schieben.

«Uff, uff, uff!«horte er rufen. War es fur die Indianer schon ein wirkliches Wunder, da? er so viele Schusse abgegeben hatte, ohne zu laden, so waren sie jetzt doppelt erstaunt, zu sehen, da? nicht nur keine Kugel fehlgegangen war, sondern jede das dunne Stammchen genau einen Daumen breit uber der vorigen durchschlagen hatte. Der Hauptling kehrte zuruck, setzte sich wieder nieder und forderte den Jager durch eine Handbewegung auf, seinem Beispiele zu folgen. Er sah eine ganze Weile schweigend vor sich nieder und sagte dann:»Ich sehe, da? du ein Liebling des gro?en Geistes bist. Ich habe von diesem Gewehre gehort, es aber nicht

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