spurte, wie alles Blut aus ihrem Gesicht wich. Sie dachte an General Scheider und an den haarlosen Albino von der Gestapo und was die mit ihr tun wurden, wenn sie sie erwischten. »Ich werde Ihnen helfen«, sagte Noelle.
Catherine
Washington-Hollywood 1941
Es schien Catherine Alexander, dass eine neue Phase in ihrem Leben begonnen hatte, als ob sie irgendwie eine hohere Gefuhlsebene erklommen hatte, einen berauschenden und euphorischen Gipfel. Wenn Bill Fraser in der Stadt war, a?en sie jeden Abend zusammen und gingen anschlie?end in Konzerte, ins Theater oder in die Oper. Er fand eine kleine bezaubernde Wohnung fur sie in der Nahe von Arlington. Er wollte fur ihre Miete aufkommen, aber Catherine bestand darauf, sie selbst zu bezahlen. Er kaufte ihr Kleider und Schmuck. Zuerst wehrte sie sich, denn die tief in ihr verwurzelten Prinzipien der protestantischen Ethik straubten sich dagegen, aber es machte Fraser solche Freude, dass sie ihren Widerstand aufgab.
Ob du willst oder nicht, dachte sie, du bist eine Matresse. Es war fur sie stets ein anruchiges Wort gewesen, verbunden mit der Idee von billigen Flittchen in Hinterhofwohnungen, die dort ein frustriertes Gefuhlsleben fuhrten. Aber jetzt, da es ihr selbst geschah, war es eigentlich gar nicht so, fand Catherine. Es bedeutete einfach, dass sie mit dem Mann schlief, den sie liebte. Es war nicht schmutzig oder niedrig, es war vollig naturlich. Es ist interessant, dachte sie, wie die Dinge, die andere Leute tun, einem schrecklich vorkommen, und doch, wenn man sie selbst tut, erscheinen sie einem richtig. Wenn man uber die sexuellen Erlebnisse anderer liest, so wirkt das wie aus einem Sensationsblattchen, aber wenn es sich um einen selbst handelt, scheint es einem erstklassigen Damenjournal entnommen.
Fraser war ein aufmerksamer und verstandnisvoller Partner, und es war, als ob sie stets zusammen gewesen waren.
Catherine wusste im voraus, wie er in jeder Situation reagieren wurde, sie kannte alle seine Stimmungen. Im Gegensatz zu dem, was Fraser gesagt hatte, wurde ihre erotische Beziehung nicht aufregender, aber Catherine sagte sich, dass die Erotik nur einen kleinen Teil einer Verbindung ausmachte. Sie war kein Schulmadchen, das dauernd einen neuen Kitzel brauchte, sie war eine reife Frau. Man kann nicht alles haben, dachte sie ironisch.
Frasers Werbeagentur wurde in seiner Abwesenheit von Wallace Turner, einem Prokuristen, gefuhrt. William Fraser wollte so wenig wie moglich mit dem Unternehmen zu tun haben, um sich vollig seiner Arbeit in Washington widmen zu konnen, aber jedes Mal, wenn in der Agentur ein gro?eres Problem auftauchte und man seinen Rat benotigte, besprach Fraser es mit Catherine und benutzte sie als eine Art Resonanzboden. Er fand, dass sie eine feine Nase furs Geschaft hatte. Catherine hatte oft Ideen fur Werbekampagnen, die sich als erfolgreich erwiesen.
»Wenn ich nicht so egoistisch ware, Catherine«, sagte Fraser eines Abends beim Essen, »wurde ich dich in die Agentur stecken und dich einige unserer Werbekonten betreuen lassen.« Er legte seine Hand auf die ihre. »Aber du wurdest mir fehlen«, fugte er hinzu. »Ich will dich hier bei mir haben.«
»Ich will hier sein, Bill. Ich bin sehr glucklich mit allem, wie es ist.« Und das stimmte. Sie hatte gedacht, sie wurde verzweifelt nach der Heirat streben, wenn sie sich einmal in einer solchen Situation befande, aber irgendwie schien das alles keine Eile zu haben. In allem, was zahlte, waren sie so gut wie verheiratet.
Eines Nachmittags, als Catherine gerade eine Arbeit fertig machte, trat Fraser in ihr Buro.
»Was meinst du dazu, wenn wir heute Abend eine Fahrt aufs Land machten?« fragte er.
»Das ware herrlich. Wo fahren wir hin?«
»Nach Virginia. Wir essen mit meinen Eltern zu Abend.«
Catherine blickte ihn erstaunt an. »Wissen sie von uns?« fragte sie.
»Nicht alles«, grinste er. »Nur, dass ich eine phantastische junge Assistentin habe und sie zum Dinner mitbringe.«
Wenn sie dabei eine leise Enttauschung verspurte, so lie? sie es sich nicht anmerken. »Ausgezeichnet«, sagte sie. »Ich werde vorher kurz nach Hause fahren und mich umziehen.«
»Ich hole dich um sieben Uhr ab.«
»In Ordnung.«
Das Haus der Frasers, das in den schonen welligen Hugeln von Virginia lag, war ein gro?er Gutshof im Kolonialstil, umgeben von sechzig Morgen Wiesen und Ackerland. Das Haus stammte aus dem 17. Jahrhundert.
