Auserwahlten. Hollywood war ihr Jericho, und Josua wurde seine goldene Trompete blasen, und die machtigen Tore wurden vor ihnen zusammensturzen, und ihre Feinde wurden erschlagen werden – und siehe da! Sam Winters wurde seinen Zauberstab schwingen, und sie wurden seidene Kleider tragen und Stars sein und fur immer von ihrem dankbaren Publikum geliebt und angebetet werden. Amen. Der Kaffee bei Schwab war ein berauschender, heiliger Wein, und sie waren die Junger der Zukunft, drangten sich trostsuchend zusammen, warmten einander mit ihren Traumen, da sie auf der Schwelle zum Erfolg standen. Sie hatten einen Regieassistenten getroffen, der ihnen ankundigte, einen Produzenten, der sagte, einen Besetzungschef, der versprach, und nur noch eine Sekunde, und der Erfolg wurde in Reichweite liegen.
Inzwischen arbeiteten sie in Supermarkten und Garagen, in Schonheitssalons und Autowaschereien. Sie lebten zusammen und heirateten einander und lie?en sich wieder scheiden und merkten nie, wie die Zeit sie verriet. Sie waren sich ihrer Falten und der grau werdenden Schlafen nicht bewusst und nicht der Tatsache, dass es morgens eine halbe Stunde langer dauerte, ihr Make-up aufzutragen. Sie waren abgenutzt, ohne gebraucht worden zu sein, gealtert, ohne gereift zu sein, zu alt fur eine Karriere bei der Zelluloidindustrie, zu alt, Kinder zu bekommen, zu alt fur die jungeren Rollen, die sie einst so sehr begehrt hatten.
Sie waren jetzt Charakterdarsteller. Aber sie traumten immer noch.
Die jungeren und hubscheren Madchen nahmen mit, was sie »Matratzengeld« nannten.
»Warum sich den Hintern verrenken bei einem Ganztagsjob, wenn man sich blo? ein paar Minuten auf den Rucken zu legen braucht und leicht zwanzig Piepen verdienen kann? Nur so lange, bis der Agent sich meldet.«
Jill war daran nicht interessiert. Ihr einziges Interesse galt ihrer Karriere. Ein armes polnisches Madchen konnte keinen David Kenyon heiraten. Das wusste sie jetzt. Aber Jill Castle, der Filmstar, konnte jeden und alles haben. Sollte sie das nicht erreichen, wurde sie sich wieder in Josephine Czinski zuruckverwandeln.
Aber das wurde sie nie zulassen.
Jill erhielt ihr erstes Engagement durch Harriet Marcus, eine der Uberlebenden, die eine Kusine hatte, deren Ex-Schwager zweiter Regieassistent bei einer medizinischen Fernsehserie war, die in den Uni-versal-Studios hergestellt wurde. Er war bereit, Jill eine Chance zu geben. Die Rolle bestand aus einem Satz, fur den Jill siebenundfunfzig Dollar erhalten sollte, abzuglich Sozialversicherung, Steuern und Beitrag fur den Filmwohlfahrtsfonds. Jill sollte die Rolle einer Krankenschwester spielen. Das Drehbuch sah vor, dass sie in einem Krankenzimmer am Bett eines Patienten sa? und ihm den Puls fuhlte, wenn der Doktor eintrat.
DOKTOR: »Wie geht es ihm, Schwester?« SCHWESTER: »Ich furchte, nicht sehr gut, Doktor.«
Das war es.
Jill bekam an einem Montagnachmittag eine einzige vervielfaltigte Seite aus dem Drehbuch und wurde fur den folgenden Morgen um sechs Uhr zum Schminken bestellt. Sie ging die Szene hundertmal durch. Sie wunschte, das Studio hatte ihr das ganze Drehbuch gegeben. Wie konnten die nur erwarten, dass es ihr gelang, sich aus einer einzigen Seite
eine Personlichkeit vorzustellen? Jill versuchte zu analysieren, was fur eine Art Frau die Schwester sein konnte. War sie verheiratet? Ledig? Sie konnte im geheimen den Doktor lieben. Oder sie hatten eine Liaison miteinander, die inzwischen beendet war. Wie war sie dem Patienten gegenuber eingestellt? Hasste sie den Gedanken an seinen Tod? Oder hielt sie ihn fur einen Segen?
»Ich furchte, nicht sehr gut, Doktor.« Sie versuchte, ihre Stimme besorgt klingen zu lassen.
Sie begann noch einmal: »Ich furchte, nicht sehr gut, Doktor.« Anklagerisch. Es war die Schuld des Doktors. Wenn er nicht bei seiner Geliebten gewesen ware…
Jill blieb die ganze Nacht auf und arbeitete an der Rolle, zu uberdreht, um schlafen zu konnen, aber am Morgen, als sie sich im Studio meldete, fuhlte sie sich angeregt und belebt. Es war noch dunkel, als sie in einem Wagen, den sie sich von ihrer Freundin Harriet geliehen hatte, am Gittertor ankam. Jill nannte dem Pfortner ihren Namen, der verglich ihn mit der Eintragung in seinem Dienstplan und winkte sie hindurch.
