und Fotoaufnahmen. Die meisten Stars hassten das und taten es nur, um ihren Kassenwert zu erhohen oder um ihre Eitelkeit zu befriedigen. In Noelles Fall trafen beide Motive nicht zu. Sie wechselte einfach das Thema, wenn sie von Gautier gefragt wurde, warum sie bereitwillig auf eine Gelegenheit, sich im Suden Frankreichs auszuruhen, verzichtete und statt dessen im kalten, regnerischen Paris blieb, um ermudende Aufnahmen fur Le Matin, La Petite Parisienne oder L'Illustration zu machen. Und es war besser so, denn Gautier ware sehr verblufft gewesen, wenn er die wahre Ursache gewusst hatte.

Alles, was Noelle tat, geschah fur Larry Douglas.

Wenn sie fur Aufnahmen posierte, dann dachte sie dabei an ihren fruheren Geliebten, wie er die Zeitschrift in die Hand nehmen und sie auf der Fotografie erkennen wurde. Wenn sie eine Szene in einem Film spielte, sah sie Larry Douglas eines Abends im Kino irgendwo in einem fernen Land sitzen und sie betrachten. Ihre Arbeit war eine Mahnung an ihn, eine Botschaft aus der Vergangenheit, ein Signal, das ihn eines Tages zu ihr zuruckbringen wurde; und das war das einzige, was Noelle wollte, dass er zu ihr zuruckkame, damit sie ihn vernichten konnte.

Dank Christian Barbet besa? Noelle ein stets wachsendes Informationsmaterial uber Larry Douglas. Der kleine Detektiv war von seinem schabigen Buro in eine geraumige luxuriose Suite in der Rue Richer, in der Nahe der Folies-Bergere, umgezogen. Als Noelle ihn zum ersten Mal in seinem neuen Buro besuchte, hatte Barbet uber ihren uberraschten Gesichtsausdruck gegrinst und gesagt: »Ich habe es billig bekommen. Der fruhere Inhaber dieser Raume war ein Jude.«

»Sie sagten, Sie hatten Neuigkeiten fur mich«, meinte Noelle.

Barbet horte auf zu grinsen. »Ach, ja.« Er hatte wirklich Neuigkeiten. Es war schwierig, sich unter den Augen ^er Nazis Informationen aus England zu verschaffen, aber Barbet hatte Wege gefunden. Er bestach Matrosen auf neutralen Schiffen, fur ihn Briefe von einer Agentur in London herein zu schmuggeln. Aber das war nur eine seiner Quellen. Er nutzte den Patriotismus der franzosischen Untergrundbewegung, die Humanitat des Internationalen Roten Kreuzes und die Habgier der Schwarzmarkthandler mit auslandischen Verbindungen fur seine Zwecke. Jedem von ihnen erzahlte er eine andere Geschichte, und der Informationsfluss versiegte nie.

Er nahm einen Bericht von seinem Schreibtisch. »Ihr Freund wurde uber dem Kanal abgeschossen«, sagte er ohne Einleitung. Er beobachtete Noelles Gesicht aus dem Augenwinkel, in der Erwartung, dass ihre unbeteiligte Fassade zu brockeln beganne, und genoss den Schmerz, den er ihr zufugte. Aber Noelles Ausdruck veranderte sich nicht im geringsten. Sie blickte ihn an und sagte zuversichtlich: »Er wurde gerettet.« Barbet starrte sie an, schluckte und antwortete widerwillig: »Nun ja. Er wurde von einem britischen Rettungsboot aufgefischt.« Und wunderte sich, wie zum Teufel sie das erraten konnte.

Alles an dieser Frau verbluffte ihn, er hasste sie als Klientin und spielte mit dem Gedanken, sie fallen zu lassen, aber Barbet wusste, dass es dumm von ihm ware.

Er hatte einmal versucht, ihr Avancen zu machen, hatte ihr zu verstehen gegeben, dass seine Dienste dann billiger waren, aber Noelle hatte ihn so kuhl abgewiesen, dass er sich wie ein Tolpel vorkam; das wurde er ihr nie verzeihen. Eines Tages – nahm Barbet sich im stillen vor – eines Tages wurde dieses eingebildete Luder dafur zahlen.

Als Noelle jetzt in seinem Buro stand, einen Ausdruck von Widerwillen auf ihrem schonen Gesicht, fuhr Barbet eilig mit seinem Bericht fort, um sie so schnell wie moglich loszuwerden.

»Seine Staffel ist nach Kirton in Lincolnshire verlegt worden. Sie fliegen Hurricanes und ...« Noelle war an etwas anderem interessiert.

»Seine Verlobung mit der Tochter des Admirals«, sagte sie, »ist gelost, nicht wahr?«

Barbet blickte sie erstaunt an und murmelte: »Ja. Sie fand etwas uber seine anderen Affaren heraus.« Es war fast, als ob Noelle den Bericht bereits gesehen hatte. Naturlich kannte sie ihn noch nicht, aber das spielte keine Rolle. Das Band des Hasses, das sie mit Larry Douglas vereinte, war so stark, dass ihm anscheinend nichts Wichtiges passieren konnte, ohne dass sie es spurte. Noelle nahm den Bericht und ging. Zu Hause angekommen, las sie ihn langsam durch, dann legte sie ihn sorgfaltig in die Mappe zu den anderen Berichten und schloss sie weg, so dass niemand sie finden konnte.