»Ich habe noch nie so etwas gesehen«, staunte Catherine.
»Es ist eine der besten Zuchtfarmen in Amerika«, erklarte ihr Fraser.
Der Wagen fuhr an einer Koppel, auf der sich schone Pferde tummelten, an sauber gehaltenen Sattelplatzen und an dem Cottage des Verwalters vorbei.
»Es ist wie eine andere Welt«, rief Catherine aus. »Ich beneide dich darum, dass du hier aufwachsen durftest.«
»Glaubst du, es wurde dir Spa? machen, auf einer Farm zu leben?«
»Das hier kann man nicht Farm nennen«, sagte sie trocken. »Es ist eher, als besa?e man ein eigenes Land.«
Sie waren vor dem Haus angelangt.
Fraser wandte sich ihr zu. »Meine Mutter und mein Vater sind etwas formlich«, warnte er sie, »aber du brauchst dich nicht zu furchten. Sei einfach ganz naturlich. Nervos?«
»Nein, gar nicht«, sagte Catherine. »Ich bin nur von panischer Angst erfullt.« Wahrend sie das sagte, merkte sie erstaunt, dass sie log. In der klassischen Situation aller Madchen, die den Eltern des geliebten Mannes vorgestellt werden, hatte sie vor Schreck fast gelahmt sein mussen. Aber sie empfand nichts als Neugierde. Doch sie hatte keine Zeit, sich daruber zu wundern. Sie stiegen bereits aus, ein Butler in voller Livree hielt den Wagenschlag auf und hie? sie mit einem Lacheln willkommen.
Oberst Fraser und seine Gattin hatten beide aus der Zeit vor dem Burgerkrieg stammen konnen. Was Catherine zuerst auffiel, war, wie alt und zerbrechlich sie aussahen. Oberst Fraser war eine blasse Kopie von dem, was einst ein gut aussehender, vitaler Mann gewesen war. Er erinnerte Catherine sehr stark an jemanden, und sie erkannte erschrocken, an wen: Er war eine alte, verbrauchte Version seines Sohnes. Der Oberst hatte sparliches wei?es Haar und ging muhsam nach vorne gebeugt. Seine Augen waren blassblau, und seine ehemals kraftigen Hande hatten Gichtknoten. Seine Frau wirkte aristokratisch, und es waren noch Spuren madchenhafter Schonheit an ihr. Sie empfing Catherine voll Warme.
Trotz Frasers Erklarungen hatte Catherine das Gefuhl, dass sie zur Besichtigung hier war. Der Oberst und seine Frau verbrachten den Abend damit, sie auszufragen. Sie waren sehr diskret, aber grundlich. Catherine erzahlte ihnen von ihren Eltern und ihrer Kindheit, und als sie von ihrem haufigen Schulwechsel sprach, lie? sie es wie abenteuerlichen Spa? klingen und nicht wie die Qual, die es gewesen war. Wahrend sie sprach, konnte sie sehen, wie Bill Fraser sie stolz anstrahlte. Das Abendessen war hervorragend. Sie a?en bei Kerzenlicht in einem geraumigen, altmodischen Speisezimmer mit einem echten Kamin aus Marmor und livrierten Dienern. Sie blickte Bill Fraser an, und eine Welle warmer Dankbarkeit durchflutete sie. Sie hatte das Gefuhl, dieses Leben konnte ihr gehoren, wenn sie es wollte. Sie wusste, dass Fraser sie liebte, und sie erwiderte seine Liebe. Und doch fehlte ihr etwas: das gewisse Aufregende. Vielleicht, dachte sie, erwarte ich zuviel Ich bin wahrscheinlich durch Gary Cooper, Humphrey Bogart und
Spencer Tracy verdorben. Die Liebe ist kein Ritter in einer glanzenden Rustung, sie ist ein Gutsbesitzer in einem grauen Tweedanzug. Der Teufel soll alle diese Filme und Bucher holen! Als sie den Oberst anblickte, konnte sie Fraser in zwanzig Jahren sehen, aufs Haar seinem Vater gleich.
Sie war den Rest des Abends sehr still.
Auf dem Heimweg fragte Fraser: »Hat dir der Abend gefallen?«
»Sehr. Ich mag deine Eltern.«
»Sie mochten dich auch.«
»Ich bin froh daruber.« Sie war es tatsachlich. Und doch war sie beunruhigt, dass sie bei der Begegnung mit seinen Eltern keinerlei Aufregung verspurt hatte.
Am nachsten Abend, wahrend Catherine und Fraser im Jockey Club a?en, erzahlte Fraser ihr, dass er auf