«Wozu aber fuhrt es, da? wir mit ihnen ziehen?«fragte Jemmy.»Es ist doch anzunehmen, da? die Versammlung der Alten uns auch als Feinde behandelt.«
«Das wollt' ich ihnen nich geraten haben, «drohte Frank.»Bei der Geschichte habe ich doch ooch noch een Wortchen mitzuschprechen. Mich bringt keener leicht an so eenen Marterpfahl. Ich wehre mich mit Haut und Haar dagegen.«
«Das darfst du ja nicht. Es ist geschworen worden. Wir mussen alles ruhig uber uns ergehen lassen.«
«Wer hat denn das gesagt? Siehste denn wirklich nich ein, du trauriger Seefensieder, da? dieser Schwur seine Mucken und Parabeln hat. Es gehort doch wahrhaftig keen gastronomisches Spiegelteleskop dazu, einzusehen, da? sich unser beruhmter Shatterhand da eene ganz allerliebste Hinterportiere offgelassen hat. Davon, da? wir alles uber uns ergehen lassen mussen, schreibt Obadja nischt. Es hee?t, wie du gehorst hast, da? wir an keene Gegenwehr denken werden. Gut, das halten wir. Mogen sie beschlie?en, was sie wollen, wir werden nich mit tausendzentnerigen, eisernen Dampfkranen dreinschlagen; aber List, List, das is der wahre Jakob; das is keene Gegenwehr. Wenn uns der Sufflor zum Tode verurteelt, so verschwinden wir durch irgend eene Versenkung und tauchen jenseits des Hoftheatersch mit konzentrierter Grandifloria wieder off.«
«Grandezza, meinst du wohl, «verbesserte Jemmy.
«Schprichste mir schon wieder uber den Schnurrbart weg!«zurnte der Kleine.»Wenn nur du nich reden wolltst! Ich werde schon wissen, wie ich mich im Konvexationslexikon zu benehmen habe! Grandezza! Gran is een Apothekergewicht von zwolf Pfund, und dezza, dezza, das is gar nischt, verschtanden! Aber Grand hee?t gro? und Floria bedeutet, sich in Flor, im Gluck, in der Blute befinden. Wenn wir also in Grandifloria offtauchen, so wird jeder genugend komfortable Mensch wissen, was ich damit gemeent und angedeutet habe. Mit dir aber darf man gar nich durch die Blume schprechen; schone Redewendungen verschtehste nich, und alles Hohere is dir Wurscht und Schnuppe. Ich bin dein treuer Busenfreund; aber wenn ich dich so da vor mir schtehen sehe, grad so protokollarisch, wie du dicke bist, so schteigen mir die Wehmutsthranen in die Wimpern und ich mochte mit dem toten Casar rufen: ›Ooch du, mein Sohn, schwimmst mitten drin im Teiche!‹ Bessere dich also, Jemmy, bessere dich, solange du dich noch bessern kannst! Du verbitterscht mir das Leben. Wenn ich dann schpater 'mal die Oogen geschlossen habe, aus dem edleren Dasein geschwunden und um das bessere Leben gebracht durch deine pupillarisch-servilitatische Impertinenz, so wirscht du mit Bedauern auf zu meinen Geistern schauen und dir die Finger wund ringen aus Gram und Herzeleed daruber, da? du mir hier unten im irdischen Daseinsformat so oft und chronologisch widerschprochen hast!«
Das war nicht etwa im Scherz gesagt; die gegenwartige Lage der vier Manner war ja uberhaupt keine zum Scherzen geeignete. Er meinte es sehr ernst, der kleine, eigentumliche Mensch. Jemmy wollte ihm eine vielleicht ironische Antwort geben, aber Old Shatterhand winkte ihm ab und sagte:»Frank hat mich verstanden. Ich habe auf Gegenwehr verzichtet, aber nicht auf List. Doch wurde es mir lieb sein, wenn ich nicht zu einer so spitzfindigen Auslegung meines Versprechens gezwungen ware. Ich hoffe, da? uns noch andre und ehrlichere Hilfsmittel zu Gebote stehen werden. Jetzt haben wir es zunachst mit der Gegenwart zu thun.«
«Und da fragt es sich vor allen Dingen, «fiel Davy ein,»ob wir den Roten trauen durfen. Wird der» gro?e Wolf «Wort halten?«
«Ganz gewi?. Niemals hat ein Hauptling den Schwur gebrochen, bei welchem er das Calumet rauchte. Bis zur Beratung konnen wir uns den Utahs getrost schlafend anvertrauen. La?t uns hinab- und zu Pferde steigen. Die Roten rusten sich zum Aufbruche.«
Knox und Hilton waren von den Indianern auf ihre Pferde gebunden worden. Der erstere, welchen noch tiefe Ohnmacht umfangen hielt, lag lang auf dem Pferde, um dessen Hals man seine Arme gezogen hatte. Die Utahs verschwanden einer hinter dem andern in der Enge des Pfades. Der Hauptling war der letzte; er wartete auf die Wei?en, um sich ihnen anzuschlie?en. Das war ein gutes Zeichen, denn es war das gerade Gegenteil der erwarteten feindseligen Behandlung. Die Jager hatten geglaubt, da? man sie in die Mitte nehmen und auf das strengste bewachen werde. Nun aber war anzunehmen, da? der» gro?e Wolf «kein Mi?trauen hege, sondern dem Versprechen Old Shatterhands vollen Glauben schenke.
