»Ich pflege meine Versprechen zu halten«, sagte Noelle. Sie sah zu, wie der Hauptmann aus dem Schlafzimmer kam, ihr Schminkkofferchen und ihren Stadtkoffer trug. »Ist das alles?« fragte er.

»Ja«, sagte Noelle. »Das ist alles.«

Der Hauptmann trug die Koffer hinaus.

»Fertig?« fragte General Scheider.

»Wollen wir noch etwas trinken, bevor wir gehen«, erwiderte Noelle schnell. Sie ging auf die Bar zu, auf der eine Flasche Champagner in einem Eiskubel stand.

»Uberlassen Sie es mir.« Er trat an den Eiskubel und offnete die Flasche.

»Worauf sollen wir trinken?« fragte er.

»Auf Etretat.«

Er sah sie einen Moment prufend an und sagte dann: »Auf Etretat.« Sie stie?en an und tranken. Als Noelle ihr Glas abstellte, blickte sie verstohlen auf ihre Armbanduhr. General Scheider redete, aber Noelle horte nur halb hin. Sie versuchte sich auszumalen, was gerade unten vorging. Sie musste sehr vorsichtig sein. Wenn sie zu schnell oder zu langsam handelte, ware es verhangnisvoll. Fur jedermann.

»Woran denken Sie?« fragte General Scheider.

Noelle wandte sich schnell um. »An nichts.«

»Sie hatten nicht zugehort.«

»Es tut mir leid. Ich glaube, ich dachte an uns.«

»Sie sind mir ein Ratsel«, sagte er.

»Sind nicht alle Frauen ein Ratsel?«

»Nicht wie Sie. Ich hatte nie geglaubt, dass Sie kaprizios sind, und doch« – er machte eine Geste -, »zuerst wollen Sie mich uberhaupt nicht sehen, und jetzt verbringen wir plotzlich ein Wochenende auf dem Lande.«

»Tut es Ihnen leid, Hans?«

»Nein, naturlich nicht. Aber trotzdem frage ich mich – warum auf dem Lande?«

»Ich habe Ihnen gesagt, warum.«

»Ach ja«, sagte General Scheider. »Die Romantik. Noch etwas, was mich verblufft. Ich halte Sie fur eine Realistin und keine Romantikerin.«

»Was wollen Sie damit sagen?« fragte Noelle.

»Nichts«, erwiderte der General ruhig. »Ich dachte nur laut. Ich liebe es, Ratsel zu losen, Noelle. Mit der Zeit werde ich auch Sie losen.«

Sie zuckte die Schultern. »Wenn Sie die Losung einmal haben, dann ist das Problem vielleicht nicht mehr interessant.«

»Das werden wir sehen.« Er stellte sein Glas hin. »Wollen wir gehen?«

Noelle nahm die leeren Champagnerglaser.

»Ich stelle sie nur ins Spulbecken«, sagte sie.

General Scheider beobachtete sie, wie sie in die Kuche ging. Noelle war eine der schonsten und begehrenswertesten Frauen, die er je gesehen hatte, und er wollte sie besitzen. Das hie? jedoch nicht, dass er dumm oder blind war. Sie wollte etwas von ihm. Oberst Muller hatte ihn gewarnt, dass sie aller Wahrscheinlichkeit nach einen gefahrlichen Feind des Reiches unterstutzte, und Oberst Muller irrte sich sehr selten. Falls er recht hatte, verlie? sich Noelle wohl darauf, dass General Scheider sie auf irgendeine Weise schutzen werde. Wenn dem so war, so verstand sie nichts von der deutschen militarischen Denkweise und noch weniger von ihm. Er wurde sie ohne mit der Wimper zu zucken der Gestapo ubergeben, aber zuerst wurde er sein Vergnugen mit ihr haben. Er freute sich auf das Wochenende.

Noelle kam aus der Kuche. Ihr Gesicht hatte einen beunruhigten Ausdruck. »Wie viele Gepackstucke nahm Ihr Chauffeur mit nach unten?« fragte sie.

»Zwei«, erwiderte er. »Einen Stadtkoffer und ein Make-up-Kofferchen.«

Sie zog eine Grimasse. »O du lieber Himmel, es tut mir leid, Hans. Er hat einen Koffer vergessen. Verzeihen Sie mir?«

Er beobachtete, wie Noelle zum Haustelefon ging, den Horer abnahm und hineinsprach. »Wurden Sie bitte den Chauffeur des Generals ersuchen, nochmals heraufzukommen?« sagte sie. »Es ist noch ein Koffer hinunter zu tragen.« Sie legte den Horer auf. »Ich wei?, wir werden nur ubers Wochenende weg sein«, sagte sie lachelnd, »aber ich will Ihnen gefallen.«

»Wenn Sie mir gefallen wollen«, antwortete General Scheider, »werden Sie nicht viele Kleider brauchen.« Er blickte auf ein Bild von Arrriand Gautier auf dem Klavier. »Wei? Herr Gautier, dass Sie mit mir verreisen?« fragte er.

