»Soll ich weitermachen?« fragte Barbet.
»Naturlich«, antwortete Noelle. Sie nahm einen Umschlag aus ihrer Handtasche und reichte ihn Barbet. »Rufen Sie mich an, wenn Sie weitere Nachrichten haben.«
Und drau?en war sie.
Barbet blickte seufzend zur Decke: »Folie«, sagte er nachdenklich. »Folie.«
Wenn Philippe Sorel eine Ahnung gehabt hatte, was sich im Kopf Noelles abspielte, ware er sehr erstaunt gewesen. Noelle schien ihm vollig ergeben. Sie tat alles fur ihn: kochte wunderbar, kaufte ein, uberwachte die Putzfrau in seiner Wohnung und war zur Umarmung bereit, wann immer ihm der Sinn danach stand. Und erbat nichts. Sorel begluckwunschte sich, eine so vollkommene Geliebte gefunden zu haben. Er nahm sie uberallhin mit, und sie lernte alle seine Freunde kennen. Sie waren von ihr entzuckt und meinten, Sorel sei ein Gluckspilz.
Eines Abends, als sie nach der Vorstellung auswarts soupierten, sagte Noelle zu ihm: »Ich mochte Schauspielerin werden, Philippe.«
Er schuttelte den Kopf. »Wei? Gott, schon genug bist du dazu, aber ich bin mein ganzes Leben bis zum Hintern mit Schauspielerinnen liiert gewesen. Du bist anders, und ich mochte, dass du so bleibst. Ich mochte dich nicht mit anderen teilen.« Er tatschelte ihre Hand. »Geb' ich dir nicht alles, was du brauchst?«
»Doch, Philippe«, erwiderte Noelle.
Als sie an jenem Abend in die Wohnung zuruckkehrten, verlangte es Sorel nach einer Umarmung. Danach war er ausgepumpt. Noch nie war Noelle so erregend gewesen, und er begluckwunschte sich, dass alles, was sie brauchte, nur die feste Fuhrung eines Mannes war.
Am darauf folgenden Sonntag war Noelles Geburtstag, und Philippe Sorel gab ein Bankett im Maxim fur sie. Er hatte sich den mit rotem Plusch und tiefdunkler Tafelung ausgestatteten gro?en privaten Speisesaal im ersten Stock reservieren lassen. Noelle hatte bei der Aufstellung der Gasteliste geholfen und einen Namen ohne Wissen Philippes hinzugefugt. Es waren vierzig Personen auf der Gesellschaft. Nach dem Essen erhob sich Sorel. Er hatte eine ganze Menge Cognac und Champagner getrunken und stand ein bisschen unsicher auf den Beinen, auch seine Worte kamen etwas undeutlich heraus.
»Meine Freunde«, sagte er, »wir haben alle auf das schonste Madchen der Welt getrunken und haben ihr schone Geburtstagsgeschenke gegeben, aber ich habe ein Geschenk fur sie, das eine gro?e Uberraschung sein wird.« Sorel sah auf Noelle hinunter und strahlte. Dann wandte er sich wieder an seine Gaste: »Noelle und ich werden heiraten.«
Beifalliger Jubel erhob sich, und die Gaste umdrangten Sorel, um ihm auf den Rucken zu klopfen und der Braut Gluck zu wunschen. Noelle lachelte zu den Gasten auf und murmelte ihren Dank. Ein Gast war nicht aufgestanden. Er sa? an einem Tisch am anderen Ende des Raumes, rauchte eine Zigarette in einem langen Halter und betrachtete spottisch die Szene. Noelle war sich bewusst, dass er sie wahrend des Essens beobachtet hatte. Er war ein gro?er, sehr magerer Mann mit einem gespannten, grublerischen Gesicht. Ihn schien alles, was um ihn vorging, zu belustigen, mehr als Beobachter denn als Gast.
Ihre Blicke kreuzten sich, und Noelle lachelte.
Armand Gautier war einer der ersten Regisseure Frankreichs. Er leitete das franzosische Repertoire- Theater, und seine Inszenierungen waren in der ganzen Welt mit Beifall aufgenommen worden.
Wenn Gautier ein Stuck oder einen Film inszenierte, war dies eine beinahe sichere Erfolgsgarantie. Er stand in dem Ruf, besonders gut mit Schauspielerinnen umgehen zu konnen, und hatte ein halbes Dutzend bedeutende Stars kreiert.
Sorel stand neben Noelle, redete mit ihr. »Warst du uberrascht, mein Liebling?« fragte er.
»Ja, Philippe«, sagte sie.
»Ich mochte, dass wir sofort heiraten. Die Hochzeit wird in meiner Villa stattfinden.«
Uber seine Schulter hinweg konnte Noelle Armand Gautier sehen, der sie beobachtete, sein ratselhaftes Lacheln auf den Lippen. Dann kamen einige Freunde und zogen Philippe mit sich fort, und als Noelle sich umwandte, stand Gautier da.
