nahm Toby den Platz seines Doubles ein. Plotzlich war das Theater geladen mit Elektrizitat. Die Show lebte, knisterte und spruhte. Und als sie an jenem Abend aufgenommen und gesendet wurde, sahen vierzig Millionen Menschen zu. Es war, als ob das Fernsehen extra fur Toby Temple erfunden worden ware. In Gro?aufnahme war er noch liebenswerter, und jeder wollte ihn in seinem Wohnzimmer haben. Die Darbietung war ein einzigartiger Erfolg. Sie eroberte Platz eins bei den Einschaltquoten und lie? sich von dort nicht mehr verdrangen. Toby Temple war kein Star mehr.

Er war ein Superstar geworden.

20.

Hollywood war aufregender, als Jill Castle es sich je ertraumt hatte. Sie machte eine Stadtrundfahrt und sah die Villen der Stars. Und sie wusste, auch sie wurde eines Tages ein schones Heim in Bel-Air oder Beverly Hills besitzen. In der Zwischenzeit wohnte Jill in einem alten Mietshaus, einem hasslichen zweistockigen Holzgebaude, das in eine noch hasslichere Pension mit zwolf winzigen Schlafkammern verwandelt worden war. Das Zimmer war billig, was bedeutete, dass die zweihundert Dollar, die sie sich gespart hatte, noch eine Weile reichen wurden. Das Haus stand in Bronson, ein paar Minuten vom Hollywood Boulevard und der Vine Street, dem Zentrum Hollywoods, entfernt, und auch die Filmstudios lagen ganz in der Nahe.

Das Haus hatte aber noch ein weiteres angenehmes Merkmal. Es beherbergte ein Dutzend Mieter, die alle entweder versuchten, beim Film anzukommen, oder dort als Statisten oder in Nebenrollen arbeiteten oder aber sich bereits aus dem Film-Geschaft zuruckgezogen hatten. Die Old-Timers schwirrten in gelben Morgenrocken und Lockenwicklern, in abgetragenen Anzugen und durchgelaufenen Schuhen, denen kein Putzen mehr Glanz verleihen konnte, durchs Haus. Die Mieter sahen eher verbraucht aus als alt. Es gab einen Aufenthaltsraum mit schabigen und zerschrammten Mobeln, in dem man sich am Abend versammelte, um zu plaudern und Klatsch auszutauschen. Jeder gab Jill Ratschlage, von denen die meisten einander widersprachen.

»Wenn Sie zum Film wollen, meine Liebe, mussen Sie sich einen RA suchen, der Sie mag.« Das kam von einer sauertopfischen Dame, die kurzlich aus einer Fernsehserie entlassen worden war.

»Was ist ein RA?« fragte Jill.

»Ein Regieassistent.« Der Ton war voll Mitleid uber Jills Unwissenheit. »Er ist derjenige, der die Supes einstellt.«

Jill war zu befangen, um zu fragen, was die »Supes« seien.

»Wenn Sie mich fragen, suchen Sie sich einen geilen Besetzungschef. Ein RA kann Sie nur in seinem Film verwenden. Ein Besetzungschef kann Sie uberall einsetzen.« Das von einer zahnlosen Frau, die in den Achtzigern sein musste.

»Soo? Die meisten von ihnen sind schwul«, sagte ein glatzkopfiger Charakterdarsteller.

»Was macht das schon? Ich meine, wenn er einen lanciert?« warf ein eifriger, bebrillter junger Mann ein, der darauf brannte, Drehbuchautor zu werden.

»Wie ist es, wenn man als Statist anfangt?« fragte Jill. »Central Casting -«

»Das konnen Sie vergessen. Die registrieren Sie nicht einmal, es sei denn, Sie sind eine Spezialitat.«

»Verzeihung – was ist eine Spezialitat?«

»Na, wenn Sie beispielsweise amputiert sind. Das bringt dreiunddrei?ig- achtundfunfzig statt der regularen einundzwanzig-funfzig ein. Wenn Sie einen Frack oder Smoking haben oder reiten konnen, verdienen Sie achtundzwanzig dreiunddrei?ig. Wenn Sie wissen, wie man Karten ausgibt, oder mit dem Rechen an einem Spieltisch umgehen konnen, gibt es achtundzwanzig dreiunddrei?ig. Wenn Sie Fu?ball oder Baseball spielen konnen, kriegen Sie dreiunddrei?ig achtundfunfzig – soviel wie als Amputierter. Wenn Sie auf einem Kamel oder Elefant reiten, gibt es funfundfunfzig vierundneunzig. Horen Sie auf mich, versuchen Sie gar nicht erst, Statistin zu werden. Bemuhen Sie sich um eine Nebenrolle.«

»Ich wusste nicht, wo da der Unterschied liegt«, bekannte Jill.

