Es war Polizeistunde, und David wartete drau?en im Wagen auf sie. Josephine war mit Paco in der kleinen Kuche, raumte noch rasch die letzten Tabletts weg.
»Ernste Verabredung, was?« fragte Paco.
Josephine lachelte. »Woher wei?t du?«
»Weil du wie Weihnachten aussiehst. Dein hubsches Gesicht leuchtet von oben bis unten. Sag ihm von mir, er sei ein einziger glucklicher hombre!«
Josephine sagte lachelnd: »Werd' ich.« Einer plotzlichen Regung folgend, beugte sie sich vor und gab Paco einen Kuss auf die Wange. Einen Augenblick spater horte sie das Drohnen eines Motors und dann das Kreischen von Reifen. Sie konnte gerade noch sehen, wie Davids wei?es Coupe gegen den Kotflugel eines anderen Wagens krachte und davon-raste. Sie stand unglaubig da und sah die Schlusslichter in der Nacht verschwinden.
Um drei Uhr morgens, als Josephine sich ruhelos im Bett hin- und herwarf, horte sie drau?en vor ihrem Schlafzimmer einen Wagen vorfahren. Sie eilte zum Fenster und blickte hinaus. Hinter dem Steuer sa? David. Er war betrunken. Schnell zog Josephine sich einen Morgenrock uber und ging hinaus.
»Steig ein«, befahl David. Josephine offnete den Wagenschlag und glitt neben ihn. Es folgte eine lange, druckende Stille. Als David endlich sprach, war seine Stimme belegt, aber nicht nur vom Whisky, den er getrunken hatte. Es war eine Wut in ihm, eine wilde Raserei, die die Worte aus ihm heraustrieb wie eine Serie kleiner Explosionen. »Du gehorst mir nicht«, sagte David. »Du bist frei und kannst tun und lassen, was dir beliebt. Aber solange du mit mir ausgehst, erwarte ich von dir, dass du nicht jeden gottverfluchten Mexikaner kusst. Verstanden?«
Sie sah ihn hilflos an und sagte dann: »Als ich Paco kusste, war es wegen – er sagte etwas, das mich glucklich machte. Er ist mein Freund.«
David holte tief Atem, versuchte, der Gefuhle, die in ihm tobten, Herr zu werden. »Ich werde dir etwas erzahlen, das ich noch keinem Menschen erzahlt habe.«
Josephine sa? abwartend da, fragte sich, was als nachstes kommen wurde.
»Ich habe eine altere Schwester«, sagte David. »Beth – ich bete sie an.«
Josephine hatte eine undeutliche Erinnerung an Beth, eine blonde, hellhautige Schonheit, die Josephine immer aufgesucht hatte, wenn sie zu Mary Lou zum Spielen hinubergegangen war. Josephine war acht gewesen, als Beth starb. David musste ungefahr funfzehn gewesen sein. »Ich erinnere mich an ihren Tod«, sagte Josephine.
Davids nachste Worte waren ein Schock. »Beth lebt.«
Sie starrte ihn an. »Aber ich -jeder glaubte -«
»Sie ist in einer Irrenanstalt.« Er wandte ihr das Gesicht zu, seine Stimme war wie erloschen. »Sie wurde von einem unserer mexikanischen Gartner vergewaltigt. Beths Schlafzimmer lag in der Halle gegenuber von meinem. Ich horte ihre Schreie und raste in ihr Zimmer. Er hatte ihr das Nachthemd heruntergerissen und lag auf ihr und -« Seine Stimme brach in der Erinnerung. »Ich rang mit ihm, bis meine Mutter hereingerannt kam und die Polizei rief. Sie kam schlie?lich und brachte den Mann ins Gefangnis. In derselben Nacht beging er in seiner Zelle Selbstmord. Aber Beth hatte den Verstand verloren. Sie wird nie wieder aus der Anstalt herauskommen. Nie. Ich kann dir nicht sagen, wie sehr ich sie liebe, Josie. Sie fehlt mir so sehr. Seit dieser Nacht kann ich – ich – es nicht ertragen -«
Sie legte ihre Hand auf die seine und sagte: »Es tut mir leid, David. Ich verstehe. Ich bin froh, dass du mir's erzahlt hast.«
Auf eine seltsame Art hatte dieser Vorfall sie nur noch enger miteinander verbunden. Sie sprachen uber Dinge, die sie noch nie erortert hatten. David lachelte, als Josephine ihm von dem religiosen Fanatismus ihrer Mutter erzahlte. »Ich hatte mal so einen Onkel«, sagte er. »Er verschwand in einem Kloster in Tibet.«
»Nachsten Monat werde ich vierundzwanzig«, sagte David eines Tages zu Josephine. »Es ist eine alte Familientradition, dass die Kenyon-Manner bis vierundzwanzig verheiratet sind«, und ihr Herz hupfte vor Freude.