An einem Freitagabend nach der Vorstellung sa? Noelle in ihrer Garderobe im Theater und war gerade beim Abschminken, als an die Tur geklopft wurde und Marius, der altliche, verkruppelte Buhnenportier, hereinkam.

»Pardon, Mademoiselle Page, ein Herr bat mich, Ihnen das zu bringen.«

Noelle blickte in den Spiegel und sah, dass er einen riesigen Strau? roter Rosen in einer kostbaren Vase trug.

»Stell ihn dorthin, Marius«, sagte Noelle und sah zu, wie er die Vase mit den Rosen behutsam auf einen Tisch stellte.

Es war Ende November, und niemand in Paris hatte seit uber drei Monaten Rosen gesehen. Es waren bestimmt vier Dutzend, rubinrot, langstielig, taufrisch. Neugierig ging Noelle hinuber und nahm die Karte in die Hand. Darauf stand: »Dem reizenden Fraulein Page. Wurden Sie mit mir soupieren? General Hans Scheider.«

Die Vase war aus Delfter Porzellan, hatte ein kostbares Dekor und war sehr wertvoll. General Scheider hatte sich gewaltig angestrengt.

»Er wartet auf Antwort«, sagte der Buhnenportier.

»Sag ihm, dass ich niemals soupiere, und nimm diese Blumen deiner Frau mit.«

Er starrte sie erstaunt an. »Aber der General ...«

»Das ist alles.«

Marius nickte, nahm die Vase und eilte hinaus. Noelle wusste, dass er sofort herumerzahlen wurde, sie habe einen deutschen General abgewiesen. Dasselbe war vorher mit anderen deutschen Beamten geschehen, und die Franzosen sahen deshalb in ihr eine Art Heldin. Es war lacherlich. Die Wahrheit war ganz einfach, dass Noelle nichts gegen die Nazis hatte, sie waren ihr blo? gleichgultig, hatten nichts mit ihrem Leben und mit ihren Planen zu tun; sie duldete sie einfach und wartete auf den Tag, an dem sie in ihr Land zuruckkehren wurden. Sie wusste, es ware fur sie schadlich, sich mit den Deutschen einzulassen. Nicht jetzt vielleicht, aber es war nicht die Gegenwart, die Noelle am Herzen lag; es war die Zukunft. Sie hielt die Idee der tausendjahrigen Herrschaft des Dritten Reiches fur merde. Jeder Geschichtsstudent wusste, dass letzten Endes alle Eroberer ihrerseits wieder besiegt werden. In der Zwischenzeit wurde sie ihren franzosischen Landsleuten keinen Vorwand liefern, gegen sie vorzugehen, wenn die Deutschen einmal aus dem Lande getrieben waren. Die NaziOkkupation beruhrte sie uberhaupt nicht, und wenn das Gesprach darauf kam – was ununterbrochen der Fall war -, so vermied Noelle jede Diskussion daruber.

Fasziniert von ihrer Haltung, versuchte Armand Gautier oft, sie uber dieses Thema auszuhorchen.

»Macht es dir denn nichts aus, dass die Nazis Frankreich erobert haben?« fragte er sie.

»Wurde es eine Rolle spielen, wenn es mir etwas ausmachte?«

»Darum handelt es sich nicht. Wenn jedermann so dachte wie du, waren wir verloren.«

»Wir sind trotz allem verloren, oder nicht?«

»Nicht, wenn wir an den freien Willen glauben. Meinst du, unser Leben sei von Geburt an festgelegt?«

»Bis zu einem gewissen Grad. Unser Korper, unser Geburtsort und unser Platz im Leben werden uns gegeben, was aber nicht bedeutet, dass wir uns nicht andern konnen. Wir konnen alles werden, was wir wollen.«

»Genau das meine ich. Daher mussen wir gegen die Nazis kampfen.«

Sie blickte ihn an. »Weil Gott auf unserer Seite ist?«

»Ja«, erwiderte er.

»Wenn es einen Gott gibt«, antwortete Noelle vernunftig, »und Er sie geschaffen hat, dann muss Er auch auf ihrer Seite sein.«

Im Oktober, zum Jahresjubilaum von Noelles Stuck, veranstalteten die Geldgeber eine Party fur die Schauspieler im Tour d'Argent. Die Gesellschaft bestand aus Schauspielern, Bankiers und einflussreichen Geschaftsleuten. Die Gaste waren hauptsachlich Franzosen, aber es war auch ein Dutzend Deutsche dabei, einige in Uniform und alle au?er einem von franzosischen Madchen begleitet. Dieser eine war ein deutscher Offizier in den Vierzigern, mit langem, hagerem, intelligentem Gesicht, tiefgrunen Augen und straffer, sportlicher Figur. Von seiner Wange bis zum Kinn zog sich eine schmale Narbe. Noelle war sich bewusst, dass er sie den ganzen Abend uber beobachtet hatte, obwohl er nicht in ihre Nahe gekommen war.

»Wer ist der Mann?« fragte sie beilaufig einen ihrer Gastgeber.

Er blickte zu dem Offizier hinuber, der allein an einem Tisch sa? und an einem Glas Champagner nippte,

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