Es ging noch schneller, als Catherine erwartet hatte. Fast uber Nacht war Washington in ein Heerlager von Khakiuniformen verwandelt.

Die Atmosphare war mit einer ansteckenden Erregung geladen. Es war, als sei Friede nur Lethargie, ein Pesthauch, der die Menschheit mit Langeweile betaubte, und als ob es nur der Krieg allein ware, der die Menschen zum vollen Genuss des Lebens antreiben konnte.

Larry war sechzehn bis achtzehn Stunden auf dem Fliegerstutzpunkt und blieb dort oft uber Nacht. Er berichtete Catherine, dass die Situation in Pearl Harbor und Hickam Field viel schlimmer ware, als man den Leuten weisgemacht hatte. Der heimtuckische Angriff war verheerend erfolgreich gewesen. Praktisch waren Amerikas Marine und ein Gro?teil seiner Luftwaffe vernichtet.

»Willst du damit sagen, wir konnten den Krieg verlieren?« fragte Catherine entsetzt.

Larry blickte sie nachdenklich an. »Es hangt davon ab, wie schnell wir rusten konnen«, antwortete er. »Alle stellen sich die Japaner als komische kleine Manner mit schwachen Augen vor. Das ist Blodsinn. Sie sind zah, und sie furchten den Tod nicht.«

In den darauf folgenden Monaten schien es, als waren die Japaner durch nichts aufzuhalten. Die taglichen Schlagzeilen schrieen ihre Erfolge hinaus. Sie griffen die Insel Wake an ... machten die Philippinen fur die Invasion reif ... landeten in Guam ... in Borneo ... in Hongkong. General MacArthur erklarte Manila zur offenen Stadt, und die auf den Philippinen in der Falle sitzenden amerikanischen Truppen ergaben sich.

Eines Tages im April rief Larry Catherine vom Stutzpunkt aus an und bat sie, ihn in der Stadt zu treffen, um bei einem Dinner im Willard Hotel zu feiern.

»Was zu feiern?« fragte Catherine.

»Ich werde es dir heute Abend sagen«, erwiderte Larry. Seiner Stimme war gro?e Erregung anzumerken.

Als Catherine auflegte, war sie von schrecklichen Vorahnungen erfullt. Sie versuchte, an alle moglichen Grunde zu denken, die Larry zum Feiern haben konnte, aber sie kam immer wieder auf dasselbe zuruck, und sie fuhlte nicht die Kraft in sich, es zu ertragen.

Um funf Uhr nachmittags sa? Catherine ausgehbereit auf ihrem Bett und starrte in den Spiegel auf ihrem Toilettentisch.

Ich irre mich bestimmt, dachte sie. Vielleicht hat man ihn befordert. Das ist es, was wir feiern. Oder vielleicht hat er gute Nachrichten uber den Krieg bekommen. Catherine redete sich das ein, aber sie glaubte es nicht. Sie studierte ihr Gesicht im Spiegel und versuchte, dabei objektiv zu sein. Wenn sie auch Ingrid Bergman keine schlaflosen Nachte bereiten konnte, so war sie doch recht attraktiv. Sie hatte eine gute Figur mit aufreizenden Kurven. Du bist intelligent, frohlich, angenehm, nett und sehr sexy, sagte sie zu sich selbst. Warum konnte ein normales, vollblutiges Mannsbild danach lechzen, dich zu verlassen, um in den Krieg zu ziehen und sich umbringen zu lassen?

Um sieben Uhr betrat Catherine das Restaurant des Willard Hotels. Larry war noch nicht da, und der Maitre geleitete sie zu einem Tisch. Sie sagte zuerst nein, sie wollte keinen Drink, uberlegte es sich dann aber und bestellte einen Martini.

Als der Kellner ihn brachte und Catherine das Glas hob, merkte sie, dass ihre Hande zitterten. Sie blickte auf und sah Larry auf sich zukommen. Er schlangelte sich zwischen den Tischen hindurch und begru?te auf dem Weg einige Leute. Er hatte diese unglaubliche Vitalitat an sich, diese Aura, die alle Augen in seine Richtung blicken lie?en. Catherine beobachtete ihn und erinnerte sich an den Tag, als er in der MGM-Kantine in Hollywood an ihren Tisch gekommen war. Sie merkte, wie schlecht sie ihn damals gekannt hatte, und fragte sich, wie gut sie ihn jetzt kannte. Er erreichte den Tisch und gab ihr einen fluchtigen Kuss auf die Wange.

»Es tut mir leid, Cathy«, entschuldigte er sich. »Der Stutzpunkt war den ganzen Tag ein Irrenhaus.« Er setzte sich, gru?te den Kellner mit Namen und bestellte einen Martini. Er sagte nichts dazu, dass Catherine bereits etwas trank.

