Noelle sah zu, wie Gautier sich auszog, seine Sachen unbekummert auf dem Boden verstreute und dann ans Bett trat. »Ich werde dir nicht erzahlen, du seiest schon«, sagte er. »Das hast du schon viel zu oft gehort.«
»Die Schonheit ist vergeudet«, meinte Noelle schulterzuckend, »wenn sie nicht angewandt wird, um Vergnugen zu bereiten.«
Gautier sah sie uberrascht an und lachelte dann. »Einverstanden. Wenden wir uns der deinen zu.« Er setzte sich neben sie.
Wie die meisten Franzosen bildete Armand Gautier sich ein, ein gewandter Liebhaber zu sein. Er war uber die Geschichten belustigt, die er von den Deutschen und Amerikanern gehort hatte, deren Vorstellung von einem Liebesakt darin bestand, dass sie ein Madchen bestiegen, sofort einen Orgasmus hatten, den Hut aufsetzten und sich verabschiedeten. Die Amerikaner hatten sogar eine Redensart dafur: »Wham, bam, thank you Ma'am.« Wenn Armand Gautier einer Frau gefuhlsma?ig verbunden war, wandte er viele Kunstgriffe an, um den Genuss des Liebesaktes zu erhohen. Zuerst gab es immer ein vollendetes Diner und die passenden Weine. Er arrangierte den szenischen Hintergrund kunstverstandig, damit er angenehm auf die Sinne wirkte. Das Zimmer war zart parfumiert, und leise Musik erfullte den Raum. Er erregte seine Frauen zuerst mit zartem Liebesgefluster und spater mit der gemeinen Sprache der Gosse. Und Gautier war erfahren in den dem Akt vorausgehenden manuellen Spielen.
Was Noelle betraf, verzichtete er auf alle diese Dinge. Fur eine Nacht war das nicht notig, kein Parfum, keine Musik, keine leeren Koseworte. Sie war ganz einfach hier, um aufs Kreuz gelegt zu werden. Tatsachlich war sie eine Narrin, wenn sie glaubte, sie konne das, was jede Frau in der Welt zwischen ihren Beinen hatte, gegen die gro?e und einzigartige Begabung, die Armand Gautier im Kopf hatte, aushandeln.
Er schwang sich uber sie. Noelle hielt ihn zuruck.
»Warte«, flusterte sie.
Er sah verblufft, wie sie nach zwei Tuben griff, die sie auf den Nachttisch gelegt hatte. Sie druckte den Inhalt der einen in ihre Hand und begann, seinen Penis damit einzureihen.
»Was soll denn das alles?« fragte er.
Sie lachelte. »Du wirst sehen.« Sie kusste ihn auf die Lippen, ihre Zunge schoss mit schnellen, vogelartigen Bewegungen in seinen Mund. Sie loste sich, und ihre Zunge bewegte sich uber seinen Leib; ihr Haar strich wie leichte, zarte Finger uber seinen Korper. Er spurte, dass sein Organ sich zu heben begann. Sie fuhr mit ihrer Zunge an seinen Beinen bis zu seinen Fu?en hinunter und begann, sanft an seinen Zehen zu saugen. Sein Organ war jetzt steif und hart, und sie bestieg ihn. Als er spurte, wie er in sie eindrang, wirkte die Warme ihrer Vagina auf die Salbe, mit der sie seinen Penis eingerieben hatte, und die Empfindung wurde unertraglich erregend. Als sie auf ihm ritt und sich auf und ab bewegte, liebkoste ihre linke Hand seine Hoden, die hei? zu werden begannen. In der Salbe auf seinem Penis war Menthol, und die Sensation des Kalten im Innern ihrer Warme, dazu die Hitze seiner Hoden brachte ihn zur Raserei.
Sie umarmten sich die ganze Nacht, und jedes Mal liebte Noelle ihn anders. Es war das unglaublichste sinnliche Erlebnis, das er je gehabt hatte.
Morgens sagte Armand Gautier: »Wenn ich genug Energie aufbringen kann, um mich zu bewegen, zieh' ich mich an, und wir gehen fruhstucken.«
»Bleib liegen«, sagte Noelle. Sie ging zum Wandschrank hinuber, wahlte einen seiner Dressinggowns und zog ihn an. »Ruh dich aus. Ich bin gleich wieder da.«
Eine halbe Stunde spater kam Noelle mit einem Fruhstuckstablett zuruck. Darauf waren frisch ausgepresster Orangensaft, ein kostliches Omelett mit Wurstchen und Schnittlauch, hei?e, mit Butter bestrichene Croissants und Marmelade und eine Kanne schwarzen Kaffees. Es schmeckte au?ergewohnlich gut.
»Isst du nichts?« fragte Gautier.
Noelle schuttelte den Kopf. »Nein.« Sie sa? in einem Sessel und sah ihm beim Essen zu. Sie sah sogar noch schoner aus in seinem Morgenrock, den sie oben offen trug, die Kurven ihrer herrlichen Bruste enthullend. Ihr Haar war zerzaust.
