der zu ihr trat und fragte: »Wie geht es ihm, Schwester?«

Jill blickte in die Augen des Arztes und las Besorgnis darin. Sie wollte ihm die Wahrheit sagen, dass sein Vater im Sterben liege und dass es zu spat fur sie beide sei, den Streit beizulegen. Doch musste sie es ihm so beibringen, dass es ihn nicht vernichten wurde und -

Der Regisseur brullte: »Aus! Aus! Aus! Gottverdammt noch mal, die Idiotin hat nur einen Satz zu sprechen und kann nicht mal den behalten. Wo habt ihr die denn her – vom Arbeitsamt?«

Jill wandte sich der wutenden Stimme zu. »Ich – ich kann meinen Satz«, sagte sie emport. »Ich wollte blo? -«

»Nun, wenn Sie ihn konnen, um Himmels willen, warum sagen Sie ihn dann nicht? Die Pause ist viel zu lang! Also, wenn er Ihnen die gottverdammte Frage stellt, dann beantworten Sie sie. Okay?«

»Ich wollte doch blo? wissen, ob -«

»Also alles noch mal von vorn, Kamera ab!«

»Alles bereit, Kamera lauft!«

Jill zitterten die Knie. Es schien, dass sie die einzige war, die fur die Szene Interesse zeigte. Alles, was sie wollte, war, etwas Schones zu schaffen. Die hei?en Jupiterlampen machten sie schwindlig, und sie konnte den Schwei? an ihren Armen hinunterrinnen fuhlen, spurte, wie er ihre saubere, gestarkte Schwesterntracht ruinierte.

»Also, bitte, Schwester!«

Jill stand uber den Patienten gebeugt und fuhlte ihm den Puls. Wenn sie die Szene noch mal verpatzte, wurde man ihr nie wieder eine Rolle geben. Sie dachte an Harriet und an ihre Freunde in der Pension und an das, was sie sagen wurden.

Sie ware nicht mehr eine von ihnen. Sie ware eine Zielscheibe des Spotts. Hollywood war eine kleine Stadt. So etwas sprach sich schnell herum.

Der Arzt kam herein und trat zu ihr. »Wie geht es ihm, Schwester?«

»Ich furchte, nicht sehr gut, Doktor.«

Kein anderes Studio wurde sie beschaftigen. Es ware ihr letzter Job. Es ware das Ende von allem.

Der Arzt sagte: »Ich mochte, dass dieser Mann auf die Intensivstation verlegt wird, sofort.«

»Gut!« rief der Regisseur. »Gestorben, wird kopiert.«

Jill nahm die Atelierarbeiter, die an ihr vorubereilten, kaum wahr; sie bauten die Dekoration ab, um die nachste aufzubauen. Sie hatte ihren ersten Auftritt gehabt – und dabei an etwas anderes gedacht. Sie konnte einfach nicht glauben, dass es schon vorbei war. Sie fragte sich, ob sie den Regisseur aufsuchen und ihm danken sollte, aber er war auf der anderen Seite des Ateliers und sprach mit einer Gruppe von Leuten. Der Regieassistent trat zu ihr, druckte ihren Arm und sagte: »Das haben Sie gut gemacht, Kindchen. Blo? lernen Sie nachstes Mal Ihren Text.«

Sie war in ihrem ersten Film aufgetreten; hatte ihren ersten Rollennachweis. Von jetzt an, dachte Jill, werde ich nur noch arbeiten.

Jill bekam ihren nachsten Job dreizehn Monate spater, als sie bei MGM eine Nebenrolle spielte. Inzwischen arbeitete sie in einer Reihe von burgerlichen Berufen. Sie wurde Avon-Beraterin, sie bediente in einem Cola- Ausschank und fuhr kurze Zeit ein Taxi.

Als ihr Geld zur Neige ging, beschloss Jill, zusammen mit Harriet Marcus ein Apartment zu mieten. Es war eine Wohnung mit zwei Schlafzimmern, und Harriet machte von ihrem Schlafzimmer flei?ig Gebrauch. Harriet arbeitete als Mannequin in einem Warenhaus. Sie war ein attraktives Madchen mit kurzem, schwarzem Haar, schwarzen Augen, der knabenhaften Figur eines Mannequins und mit Sinn fur Humor.

»Wenn man aus Hoboken kommt«, sagte sie zu Jill, »ist es besser, wenn man Humor hat.«

Anfangs war Jill durch Harriets kuhle Selbstsicherheit eingeschuchtert gewesen, aber bald merkte sie, dass Harriet hinter dieser blasierten Fassade ein warmherziges, verschrecktes Kind war. Sie war dauernd verliebt. Als Jill ihr zum erstenmal begegnete, sagte Harriet: »Ich mochte, dass Sie Ralph kennenlernen. Wir werden nachsten Monat heiraten.«

Eine Woche spater war Ralph unter Mitnahme von Harriets Auto mit unbekanntem Ziel verzogen.