Catherines Gedanken schrieen: Sag mir deine Uberraschung. Sag mir, was wir feiern. Aber sie sagte nichts. Es gab ein altes ungarisches Sprichwort: »Nur ein Narr hat es eilig mit schlechten Nachrichten.« Sie nahm noch einen Schluck. Aber vielleicht war es gar kein altes ungarisches Sprichwort. Vielleicht war es ein neues Sprichwort von Catherine Douglas, dazu erfunden, uber sensibler Haut als Schutz getragen zu werden. Vielleicht machte sie der Martini leicht betrunken. Wenn sie ihre Ahnung nicht tauschte, so wurde sie sehr betrunken sein, bevor diese Nacht vorbei war. Aber als sie jetzt Larry anblickte, dessen Gesicht von Liebe erfullt war, wusste Catherine, dass sie sich bestimmt getauscht hatte. Larry konnte es ebenso wenig ertragen, sie zu verlassen, wie sie. Sie hatte sich einen Alptraum ausgedacht. Der gluckliche Ausdruck auf seinem Gesicht verhie?, dass er wirklich gute Neuigkeiten fur sie hatte.

Larry neigte sich ihr zu, lachelte sein jungenhaftes Lacheln und nahm ihre Hand in die seine.

»Du wirst nie erraten, Cathy, was passiert ist. Ich gehe nach Ubersee.«

Es war, als ob ein dunner Vorhang herab fiele und allem ein unwirkliches, verschwommenes Aussehen verliehe. Larry sa? neben ihr, seine Lippen bewegten sich, aber sein Gesicht war einmal unscharf, dann wieder deutlich, und Catherine konnte keines seiner Worte verstehen. Sie blickte uber seine Schultern, und die Wande des Restaurants schoben sich zusammen und wichen zuruck. Sie beobachtete dies fasziniert.

»Catherine!« Larry schuttelte sie am Arm, und langsam

richteten sich ihre Augen auf ihn, alles wurde wieder normal. »Ist dir nicht gut?«

Catherine nickte, schluckte und sagte schwach: »Mir geht's gro?artig. Gute Nachrichten haben immer diese Wirkung auf mich.«

»Du verstehst, dass ich es tun muss, nicht wahr?«

»Ja, ich verstehe.« Die Wahrheit ist, dass ich es nicht verstehen wurde, und wenn ich eine Million Jahre lebte, mein Liebling. Aber wenn ich dir das sagte, wurdest du mich nicht mogen, nicht wahr? Wer kann schon eine norgelnde Frau brauchen? Heldenfrauen schicken ihre Manner lachelnd in den Krieg.

Larry beobachtete sie besorgt. »Du weinst ja.«

»Das ist nicht wahr«, sagte Catherine entrustet und entdeckte zu ihrem Schrecken, dass es stimmte. »Ich – ich muss mich nur an den Gedanken gewohnen.«

»Sie geben mir eine eigene Staffel«, sagte Larry.

»Wirklich?« Catherine versuchte, ihre Stimme stolz klingen zu lassen. Eine eigene Staffel! Als kleiner Junge hatte er wahrscheinlich seine eigenen Eisenbahnzuge zum Spielen gehabt. Und dem gro?en Jungen hatten sie jetzt eine eigene Staffel zum Spielen gegeben. Und das waren echte Spielzeuge, die garantiert abgeschossen werden, bluten und sterben konnten. »Ich mochte noch einen Drink«, sagte sie.

»Naturlich.«

»Wann – wann musst du weg?«

»Nicht vor nachstem Monat.«

Es klang, als ob er es eilig hatte wegzukommen. Es war erschreckend zu spuren, wie das ganze Gefuge ihrer Ehe ins Wanken kam. Auf dem Podium sang jemand schmalzig: »Eine Reise auf den Mond auf Spinnwebflugeln ...« Spinnweben, dachte sie. Das ist es, woraus meine Ehe gemacht ist: aus Spinnweben. Dieser Cole Porter wusste auch alles.

»Wir werden eine Menge Zeit haben, bevor ich fahre«, sagte

Larry.

Eine Menge Zeit wofur? fragte sich Catherine bitter. Eine Menge Zeit, um eine Familie zu grunden und mit unseren Kindern zum Skilaufen nach Vermont zu fahren, um zusammen alt zu werden?

»Was mochtest du gerne heute Abend machen?« fragte Larry.

Ich mochte gerne ins Bezirksspital fahren, um eine von deinen Zehen entfernen zu lassen. Oder eines deiner Trommelfelle durchbohren lassen. Laut sagte Catherine: »Gehen wir nach Hause und lieben wir uns.« Es war ein wildes, verzweifeltes Drangen in ihr.

Die nachsten vier Wochen vergingen wie im Flug. Die Uhren rasten vorwarts wie in einem kafkaesken Alptraum, der Tage in Stunden und Stunden in Minuten verwandelte, und dann war – unglaublich fast – Larrys letzter Tag gekommen. Catherine fuhr ihn zum Flugplatz. Er war gesprachig und frohlich, sie war finster, still und todunglucklich. Die letzten paar Minuten wurden zu einem Durcheinander von militarischen Formalitaten ... ein eiliger Abschiedskuss ... Larry besteigt das Flugzeug, das ihn ihr entfuhrt ... ein letztes Abschiedswinken. Catherine stand auf dem Flugfeld, sah, wie sein Flugzeug zu einem kleinen Fleck am Himmel wurde und endlich verschwand. Sie stand eine Stunde lang da, und als es schlie?lich dunkel wurde, drehte sie sich um und fuhr in die Stadt in ihre

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