gab dem Unteroffizier einen Wink und ging wieder auf die Tur zu. Er drehte sich noch einmal um. »Wenn Sie etwas von Ihrem Freund horen, werden Sie mir das sofort melden. Falls Sie das nicht tun ...« Er lachelte ihr zu. Und die beiden Manner waren verschwunden.

Noelle sank vollig erschopft in einen Stuhl. Sie erkannte, dass sie nicht uberzeugend gewirkt hatte, aber sie war total uberrumpelt worden. Sie war so sicher gewesen, dass der Zwischenfall vergessen war. Sie erinnerte sich jetzt an einige der Geschichten, die sie uber die Gestapo gehort hatte, und ein leichtes Frosteln uberkam sie. Angenommen, sie erwischten Israel Katz und er wurde reden ... Er konnte ihnen erzahlen, dass sie alte Freunde waren, dass Noelle gelogen hatte, als sie vorgab, ihn nicht zu kennen. Aber das wurde sicher nicht von Bedeutung sein. Au?er ... der Name, an den sie im Cafe gedacht hatte, kam ihr wieder in den Sinn. Le Cafard.

Eine halbe Stunde spater, als Noelle sich auf die Buhne begab, gelang es ihr, alles aus ihrem Bewusstsein zu streichen, was nicht zu ihrer Rolle gehorte. Es war ein dankbares Publikum, und als sie vor den Vorhang trat, wurde sie aufs sturmischste gefeiert. Sie konnte noch den Beifall horen, als sie in ihre Garderobe zuruckging und die Tur offnete. In einem Stuhl sa? General Scheider. Er erhob sich, als Noelle eintrat, und sagte hoflich: »Man hat mich unterrichtet, dass wir heute Abend eine Verabredung zum Souper haben.«

Sie soupierten im Le Fruit Perdu an der Seine, etwa zwanzig Meilen au?erhalb von Paris. Der Chauffeur des Generals hatte sie in einer glanzenden schwarzen Limousine hingefahren. Der Regen hatte aufgehort, und die Nacht war kuhl und angenehm. Bis zum Ende des Soupers erwahnte der General die Vorfalle des Tages nicht. Noelles erster Impuls war gewesen, nicht mit ihm auszugehen, aber dann kam sie zu dem Schluss, sie musse erfahren, wie viel die Deutschen wirklich wussten und in wie gro?er Gefahr sie schwebte.

»Ich erhielt heute Nachmittag einen Anruf vom GestapoHauptquartier«, sagte der General. »Man berichtete mir, Sie hatten einem Unteroffizier Schultz gesagt, dass Sie heute Abend mit mir soupieren wurden.« Noelle beobachtete ihn schweigend. Er fuhr fort. »Ich sagte mir, es ware fur Sie au?erst unangenehm, wenn ich nein sagte, und au?erst angenehm fur mich, wenn ich ja sagte.« Er lachelte. »Und so sind wir also hier.«

»Das ist alles einfach lacherlich«, protestierte Noelle. »Einem armen Mann zu helfen, der ein paar Lebensmittel gestohlen hat.«

»Nein, nein!« Die Stimme des Generals war schneidend. Noelle blickte ihn uberrascht an. »Verfallen Sie nicht in den Fehler zu glauben, dass alle Deutschen Dummkopfe seien. Und unterschatzen Sie die Gestapo nicht.«

Noelle sagte: »Die haben nichts mit mir zu tun, General.«

Er spielte mit dem Stiel seines Weinglases. »Oberst Muller verdachtigt Sie, einem Mann geholfen zu haben, hinter dem er schon seit langem her ist. Und wenn das stimmt, dann sieht die Sache fur Sie sehr schlecht aus. Oberst Muller verzeiht nicht und vergisst nicht.« Er sah Noelle an. »Andererseits«, sagte er bedachtsam, »wenn Sie Ihren Freund nicht wieder sehen, konnte diese ganze Geschichte einfach vergessen werden. Mochten Sie einen Cognac?«

»Ja, bitte«, sagte Noelle.

Er bestellte zwei Cognacs Napoleon. »Wie lange leben Sie schon mit Armand Gautier zusammen?«

»Bestimmt kennen Sie bereits die Antwort«, erwiderte Noelle.

General Scheider lachelte. »Ja, in der Tat, ich wei? es. Was ich Sie wirklich fragen wollte, ist, warum Sie sich immer geweigert haben, mit mir zu soupieren. War es Gautiers wegen?«

Noelle schuttelte den Kopf. »Nein.«

»Ach so«, sagte er steif. Es war ein Klang in seiner Stimme, der sie erstaunte.

»Paris ist voll von Frauen«, sagte Noelle. »Ich bin sicher, Sie konnten leicht jemanden finden.«

»Sie kennen mich nicht«, sagte der General ruhig, »sonst

hatten Sie das nicht gesagt.« Er schien verlegen. »Ich habe eine Frau und Kinder in Berlin. Ich liebe sie sehr, aber ich habe sie jetzt uber ein Jahr nicht gesehen und habe keine Ahnung, wann ich sie wieder sehen werde.«

»Wer hat Sie dazu gezwungen, nach Paris zu kommen?« fragte Noelle unbarmherzig.