Armand Gautier hatte seine anfangliche Meinung uber Noelle radikal geandert. Sie stieg nicht mit jedem Mann auf Anhieb ins Bett; sie war ein absoluter Schatz. Jedoch hatte er viele Schatze in seiner Laufbahn am Theater kennen gelernt und hatte nicht die Absicht, seine Zeit und sein Talent als Regisseur an eine Dilettantin mit strahlenden Augen zu verschwenden, die auf die Buhne wollte, ganz gleich, wie schon oder wie tuchtig im Bett sie auch sein mochte. Gautier war ein engagierter Mann, der seine Kunst ernst nahm. Er hatte sich in der Vergangenheit geweigert, sie aufs Spiel zu setzen, und dachte nicht daransetzt damit anzufangen.
Am Abend zuvor hatte er vorgehabt, mit Noelle die Nacht zu verbringen und sie am Morgen hinauszuwerfen. Jetzt a? er sein Fruhstuck, betrachtete sie dabei und versuchte, sich einen Weg auszudenken, wie er Noelle als Geliebte halten konnte, bis er ihrer uberdrussig wurde, ohne sie zur Schauspielerei zu ermutigen. Er wusste, dass er ihr einen Koder hinhalten musste. Vorsichtig tastete er sich vor. »Hast du die Absicht, Philippe Sorel zu heiraten?«
»Naturlich nicht«, erwiderte Noelle. »Das will ich nicht.«
Jetzt kam's. »Was willst du denn?« fragte Gautier.
»Ich sagte dir schon«, entgegnete Noelle ruhig. »Ich mochte Schauspielerin werden.«
Gautier biss in noch ein Croissant, um Zeit zu gewinnen. »Naturlich«, sagte er. Dann fugte er hinzu: »Es gibt viele Schauspiellehrer, zu denen ich dich schicken konnte, die ...«
»Nein«, sagte sie. Noelle sah ihn freundlich, herzlich an, als ware sie begierig, in alles einzuwilligen, was er vorschlug. Und doch hatte Gautier das Gefuhl, dass in ihrem Innersten ein stahlerner Kern lag. Sie hatte auf vielerlei Arten »nein« sagen konnen. Zornig, vorwurfsvoll, enttauscht, schmollend, aber sie hatte es sanft gesagt und mit absoluter Entschiedenheit. Die Sache wurde schwieriger werden, als er erwartet hatte. Einen Augenblick war Armand Gautier versucht, ihr zu erklaren, was er Dutzenden von Madchen allwochentlich sagte, sie solle gehen, er konne seine Zeit fur sie nicht vergeuden. Aber dann dachte er wieder an die unglaublichen Sensationen, die er in der Nacht erlebt hatte, und wusste, dass er ein Narr ware, sie so bald gehen zu lassen. Sicherlich war sie einen kleinen, ganz kleinen Kompromiss wert.
»Na gut«, sagte Gautier. »Ich werde dir ein Stuck zum Studium geben. Wenn du es gelernt hast, wirst du es mir vortragen, und wir werden sehen, wie viel Talent du hast. Dann konnen wir entscheiden, was wir mit dir tun.«
»Danke, Armand«, sagte sie. Es lag kein Triumph in ihren Worten, nicht einmal Freude, die er entdecken konnte. Nur eine einfache Anerkennung des Unvermeidlichen. Zum ersten Mal fuhlte Gautier einen leisen Stich des Zweifels. Aber das war naturlich lacherlich. Er war ein Meister im Umgang mit Frauen.
Wahrend Noelle sich anzog, ging Armand Gautier in seine Bibliothek und uberflog die vertrauten, abgegriffenen Bande auf den Borden. Schlie?lich wahlte er mit einem schiefen Lacheln Andromache von Euripides. Es war eines der schwierigsten klassischen Werke. Er ging ins Schlafzimmer zuruck und gab Noelle das Stuck.
»Da, meine Liebe«, sagte er. »Wenn du die Rolle gelernt hast, werden wir sie zusammen durchnehmen.«
»Danke, Armand. Du wirst es nicht bedauern.«
Je mehr er daruber nachdachte, desto mehr freute ihn seine List. Noelle wurde eine oder zwei Wochen brauchen, die Rolle
zu lernen, oder, was noch wahrscheinlicher war, sie wurde zu ihm kommen und zugeben, sie konne sie nicht auswendig lernen. Er wurde vollstes Verstandnis zeigen und erklaren, wie schwer die Kunst des Schauspielens sei, und sie konnten dann ein von ihren Ambitionen unbeeintrachtigtes Verhaltnis unterhalten. Gautier verabredete sich mit Noelle zum Diner am Abend, und sie ging.
Als Noelle in die Wohnung zuruckkehrte, die sie mit Philippe Sorel teilte, wartete er schon auf sie. Er war sehr betrunken.
»Du Luder«, schrie er. »Wo bist du die ganze Nacht gewesen?«
Es ware gleichgultig, was sie sagte. Sorel wusste, dass er sich ihre Entschuldigung anhoren, sie verdreschen und dann ins Bett nehmen und ihr verzeihen wurde.
Doch Noelle entschuldigte sich nicht, sagte nur: »Bei einem anderen Mann, Philippe. Ich bin gekommen, meine Sachen zu holen.«
Und als Sorel sie verblufft und unglaubig ansah, ging Noelle ins Schlafzimmer und begann zu packen.