»Ja«, log Noelle. Armand war in Nizza, wo er einen Produzenten wegen eines Films zu treffen hatte, und sie hatte es fur unnutz gehalten, ihn zu beunruhigen und ihn uber ihre Plane zu informieren. Es klingelte, und Noelle ging zur Tur und offnete sie. Der Hauptmann stand davor. »Ich hore, es ist noch ein Koffer da?« sagte er.

»Ja«, entschuldigte sich Noelle. »Er ist im Schlafzimmer.«

Der Hauptmann nickte und ging ins Schlafzimmer.

»Wann mussen Sie wieder in Paris sein?« fragte der General.

Noelle wandte sich um und blickte ihn an. »Ich mochte so lange wie moglich bleiben. Wir werden Montag am spaten Nachmittag zuruckfahren. Dann haben wir zwei volle Tage.«

Der Hauptmann kam aus dem Schlafzimmer. »Verzeihen Sie, Mademoiselle. Wie sieht der Koffer aus?«

»Es ist ein gro?er runder blauer Koffer«, sagte Noelle. Sie wandte sich an den General. »Es ist ein neues Kleid drin, das ich noch nie getragen habe. Ich habe es fur Sie aufgehoben.«

Sie plapperte drauflos, versuchte, ihre Nervositat zu verbergen. Der Hauptmann war ins Schlafzimmer zuruckgegangen. Einige Augenblicke spater kam er wieder heraus. »Es tut mir leid«, sagte er. »Ich kann ihn nicht finden.«

»Ich werde nachsehen«, sagte Noelle. Sie ging ins Schlafzimmer und begann, die Schranke zu durchsuchen. »Diese Idiotin von einem Dienstmadchen muss ihn irgendwo versteckt haben«, sagte sie. Alle drei blickten jetzt in jeden Schrank in der Wohnung. Es war der General, der endlich den Koffer in einem Schrank in der Diele fand. Er nahm ihn heraus und sagte: »Er scheint leer zu sein.«

Noelle offnete rasch den Koffer und sah hinein. Es war nichts drinnen. »Oh, dieses dumme Madchen«, sagte sie. »Sie muss das schone neue Kleid in den Koffer mit meinen anderen Kleidern gestopft haben. Ich hoffe, sie hat es nicht ruiniert.« Sie seufzte argerlich. »Haben Sie in Deutschland auch soviel Verdruss mit Dienstmadchen?«

»Ich glaube, es ist uberall das gleiche«, erwiderte General Scheider. Er beobachtete Noelle scharf. Sie benahm sich seltsam, sie redete zuviel. Sie bemerkte seinen Blick.

»Ich komme mir bei Ihnen wie ein Schulmadchen vor«, sagte Noelle. »Ich kann mich nicht erinnern, je so nervos gewesen zu sein.«

General Scheider lachelte. Also das war es. Oder spielte sie irgendein Spiel mit ihm? Wenn dem so war, wurde er es bald herausfinden. Er blickte auf seine Uhr. »Wenn wir uns jetzt nicht auf den Weg machen, werden wir sehr spat ankommen.«

»Ich bin fertig«, sagte Noelle.

Sie betete, dass die anderen auch fertig waren.

Als sie im Vestibul ankamen, stand da der Concierge mit kalkwei?em Gesicht. Noelle fragte sich, ob etwas schief gegangen war. Sie schaute ihn fragend nach einem Signal, einem Zeichen an, aber bevor er reagieren konnte, hatte der General Noelles Arm genommen und fuhrte sie aus dem Hause.

General Scheiders Limousine stand direkt vor dem Eingang. Der Kofferraum des Wagens war geschlossen. Die Stra?e war leer. Der Chauffeur eilte zum hinteren Wagenschlag, um ihn zu offnen. Noelle drehte sich um, um den Concierge im Vestibul zu sehen, aber der General stellte sich vor sie und verhinderte es. Absichtlich? Noelle blickte auf den geschlossenen Kofferraum, aber der sagte ihr nichts. Es wurde Stunden dauern, bevor sie wusste, ob der Plan gelungen war, und die Spannung wurde unertraglich sein.

»Alles in Ordnung?« General Scheider starrte sie an. Sie spurte, dass etwas schrecklich missgluckt war. Unter irgendeinem Vorwand musste sie ins Vestibul zurucklaufen und mit dem Concierge ein paar Sekunden allein sein. Sie zwang ein Lacheln auf ihre Lippen.

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