»Gratuliere«, sagte er, und in seiner Stimme lag ein spottischer Unterton. »Sie haben sich einen gro?en Fisch geangelt.«
»Meinen Sie?«
»Philippe Sorel ist ein gro?artiger Fang.«
»Fur irgendeine vielleicht«, sagte Noelle gleichgultig.
Gautier sah sie erstaunt an. »Wollen Sie behaupten, Sie hatten kein Interesse daran?«
»Ich will gar nichts behaupten.«
»Viel Gluck.« Er wandte sich zum Gehen.
»Monsieur Gautier ...«
Er blieb stehen.
»Konnte ich Sie heute Abend noch sehen?« fragte Noelle ruhig. »Ich mochte gerne allein mit Ihnen sprechen.«
Armand Gautier sah sie einen Augenblick an und zuckte dann die Schultern. »Wenn Sie wunschen.«
»Ich werde zu Ihnen kommen. Ist Ihnen das recht?«
»Ja, naturlich. Die Adresse ist«
»Ich kenne die Adresse. Zwolf Uhr?«
»Zwolf Uhr.«
Armand Gautier wohnte in einem eleganten alten Appartement-Haus in der Rue Marbeuf. Ein Pfortner begleitete Noelle in die Halle, und ein Liftboy brachte sie in den vierten Stock und zeigte ihr Gautiers Appartement. Noelle lautete. Einige Augenblicke spater wurde die Tur von Gautier geoffnet. Er trug einen geblumten Dressinggown.
»Kommen Sie herein«, sagte er.
Noelle trat in die Wohnung. Ihr Auge war ungeubt, aber sie fuhlte, dass sie mit bestem Geschmack eingerichtet war und dass die Kunstgegenstande wertvoll waren.
»Entschuldigen Sie, dass ich nicht angezogen bin«, sagte Gautier. »Aber ich habe telefoniert.«
Noelle hielt seinen Blick fest. »Sie brauchen nicht angezogen zu sein.« Sie ging zur Couch hinuber und setzte sich.
Gautier lachelte. »Das Gefuhl hatte ich auch, Mademoiselle Page. Aber etwas mochte ich doch gerne wissen. Warum ausgerechnet ich? Sie sind mit einem beruhmten und reichen Mann verlobt. Ich bin sicher, wenn Sie au?erplanma?ige Aktivitaten suchen, konnten Sie attraktivere und bestimmt reichere und jungere Manner finden. Was wollen Sie von mir?«
»Ich mochte, dass Sie mir Schauspielunterricht geben.«
Armand Gautier sah sie einen Augenblick an und seufzte dann. »Sie enttauschen mich. Ich habe etwas Originelleres erwartet.«
»Es ist Ihr Beruf, mit Schauspielern zu arbeiten.«
»Mit Schauspielern, nicht Amateuren. Haben Sie je gespielt?«
»Nein. Aber Sie werden es mich lehren.« Sie nahm ihren Hut ab und zog die Handschuhe aus. »Wo ist Ihr Schlafzimmer?« fragte sie.
Gautier zogerte. In seinem Leben wimmelte es von schonen Frauen, die zur Buhne wollten oder eine gro?ere Rolle oder die Hauptrolle in einem neuen Stuck oder eine gro?ere Garderobe haben wollten. Sie gingen ihm alle auf die Nerven. Er wusste, dass er ein Narr ware, wenn er sich mit noch einer einlie?e. Andererseits brauchte er sich nicht an sie zu binden. Hier war ein schones Madchen, das sich ihm an den Hals warf. Es ware einfach, mit ihr ins Bett zu steigen und sie dann fortzuschicken. »Dort hinein«, sagte er, auf eine Tur deutend.
Er beobachtete Noelle, wahrend sie aufs Schlafzimmer zuging. Er fragte sich, wie Philippe Sorel wohl zumute ware, wenn er wusste, dass seine Braut die Nacht hier verbrachte. Weiber, Huren, alle. Gautier schenkte sich einen Cognac ein und tatigte mehrere Anrufe. Als er schlie?lich ins Schlafzimmer ging, lag Noelle nackt in seinem Bett, auf ihn wartend. Gautier musste zugeben, dass sie ein erlesenes Werk der Natur war. Ihr Gesicht war atemraubend und ihr Korper makellos. Ihre Haut war honigfarben, ausgenommen das zartgoldene Dreieck zwischen ihren Beinen. Gautier hatte die Erfahrung gemacht, dass schone Madchen fast ausnahmslos nazistisch, viel zu ichbezogen, daher im Bett miserabel waren. Sie meinten, ihr Beitrag zur Liebe bestunde allein darin, dass sie sich einem Mann ins Bett legten, der dann am Ende einen bewegungslosen Lehmklumpen im Arm hatte und auch noch dankbar dafur sein sollte. Na ja, vielleicht konnte er dieser da einiges beibringen.