»In einer Nebenrolle hat man wenigstens eine Zeile Text zu sagen. Statisten durfen nicht sprechen, au?er den Omnies.«

»Den was?«

»Die Omnies – die machen die Hintergrundgerausche.«

»Als erstes mussen Sie sich einen Agenten suchen.«

»Wie finde ich einen?«

»Die sind im Screen Actor aufgefuhrt. Das ist das Fachorgan der Filmschauspieler-Gewerkschaft. Ich habe ein Exemplar in meinem Zimmer. Ich werde es mal holen.«

Gemeinsam mit Jill gingen sie die Liste der Agenten durch und schrankten sie schlie?lich auf ein Dutzend der kleineren ein. Alle stimmten darin uberein, dass Jill in einer gro?en Agentur keine Chance hatte.

Mit der Liste bewaffnet, machte Jill die Runde. Die ersten sechs Agenten wollten nicht einmal mit ihr sprechen. Sie begegnete dem siebenten, als er gerade sein Buro verlie?.

»Entschuldigen Sie«, sagte Jill. »Ich suche einen Agenten.«

Er betrachtete sie einen Augenblick und sagte dann: »Zeigen Sie mir mal Ihr Album.«

Sie starrte ihn verstandnislos an. »Mein was?«

»Sie sind wohl gerade erst aus dem Bus gestiegen? Ohne ein Album konnen Sie in dieser Stadt nichts anfangen. Lassen Sie ein paar Aufnahmen von sich machen. Verschiedene Posen. Glamour-Zeugs. Titten und Arsch.«

Jill fand einen Fotografen in Culver City in der Nahe der David-Selz-nick-Studios, der ihr ein Album fur funfunddrei?ig Dollar machte. Eine Woche spater holte sie die Bilder ab und war sehr angetan von ihnen. Sie fand, dass sie schon aussah. Alle ihre Stimmungen waren von der Kamera eingefangen worden. Sie war nachdenklich… bose… schmachtend… sexy. Der Fotograf hatte die Bilder in eine Mappe mit Cellophan-hullen geheftet.

»Hier vorne«, erklarte er, »fugen Sie Ihren Rollennachweis ein.«

Rollennachweis. Das war der nachste Schritt.

Gegen Ende der beiden folgenden Wochen hatte Jill jeden Agenten auf ihrer Liste besucht oder sich um ein Gesprach bemuht. Keiner von ihnen war auch nur entfernt interessiert. Einer hatte zu ihr gesagt: »Sie waren schon gestern hier, Schatzchen.«

Sie schuttelte den Kopf. »Nein, das stimmt nicht.«

»Nein? Sie sah aber genauso aus wie Sie. Das ist es eben. Ihr seht alle wie Elizabeth Taylor oder Lana Turner oder Ava Gardner aus. In jeder anderen Stadt wurden Sie sofort einen Job finden. Sie sind schon, sehen sexy aus, und Sie haben eine glanzende Figur. Aber in Hollywood zahlt das nicht allzuviel. Schone Madchen kommen aus allen Teilen der Welt hierher. Sie haben sich bei den Theaterauffuhrungen in der Schule hervorgetan oder einen Schonheitswettbewerb gewonnen, oder ihr Freund hat ihnen gesagt, sie mussten eigentlich zum Film – und bums! Zu Tausenden stromen sie hier zusammen, und sie sind sich alle gleich. Glauben Sie mir, Schatzchen, Sie waren gestern schon hier.«

Die Mitbewohner halfen Jill beim Zusammenstellen einer neuen Liste von Agenten. Ihre Buros waren kleiner, und sie lagen in einem billigen Stadtviertel, aber das Ergebnis war das gleiche.

»Kommen Sie wieder, wenn Sie eine gewisse schauspielerische Erfahrung gesammelt haben, Kind. Sie sehen gut aus, und vielleicht wird aus Ihnen 'ne neue Greta Garbo, aber ich kann meine Zeit nicht damit vergeuden, das herauszufinden. Bringen Sie mir einen Rollennachweis, und ich werde als Agent fur Sie tatig werden.«

»Wie kann ich eine Bescheinigung bekommen, wenn niemand mir eine Rolle gibt?«

»Tja. Das ist eben das Problem. Viel Gluck.«

Eine einzige Agentur stand noch auf Jills Liste; sie war ihr von einem Madchen empfohlen worden, neben dem sie im Mayflower Coffee Shop am Hollywood Boulevard gesessen hatte. Die Dunning Agentur befand sich in einem kleinen Bungalow abseits von La Cienega in einem Wohnbezirk. Jill hatte telefonisch einen Termin ausgemacht, und eine Frauenstimme hatte sie gebeten, um sechs Uhr hinzukommen.

Jill sah sich in dem kleinen Buro um, das einmal als Wohnzimmer gedient hatte. Das Mobiliar bestand aus einem alten, zerkratzten, mit Papieren bedeckten Schreibtisch, einer Kunstledercouch, die mit wei?en Klebestreifen ausgebessert war, und drei im Raum verteilten Rohrstuhlen. Eine gro?e, korpulente Frau mit einem

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