»Studio sieben«, sagte er. »Zwei Blocks weiter, dann rechts.«
Ihr Name stand auf dem Dienstplan. Universal-Studios erwarteten sie. Es war wie ein Traum. Als Jill auf das Studio zufuhr/beschloss sie, ihre Rolle mit dem Regisseur zu besprechen, ihn wissen zu lassen, dass sie fahig war, ihm jede Interpretation zu geben, die er wollte. Jill fuhr auf den gro?en Parkplatz und ging zum Studio hinuber.
Das Atelier war voller Leute, die geschaftig Scheinwerfer montierten, elektrische Gerate herbeischleppten, die Kamera in Stellung brachten und in einer Fachsprache Befehle gaben, die sie nicht verstand. »Alles Licht auf mich, dreh voll auf, Junge, gib alles, was du hast!«
Jill stand da und sog alles in sich auf: den Anblick, die Geruche und die Begleitmusik des Showgeschafts. Das war ihre Welt, ihre Zukunft. Sie wurde einen Weg finden, um den Regisseur zu beeindrucken, ihm zu zeigen, was in ihr steckte. Er wurde sie als eine Personlichkeit kennenlernen, nicht als eine x-beliebige Schauspielerin.
Der zweite Regieassistent trieb Jill und ein Dutzend anderer Schauspieler in die Garderobe, wo Jill einen Schwesternkittel ausgehandigt bekam. Dann wurde sie ins Atelier zuruckgeschickt, wo sie und die anderen Komparsen in einer Ecke geschminkt wurden. Gerade als sie ihr Make-up beendet hatte, rief der Regieassistent ihren Namen. Jill eilte in die Dekoration des Krankenzimmers, wo der Regisseur neben der Kamera mit dem Star der Serie sprach. Der Star hie? Rod Hanson. Er spielte einen Arzt voller Mitgefuhl und Weisheit. Als Jill auf sie zuging, sagte Rod Hanson: »Ich habe einen deutschen Gartner, der einen besseren Dialog furzen kann als diese Schei?e hier. Warum sind die Drehbuchfritzen nie in der Lage, mir einen blutvollen Charakter zu geben, Gottverdammich?«
»Rod, die Serie lauft schon seit funf Jahren. Versuchen Sie blo? nicht, an einem Schlager herumzudoktern. Das Publikum mag Sie so, wie Sie sind.«
Der Kameramann trat zum Regisseur. »Alles klar, Chef.«
»Danke, Hai«, antwortete der Regisseur. Er wandte sich an Rod Han-son. »Konnen wir jetzt? Wir reden spater noch mal daruber.«
»Eines Tages werde ich mir mit diesem Studio den Hintern abwischen«, knurrte Hanson und stelzte davon.
Jill wandte sich an den Regisseur, der jetzt allein war. Das war die Gelegenheit, um ihre Interpretation der Rolle darzulegen und ihm zu zeigen, dass sie seine Probleme verstand und ihm helfen wurde, die Szene bedeutungsvoll zu machen. Sie lachelte ihn warm und freundlich an. »Ich bin Jill Castle«, sagte sie. »Ich spiele die Krankenschwester. Ich glaube, die Rolle konnte wirklich interessant sein, und ich habe auch schon einige Ideen, die -«
Er nickte abwesend, sagte: »Druben ans Bett« und ging davon, um mit dem Kameramann zu sprechen.
Jill sah ihm verblufft nach. Der zweite Regieassistent, der Ex-Schwager von Harriets Kusine, eilte zu Jill und sagte leise: »Um Himmels willen, haben Sie nicht gehort? Hinuber ans Bett!«
»Ich wollte ihn fragen -«
»Machen Sie keinen Mist!« flusterte er bose. »Gehen Sie auf Ihren Platz!«
Jill ging zum Bett des Patienten hinuber.
»All right. Bitte Ruhe.« Der Regieassistent sah den Regisseur an. »Wollen Sie eine Probe, Chef?«
»Dafur? Nein, wir drehen gleich.«
»Beginnen wir. Ruhe uberall, ich bitte um Ruhe: Bitte abfahren!«
Unglaubig sah Jill auf die Klappe. Sie blickte verzweifelt zum Regisseur hinuber, hatte ihn so gern gefragt, wie er die Szene interpretiert haben wollte, in welchem Verhaltnis sie zu dem sterbenden Mann stunde, was fur ein Mensch sie war -
Eine Stimme rief: »Kamera lauft!«
Alle sahen erwartungsvoll auf Jill. Sie uberlegte, ob sie es wagen durfte zu bitten, die Kamera eine Sekunde zu stoppen, damit sie die Szene diskutieren konnte und -
Der Regisseur brullte: »Mein Gott im Himmel! Schwester! Hier ist kein Leichenschauhaus – hier ist ein Krankenzimmer. Fuhlen Sie schon seinen gottverdammten Puls, ehe er an Altersschwache eingeht!«
Jill sah angstlich in das helle Licht um sie herum. Sie holte tief Atem, hob die Hand des Patienten und fuhlte seinen Puls. Wenn sie ihr nicht helfen wollten, wurde sie die Szene eben auf ihre Weise interpretieren mussen. Der Patient war der Vater des Arztes. Die beiden hatten sich gestritten. Der Vater war in einen Unfall verwickelt worden, und der Arzt war gerade benachrichtigt worden. Jill blickte auf und sah Rod Hanson,