»Ich habe nicht um Ihre Sympathie gebeten. Ich wollte Ihnen nur einiges von mir erklaren. Ich bin kein polygamer Typ. Als ich Sie zum ersten Mal auf der Buhne sah«, sagte er, »ging etwas in mir vor. Ich fuhlte, dass ich Sie unbedingt kennen lernen musste. Ich mochte, dass wir gute Freunde sind.«

Es lag eine ruhige Wurde in der Art, wie er sprach.

»Ich kann nichts versprechen«, sagte Noelle.

Er nickte. »Ich verstehe.«

Aber naturlich verstand er nichts. Denn Noelle beabsichtigte nicht, ihn je wieder zu sehen. General Scheider wechselte taktvoll das Thema, und sie sprachen uber Schauspielerei und Theater. Noelle fand, dass er eine erstaunliche Bildung besa?. Er war sehr vielseitig und hochintelligent. Mit Leichtigkeit sprang er von einem Thema zum anderen, wobei er ihre gemeinsamen Interessen unterstrich. Er zog eine Schau ab, die Noelle amusierte. Er hatte sich gro?e Muhe gegeben, alles uber ihre Herkunft und ihre Vergangenheit in Erfahrung zu bringen. Er war durch und durch der deutsche General in seiner feldgrauen Uniform, kraftig und autoritar, aber er besa? auch eine Feinheit, die von einer ganz anderen Seite seiner Personlichkeit zeugte, etwas Intellektuelles, das mehr zu einem Gelehrten als zu einem Soldaten passte. Und trotzdem war da diese Narbe auf seinem Gesicht.

»Wie sind Sie zu dieser Narbe gekommen?« fragte Noelle.

Er tastete mit dem Finger uber die tiefe Kerbe und zuckte die Schultern. »Ich habe mich vor vielen Jahren duelliert; in Deutschland nennen wir das >Schmiss<.«

Sie diskutierten uber die Nazi-Philosophie.

»Wir sind keine Ungeheuer«, erklarte General Scheider. »Und wir haben nicht den Wunsch, die Welt zu beherrschen. Aber wir beabsichtigen auch nicht, stillzusitzen und weiterhin fur einen Krieg bestraft zu werden, den wir vor mehr als zwanzig Jahren verloren haben. Der Vertrag von Versailles war eine Fessel, die das deutsche Volk endlich abgeworfen hat.«

Sie sprachen uber die Besetzung von Paris. »Es war nicht die Schuld Ihrer franzosischen Soldaten, dass es so leicht fur uns war«, sagte General Scheider. »Ein gro?er Teil der Verantwortung liegt bei Napoleon dem Dritten.«

»Sie scherzen«, antwortete Noelle.

»Ich spreche vollkommen im Ernst«, versicherte er ihr. »Zu Napoleons Zeit benutzte der Mob ununterbrochen die krummen, winkligen Stra?en von Paris fur Barrikaden und Hinterhalte gegen die Soldaten. Um sie daran zu hindern, gab er Baron Haussmann den Auftrag, die Stra?en zu begradigen und schone, breite Boulevards anzulegen.« Er lachelte. »Die Boulevards, uber die unsere Truppen marschierten. Ich furchte, die Nachwelt wird mit dem Stadtplaner Haussmann nicht glimpflich verfahren.«

Nach dem Abendessen, auf der Heimfahrt nach Paris, fragte er: »Sind Sie in Armand Gautier verliebt?«

Es klang beilaufig, aber Noelle spurte, dass ihre Antwort fur ihn wichtig war.

»Nein«, sagte sie langsam.

Er nickte befriedigt. »Ich wusste es. Ich glaube, dass ich Sie sehr glucklich machen konnte.«

»So glucklich, wie Sie Ihre Frau machen?«

General Scheider erstarrte fur einen Moment, als ob er einen Schlag erhalten hatte, und wandte sich dann zu Noelle um.

»Ich kann ein guter Freund sein«, sagte er ruhig. »Wir wollen hoffen, dass wir beide niemals Feinde werden.«

Als Noelle in ihr Appartement zuruckkehrte, war es fast drei Uhr morgens, und Armand Gautier erwartete sie besorgt.

»Wo zum Teufel bist du gewesen?« fragte er, als sie zur Tur hereinkam.

»Ich hatte eine Verabredung.« Noelles Augen streiften an ihm vorbei uber das Zimmer. Es sah aus, als ob es von einem Wirbelsturm heimgesucht worden sei. Die Schreibtischschubladen waren geoffnet und ihr Inhalt im Zimmer verstreut. Die Schranke waren durchsucht worden, eine Lampe war umgeworfen, und ein kleiner Tisch lag umgekippt da, ein Bein war abgebrochen.

»Was ist passiert?« fragte Noelle.

»Die Gestapo war hier! Mein Gott, Noelle, was hast du angestellt?«

»Nichts.«

»Warum sind sie dann hier gewesen?«

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