pockennarbigen Gesicht kam aus einem Nebenzimmer und sagte: »Hallo. Kann ich etwas fur Sie tun?«
»Ich bin Jill Castle. Ich habe einen Termin mit Mr. Dunning.« »Miss Dunning«, sagte die Frau. »Das bin ich.« »Oh«, sagte Jill uberrascht. »Verzeihung, ich glaubte -« Die Frau lachelte sie freundlich an. »Es spielt keine Rolle.« Aber doch, es spielt eine Rolle, dachte Jill voll plotzlicher Erregung. Warum war ihr das nicht fruher eingefallen? Eine Agentin! Jemand, der alle Traumata durchgemacht hatte, jemand, der verstehen wurde, wie einem jungen Madchen zumute war, das erst am Anfang stand. Sie wurde verstandnisvoller sein, als ein Mann es je sein konnte.
»Wie ich sehe, haben Sie Ihr Album mitgebracht«, sagte Miss Dunning. »Darf ich es sehen?« »Naturlich«, sagte Jill. Sie reichte es ihr hinuber. Die Frau offnete das Album. »Sie sind fotogen.« Jill wusste nicht, was sie darauf sagen sollte. »Danke.« Die Agentin betrachtete die Bilder von Jill im Badeanzug. »Sie haben eine gute Figur. Das ist wichtig. Woher kommen Sie?« »Aus Texas«, sagte Jill. »Odessa.« »Wie lange sind Sie schon in Hollywood, Jill?« »Ungefahr zwei Monate.«
»Bei wie vielen Agenten sind Sie gewesen?«
Einen Augenblick war Jill versucht zu lugen, aber sie sah nichts als Mitleid und Verstandnis in den Augen der Frau. »Etwa drei?ig, schatze ich.«
Die Agentin lachte. »Und schlie?lich kamen Sie zu Rose Dunning. Nun, Sie hatten Schlimmeres tun konnen. Ich bin nicht MCA oder William Morris, aber ich sorge dafur, dass meine Leute Arbeit haben.«
»Ich habe keinerlei schauspielerische Erfahrung.«
Die Frau nickte, sie schien nicht uberrascht. »Wenn Sie welche hatten, waren Sie bei MCA oder William Morris. Ich bin eine Art Vorschule. Ich verhelfe talentierten Kindern zu einem Start, und dann schnappen mir die gro?en Agenturen sie weg.«
Zum erstenmal seit Wochen spurte Jill so etwas wie Hoffnung. »Glauben Sie – dass Sie etwas fur mich tun konnten?« fragte sie.
Die Frau lachelte. »Ich habe Vertrage fur Klientinnen ausgehandelt, die nicht halb so hubsch sind wie Sie. Ich glaube schon, dass ich Arbeit fur Sie finden konnte. Das ist die einzige Moglichkeit, Erfahrungen zu sammeln, stimmt's?«
Jill war ihr unendlich dankbar.
»Das Argerliche an dieser Stadt ist, dass man Kindern wie Ihnen keine Chance gibt. Alle Studios tonen laut, dass sie verzweifelt nach neuen Talenten suchen, und dann errichten sie eine hohe Mauer und lassen niemand hinein. Nun, wir werden ihnen ein Schnippchen schlagen. Ich denke da an drei Dinge, fur die Sie sich eignen konnten: ein Tagesjob in einem Schmachtfetzen furs Fernsehen, ein Schlager in dem Toby-Temple-Film und eine Rolle in dem neuen Tessie-Brand-Film.«
Jill hatte das Gefuhl, als wurde sich alles um sie herum drehen. »Aber wurden die -«
»Wenn ich Sie empfehle, werden sie Sie nehmen. Ich schicke keine Klientinnen, die nicht gut sind. Es sind nur Nebenrollen, verstehen Sie, aber es ist immerhin ein Anfang.«
»Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie dankbar ich Ihnen ware«, sagte Jill.
»Ich glaube, ich habe das Drehbuch des Fernsehspiels hier.« Rose Dunning stemmte sich muhsam aus ihrem Sessel, ging ins Nebenzimmer und bat Jill, ihr zu folgen.
Das Zimmer war ein Schlafzimmer mit einem Doppelbett in einer Ecke unter dem Fenster und einem metallenen Aktenschrank in der gegenuberliegenden Ecke. Rose Dunning watschelte zu dem Akten-schrank, offnete eine Schublade und nahm ein Drehbuch heraus. Sie brachte es Jill.
»Das ist es. Der Besetzungschef ist ein guter Freund von mir, und wenn Sie mit dem da Erfolg haben, wird er Sie weiter beschaftigen.«
»Ich werde Erfolg haben«, versprach Jill leidenschaftlich.
Die Agentin lachelte. »Naturlich kann ich ihm nicht die Katze im Sack
schicken. Wurde es Ihnen etwas ausmachen, mir vorzulesen?«
»Nein, naturlich nicht.«
Die Agentin offnete das Drehbuch und setzte sich aufs Bett. »Nehmen wir diese Szene.«
Jill setzte sich neben sie aufs Bett und sah sich das Drehbuch an.