Als er mit ihnen den engen Indianerpfad zuruckgelegt hatte und am Rande des Waldes angekommen war, hatten die Roten ihre Pferde schon unter den Baumen hervorgeholt und stiegen auf. Der Zug setzte sich in Bewegung. Die vier Wei?en blieben mit dem Hauptlinge am Ende desselben, wahrend die Spitze von einigen Indianern gebildet wurde, welche Knox und Hilton zwischen sich genommen hatten. Das war Old Shatterhand lieb, denn die Roten ritten im Gansemarsche, weshalb der Zug so lang wurde, da? am Ende desselben das Jammern des nun wieder ins Bewu?tsein zuruckgekehrten Skalpierten nicht gehort werden konnte.
Jetzt, wo sich die Prairie wieder offnete, gab es eine weite Fernsicht bis zu den Elk-Mountains hin, bis zu deren Fu? sich die Ebene erstreckte. Old Shatterhand fragte den Hauptling nicht, aber er sagte sich selbst, da? zwischen diesen Bergen das Ziel des heutigen Rittes liege. Es wurde uberhaupt nicht gesprochen. Die Wei?en beobachteten sogar gegeneinander ein tiefes Schweigen, denn alles Reden ware unnutz gewesen. Man mu?te warten, bis man am Lagerplatz der Utah angekommen war; dann erst konnte ein Entschlu? gefa?t, ein Rettungsplan erdacht werden.
Zwolftes Kapitel
Auf Tod und Leben
Die Roten schienen es recht eilig zu haben; sie ritten meist im Trabe und nahmen nicht die mindeste Rucksicht auf die beiden gefesselten Gefangenen, deren einer sogar lebensgefahrlich verwundet war. Das Abziehen der Kopfhaut ist eine sehr schlimme Verletzung. Man trifft zwar hie und da einen Wei?en, welcher skalpiert worden und entkommen ist, aber das sind au?erst seltene Ausnahmen, denn es gehort, abgesehen von allem andern, eine hochst robuste Konstitution dazu, eine solche Verwundung zu uberleben.
Die Berge ruckten immer naher, und gegen Abend wurden die ersten Auslaufer derselben erreicht. Die Roten lenkten in ein langes, schmales Querthal ein, dessen Seiten mit Wald bestanden waren. Spater ging es durch mehrere Seitenthaler, immer bergan, und die Indianer fanden trotz der eingebrochenen Dunkelheit ihren Weg so leicht, als ob es heller Tag sei. Spater ging der Mond auf und beleuchtete die dicht mit Baumen bewachsenen Felsenhange, zwischen denen die Reiter sich still und stetig fortbewegten. Erst gegen Mitternacht schien man sich in der Nahe des Zieles zu befinden, denn der Hauptling gab einigen seiner Leute den Befehl, vorauszureiten, um die Ankunft der Krieger zu melden. Schweigend ritten diese Boten davon, den Befehl auszufuhren.
Dann kam man an einen ziemlich breiten Wasserlauf, dessen hohe Ufer, als man ihnen folgte, immer weiter auseinander traten, bis man sie trotz des hellen Mondenscheines nicht mehr zu erkennen vermochte. Der Wald, welcher erst zu beiden Seiten fast bis an das Wasser reichte, wich spater zuruck und offnete eine grasige Savanne, auf welcher man in der Ferne die Feuer brennen sah.
«Uff!«lie? der Hauptling jetzt zum erstenmal wahrend des Rittes seine Stimme horen.»Dort liegen die Zelte meines Stammes und da wird euer Schicksal entschieden werden.«
«Noch heute?«erkundigte sich Old Shatterhand.
«Nein. Meine Krieger bedurfen der Ruhe, und euer Todeskampf wird langer wahren und uns gro?ere Freude machen, wenn ihr euch vorher durch den Schlaf gekraftigt habt.«
«Das ist nicht ubel!«meinte der dicke Jemmy in deutscher Sprache, um von den Roten nicht verstanden zu werden.»Unser Todeskampf! Er thut genau so, als ob wir dem Marterpfahle gar nicht entgehen konnten. Was sagst du dazu, alter Frank?«
«Zunachst noch gar keen Wort, «antwortete der kleine Sachse.»Reden werde ich erscht schspater, wenn die kongressive Zeit dazu gekommen is. Niemand schtirbt vor seinem Tode und ich habe wirklich keene Lust, Ausnahme von dieser weltgeschichtlichen Regel zu machen. Nur will ich bemerken, da? es mir noch gar nich wie schterben zu Mute is. Warten wir also die Sache ab. Aber wenn ich etwa mit brutaler Gewalt so vorzeitig zu meinen Gro?vatern versammelt werden soll, so wehre ich mich meiner Haut, und ich wee? genau, da? an meinem schpatern Leichenschteene viele Witwen und Waisen derer klagen werden, die ich vorher in die Elise expediere.«
«Ins Elysium meinst Du wohl?«fragte der Dicke.
«Rede nich so albern! Wir reden jetzt doch deutsch und Elise is echt germanisch. Ich bin een guter Christ