Am nachsten Abend hatte David Karten fur ein Stuck im Globe Theat-re. Als er Josephine abholte, sagte er: »Vergessen wir das Stuck. Reden wir von unserer Zukunft.«
Sowie Josephine das horte, wusste sie, dass alles, wofur sie gebetet hatte, sich erfullen wurde. Sie konnte es in Davids Augen lesen. Sie waren voll Liebe und Verlangen.
Sie sagte: »Fahren wir zum Dewey Lake hinaus.«
Sie wollte, dass es der romantischste Heiratsantrag wurde, der je gemacht worden war, etwas, das sie ihren Kindern immer wieder erzahlen konnte. Sie wollte sich an jeden Augenblick dieser Nacht erinnern.
Dewey Lake war ein kleiner See, etwa vierzig Meilen von Odessa entfernt. Die Nacht war schon und sternenubersat, mit einem sanften, zunehmenden Mond. Die Sterne tanzten auf dem Wasser, und die Luft war voller ratselhafter Gerausche einer geheimen Welt, eines Mikrokosmos des Universums, wo winzige, unsichtbare Geschopfe sich liebten und Beute machten und selbst Beute wurden und starben.
Josephine und David sa?en schweigend im Wagen und horchten auf die Gerausche der Nacht. Josephine beobachtete ihn, wie er hinter dem Steuer des Wagens sa?, sein anziehendes Gesicht war gespannt und ernst. Sie hatte ihn noch nie so geliebt wie in diesem Augenblick. Sie wollte etwas Wundervolles fur ihn tun, ihm etwas geben, um ihm zu zeigen, wie sehr sie ihn liebte. Und plotzlich wusste sie, was sie tun wurde.
»Gehen wir schwimmen, David«, sagte sie.
»Wir haben keine Badeanzuge mit.«
»Spielt keine Rolle.«
Er wandte sich ihr zu, um sie anzublicken, und wollte etwas sagen, aber Josephine war schon ausgestiegen und rannte zum Ufer des Sees hinunter. Als sie anfing, sich auszuziehen, konnte sie ihn hinter sich horen. Sie sprang ins warme Wasser. Einen Augenblick spater war David neben ihr.
»Josie…«
Sie wandte sich ihm zu, ihr Korper schmerzte vor Verlangen nach ihm. Sie umarmten sich im Wasser, und sie konnte seine mannliche Harte spuren, und er sagte: »Wir konnen nicht, Josie.« Seine Stimme war erstickt vor Verlangen nach ihr. Sie langte hinunter und sagte: »Doch. O ja, David.«
Sie waren wieder am Ufer, und er war auf ihr und in ihr und eins mit ihr, und sie waren beide ein Teil der Sterne und der Erde und der samtenen Nacht.
Sie lagen lange beieinander und hielten sich umschlungen. Viel spater erst, nachdem David sie zu Hause abgesetzt hatte, erinnerte sich Josephine, dass er nicht um sie angehalten hatte. Aber es spielte keine Rolle mehr. Was sie miteinander geteilt hatten, war eine starkere Bindung als jede Heiratszeremonie. Er wurde morgen um ihre Hand anhalten.
Josephine schlief am nachsten Tag bis Mittag. Sie wachte mit einem Lacheln auf dem Gesicht auf. Das Lacheln war noch da, als ihre Mutter ins Schlafzimmer kam, ein entzuckendes altes Hochzeitskleid uber dem Arm. »Geh zu Brubaker hinuber und bring mir zwolf Meter Tull. Mrs. Topping hat mir soeben ihr Hochzeitskleid gebracht. Ich muss es bis Sonnabend fur Cissy andern. Sie und David Kenyon heiraten.«
David Kenyon hatte seine Mutter aufgesucht, gleich nachdem er Josephine nach Hause gefahren hatte. Sie lag im Bett, eine winzige, gebrechliche Frau, die einst sehr schon gewesen war.
Davids Mutter schlug die Augen auf, als er in ihr gedampft beleuchtetes Schlafzimmer trat. Sie lachelte, als sie sah, wer es war. »Hallo, mein Sohn, du bist noch spat auf.«
»Ich war mit Josephine aus, Mutter.«
Sie sagte nichts darauf, beobachtete ihn nur mit ihren intelligenten grauen Augen.
»Ich werde sie heiraten«, sagte David.
Sie schuttelte langsam den Kopf. »Ich kann nicht zulassen, dass du einen solchen Fehler machst, David.«
»Du kennst Josephine nicht gut genug. Sie ist -«
»Sicherlich ist sie ein reizendes Madchen. Aber sie ist keine Frau fur einen Kenyon. Cissy Topping wurde dich glucklich machen. Und wenn du sie heiratest, wurde das auch mich glucklich machen.«
Er nahm ihre gebrechliche Hand in die seine und sagte: »Ich liebe dich sehr, Mutter, aber ich bin durchaus in der Lage, meine eigenen Entscheidungen zu treffen.«
»Wirklich?« sagte sie leise. »Tust du immer das Richtige?«
Er starrte sie an, und sie sagte: »Kann man sich darauf verlassen, dass du immer richtig handelst, David? Dass du nicht den Kopf verlierst? Nichts Furchtbares tust -«