»Ihre Rolle ist die Natalie. Sie ist ein reiches Madchen, das mit einem Schlappschwanz verheiratet ist. Sie beschlie?t, sich von ihm scheiden zu lassen, aber er will nicht. Hier treten Sie auf.«
Jill uberflog schnell die Szene. Sie wunschte, sie hatte die Chance gehabt, das Drehbuch uber Nacht oder nur eine Stunde durchzugehen. Sie wollte so gern einen guten Eindruck machen.
»Fertig?«
»Ja – ich glaube«, sagte Jill. Sie schloss die Augen und versuchte, sich in ihre Rolle zu versetzen. Eine reiche Frau. Wie die Mutter der Freunde und Freundinnen, mit denen sie aufgewachsen war, Menschen, die es fur selbstverstandlich hielten, dass sie alles, was sie wollten, im Leben haben konnten, und die glaubten, dass die anderen Leute nur fur sie da seien. Die Cissy Toppings der Welt. Sie schlug die Augen auf, sah auf das Drehbuch hinunter und fing an zu lesen. »Ich mochte mit dir reden, Peter.«
»Konnen wir das nicht aufschieben?« Das war Rose Dunning, die ihr das Stichwort gab.
»Ich furchte, es ist schon zu lange aufgeschoben worden. Ich fliege heute nachmittag nach Reno.«
»Einfach so?«
»Nein. Ich habe seit funf Jahren versucht, dieses Flugzeug zu bekommen, Peter. Und diesmal werde ich es nehmen.«
Jill fuhlte Rose Dunnings Hand auf ihren Schenkeln. »Das ist sehr gut«, sagte die Agentin beifallig. »Lesen Sie weiter.« Sie lie? ihre Hand auf Jills Bein ruhen.
»Dein Problem ist, dass du noch nicht erwachsen bist. Du spielst immer noch herum. Nun, von jetzt an wirst du allein spielen mussen.«
Rose Dunnings Hand streichelte ihren Schenkel. Es war peinlich. »Fein. Machen Sie weiter«, sagte sie.
»Ich – ich mochte nicht, dass du je wieder mit mir in Verbindung trittst. Hast du mich verstanden?«
Die Hand streichelte Jill jetzt schneller, bewegte sich auf ihre Leistengegend zu. Jill lie? das Drehbuch sinken und sah Rose Dunning an. Das Gesicht der Frau war gerotet, und ihre Augen hatten einen glasigen Ausdruck.
»Lesen Sie weiter«, stie? sie heiser hervor.
»Ich – ich kann nicht«, sagte Jill. »Wenn Sie -«
Die Hand der Frau bewegte sich schneller. »Das ist, um dich in Stimmung zu bringen, Liebling. Es ist ein sexueller Kampf, siehst du. Ich
mochte den Sex in dir fuhlen.« Ihre Hand druckte jetzt fester und bewegte sich zwischen Jills Beinen.
»Nein!« Jill sprang zitternd auf.
Speichel tropfte aus dem Mundwinkel der Frau. »Sei gut zu mir, und ich werde gut zu dir sein.« Ihre Stimme klang flehentlich. »Komm her, Baby.« Sie streckte die Arme aus und griff nach ihr, und Jill lief aus dem Zimmer.
Auf der Stra?e ubergab sie sich. Selbst als die qualenden Krampfe voruber waren und ihr Magen sich beruhigt hatte, fuhlte sie sich nicht besser. Ihre Kopfschmerzen hatten wieder eingesetzt.
Es war nicht fair. Die Kopfschmerzen gehorten nicht zu ihr. Sie gehorten zu Josephine Czinski.
Wahrend der nachsten funfzehn Monate wurde Jill Castle ein echtes Mitglied der Uberlebenden, des Stammes der Menschen am Rande des Showgeschafts, die Jahre und manchmal ein ganzes Leben lang versuchten, in der Branche Fu? zu fassen, und inzwischen in anderen Berufen arbeiteten. Die Tatsache, dass diese Nebenbeschaftigungen zuweilen zehn oder gar funfzehn Jahre fullten, entmutigte sie nicht. Wie uralte Volksstamme einst um langst erloschene Lagerfeuer sa?en und von tapferen Taten erzahlten, so sa?en die Uberlebenden in Schwabs Drugstore herum und erzahlten sich wieder und wieder Heldenepen aus dem Showgeschaft, huteten sorgsam den Rest kalten Kaffees in ihren Tassen, wahrend sie einander Kostproben des neuesten Klatsches aus erster Hand ubermittelten. Sie waren nicht mehr im Geschaft, und doch waren sie auf geheimnisvolle Weise mit seinem Puls und Herzschlag verbunden. Sie konnten berichten, welcher Star ersetzt werden wurde, welcher Produzent beim Beischlaf mit seinem Regisseur erwischt worden war und welcher Chef einer Fernsehgesellschaft die Treppe hinauffallen wurde. Sie wussten das alles, noch bevor jemand anders es wusste, erfuhren es durch ihre eigene, besondere Art von Urwaldtrommeln. Denn das Geschaft war wie ein Urwald. Daruber hatten sie keine Illusionen. Ihre Illusionen lagen in anderer Richtung. Sie glaubten, einen Weg durch die Studio-Tore finden, die Studiowande erklimmen zu konnen. Sie waren die Kunstler, waren die