Ein paar Tage, nachdem Ralph verschwunden war, lernte Harriet Tony kennen. Er war im Import-Export- Geschaft, und Harriet verliebte sich Hals uber Kopf in ihn.

»Er ist sehr bedeutend«, vertraute Harriet Jill an. Aber irgend jemand war offensichtlich nicht dieser Meinung, denn Tony wurde einen Monat spater im Los Angeles River treibend gefunden.

Alex war Harriets nachste Liebe.

»Er ist der bestaussehende Mann, der dir je begegnet ist«, versicherte Harriet Jill.

Alex sah sehr gut aus. Er trug teure Anzuge, fuhr ein schickes Kabriolett und verbrachte viel Zeit auf der Rennbahn. Die Romanze dauerte so lange, bis Harriet kein Geld mehr hatte. Es regte Jill auf, dass Harriet so wenig Vernunft in Bezug auf Manner zeigte.

»Ich kann nichts dafur«, gestand Harriet. »Ich werde immer wieder von Burschen angezogen, die in Schwierigkeiten stecken. Ich glaube, es ist mein Mutterinstinkt.« Sie grinste und fugte hinzu: »Meine Mutter war eine Idiotin.«

Jill sah Harriets Verlobte in einer Prozession kommen und gehen.

Da waren Nick und Bobby und John und Raymond, bis Jill sich schlie?lich nicht mehr auf dem Laufenden halten konnte.

Ein paar Monate, nachdem sie zusammengezogen waren, teilte Harriet ihr mit, dass sie schwanger sei.

»Ich glaube, es war Leonard«, witzelte sie, »aber wei?t du – im Dun-

keln sehen sie alle gleich aus.«

»Wo ist Leonard?«

»Entweder in Omaha oder Okinawa. In Geographie war ich immer miserabel.«

»Und was wirst du jetzt tun?«

»Ich werde mein Baby bekommen.«

Wegen ihrer schmachtigen Figur war Harriets Schwangerschaft schon nach wenigen Wochen zu sehen, und sie musste ihren Job als Mannequin aufgeben. Jill fand Arbeit in einem Supermarkt, so dass sie sie beide ernahren konnte.

Als Jill eines Nachmittags nach Hause kam, fand sie einen Zettel von Harriet, auf dem stand: »Ich wollte schon immer, dass mein Baby in Ho-boken geboren wird. Ich gehe nach Hause zuruck. Ich wette, da wartet ein wundervoller Mann auf mich. Danke fur alles.« Der Zettel war unterschrieben mit: »Harriet, die Nonne.«

In dem Apartment war es plotzlich einsam geworden.

21.

Toby Temple befand sich wie in einem Rausch. Er war zweiundvierzig, und ihm gehorte die Welt. Er scherzte mit Konigen und spielte Golf mit Prasidenten, doch seinen Millionen biertrinkender Fans machte das nichts aus, weil sie wussten, dass Toby einer von ihnen war, ihr Champion, der alle die heiligen Kuhe molk, die Gro?en und Machtigen verspottete, die Losungsworte des Establishments zerstorte. Sie liebten Toby, weil sie wussten, dass auch er sie liebte.

In allen seinen Interviews sprach er uber seine Mutter, und sie wurde mehr und mehr zu einer Heiligen. Fur Toby war das die einzige Moglichkeit, seinen Erfolg mit ihr zu teilen.

Toby erwarb einen herrlichen Besitz in Bel-Air. Das Haus war im Tu-dor-Stil gebaut, hatte acht Schlafzimmer und ein riesiges Treppenhaus mit geschnitzter Tafelung. Es gab ein Kino, ein Spielzimmer, einen Weinkeller, und auf dem Gelande befanden sich ein Swimming-pool, ein Anbau fur die Haushalterin und zwei Gastehauser. Er kaufte sich eine elegante Villa in Palm Springs, eine Anzahl Rennpferde und stellte ein Trio von Handlangern ein. Toby nannte sie alle »Mac«, und sie beteten ihn an. Sie machten Botengange, chauffierten ihn, beschafften ihm zu jeder Tages- oder Nachtzeit Madchen, machten Ausfluge mit ihm, massierten ihn. Was immer der Herr wunschte, die drei Macs waren stets bereit, ihm seine Launen zu erfullen. Sie waren die Spa?macher fur den Spa?macher der Nation. Toby hatte vier Sekretarinnen, von denen zwei sich ausschlie?lich um die ungeheure

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