Tages wurde sie aus seinem Leben verschwinden auf genau die gleiche kapriziose Art, wie sie hineingeschlendert war. Und wenn sich Gautier daran erinnerte, wie es jenes eine Mal war, als Noelle ihn verlassen hatte, fuhlte er sich elend bis ins Mark. Gegen jede Vernunft, gegen seine Erfahrung und Frauenkenntnis war er wahnsinnig in Noelle verliebt. Sie war die einzige, die wichtigste Realitat in seinem Leben. Oft lag er nachts wach und dachte sich raffinierte Uberraschungen aus, um sie glucklich zu machen; wenn sie gelangen, wurde er mit einem Lacheln oder einem Kuss belohnt oder gar mit einer Liebesnacht beschenkt. Jedes Mal, wenn sie einen anderen Mann ansah, uberkam Gautier Eifersucht, aber er war klug genug, es Noelle nicht merken zu lassen. Einmal, nach einer Gesellschaft, als sie sich den ganzen Abend mit einem beruhmten Arzt unterhalten hatte, war Gautier wutend auf sie gewesen. Noelle horte sich seine Tiraden an und antwortete dann ruhig: »Wenn du etwas dagegen hast, Armand, dass ich mich mit anderen Mannern unterhalte, kann ich ja heute Abend meine Sachen packen.«

Er beruhrte nie mehr dieses Thema.

Anfang Februar begann Noelle, ihren Salon einzurichten. Es hatte als einfaches Sonntags-Dinner mit ein paar Freunden aus dem Theater angefangen, aber es sprach sich herum, und der Kreis erweiterte sich schnell und schloss bald Politiker, Wissenschaftler und Schriftsteller ein – wen immer die Gruppe fur amusant oder interessant hielt. Noelle war die ungekronte Herrscherin des Salons und eine seiner Hauptanziehungspunkte. Jedermann war begierig, sich mit ihr zu unterhalten, denn Noelle stellte scharfsinnige Fragen und hatte ein gutes Gedachtnis fur die Antworten. Sie lernte Politik von den Politikern und Finanz von den Bankiers. Ein fuhrender Kunstexperte brachte ihr einiges uber bildende Kunst bei, und bald kannte sie alle gro?en franzosischen Kunstler. Sie erfuhr alles Wissenswerte uber Wein vom Oberkellermeister des Barons Rothschild und uber Architektur von Le Corbusier. Noelle hatte die besten Hauslehrer der Welt, und diese wiederum hatten eine schone und faszinierende Schulerin. Sie hatte eine schnelle, grundliche Auffassungsgabe und war eine intelligente Zuhorerin.

Armand Gautier hatte das Gefuhl, eine Prinzessin im Umgang mit ihren Ministern vor sich zu sehen, und hatte er sich das vollig klargemacht, ware er damit Noelles wahrem Charakter am nachsten gekommen.

Mit der Zeit begann sich Gautier ein wenig sicherer zu fuhlen. Es schien ihm, dass Noelle alle, die ihm gefahrlich werden konnten, kennen gelernt hatte, und sie hatte fur keinen von ihnen Interesse gezeigt. Sie hatte noch nicht Constantin Demiris kennen gelernt.

Constantin Demiris herrschte uber ein Imperium, das gro?er und machtiger als die meisten Staaten war. Er hatte weder einen Titel noch eine offizielle Position, aber er war gewohnt, Premiere, Kardinale, Botschafter und Konige zu kaufen und zu verkaufen. Demiris war einer der zwei oder drei reichsten Manner der Welt, und seine Macht war legendar. Er hatte die gro?te Frachter-Flotte im Einsatz, besa? eine Fluggesellschaft, Zeitungen, Banken, Stahlwerke, Goldminen – seine Fuhler reichten uberallhin, unentwirrbar verwoben wie Schuss und Kette mit dem okonomischen Gewebe von einem Dutzend Landern.

Ihm gehorte eine der bedeutendsten Kunstsammlungen der Welt, eine Flotte von Privatflugzeugen und ein Dutzend Appartements und Villen in allen Teilen der Welt.

Constantin Demiris war etwas uber mittelgro?, hatte eine breite Brust und breite Schultern. Er war von dunkler Hautfarbe, hatte eine ausgepragte griechische Nase und Augen wie schwarze Oliven, funkelnd von Intelligenz. Er war nicht an Kleidung interessiert, und doch stand er stets auf der Liste der bestangezogenen Manner der Welt, und es ging das Gerucht, dass er uber funfhundert Anzuge besa?. Er lie? sie machen, wo er sich gerade aufhielt. Seine Anzuge wurden von Hawes und Curtis in London angefertigt, seine Hemden von Brioni in Rom, seine Schuhe von Dali Grande in Paris, und seine Krawatten stammten aus einem Dutzend Landern.

Demiris hatte eine magnetische Anziehungskraft. Wenn er in ein Zimmer trat, drehten sich die Leute um, auch wenn sie nicht wussten, wer er war, und starrten ihn an. Die Zeitungen und Zeitschriften der ganzen Welt brachten uber Constantin Demiris und seine Tatigkeit – die geschaftliche und die gesellschaftliche – eine nicht abrei?ende Flut an Meldungen und Nachrichten.

Die Presse zitierte ihn gerne. Auf die Frage eines Reporters, ob ihm Freunde geholfen hatten, seinen Erfolg zu erringen, hatte er geantwortet: »Um Erfolg zu haben, braucht man Freunde, um sehr gro?en Erfolg zu haben, braucht man Feinde.«

Als man ihn fragte, wie viele Angestellte er habe, hatte Demiris geantwortet: »Keinen. Nur Anhanger. Wenn soviel Macht und Geld auf dem Spiel stehen, wird das Geschaft zur

Religion, und die Buros werden zu Tempeln.«

Er war im griechisch-orthodoxen Glauben erzogen, aber er sagte von den offiziellen Religionen: »Tausendmal mehr Verbrechen sind im Namen der Liebe als im Namen des Hasses begangen worden.«

Die Welt wusste, dass er mit der Tochter einer angesehenen griechischen Bankiersfamilie verheiratet war, dass seine Frau eine attraktive, liebenswurdige Frau war, die ihn jedoch, wenn Demiris auf seiner Jacht oder seiner privaten Insel Gaste hatte, selten begleitete. Statt dessen war er in Gesellschaft einer schonen Schauspielerin oder Tanzerin oder wer immer ihm gerade gefiel zu sehen. Seine Romanzen waren genauso legendar und bunt wie seine finanziellen Abenteuer. Er hatte mit Dutzenden von Filmstars, den Frauen seiner besten Freunde, einer funfzehnjahrigen Schriftstellerin und frischgebackenen Witwen geschlafen; man tuschelte sogar, dass eine Gruppe von Nonnen, die ein neues Kloster brauchten, sich ihm angeboten hatte.

Ein halbes Dutzend Bucher waren uber Demiris geschrieben worden, aber keines von ihnen hatte je sein wahres Wesen erfasst oder die wahre Ursache seines Erfolgs zu enthullen vermocht. Eine in der ganzen Welt bekannte Personlichkeit, war Constantin Demiris gleichzeitig ein Mensch mit hochst privater Sphare, und er gebrauchte sein Image als Fassade, die sein wahres Selbst verbarg. Er hatte Dutzende von intimen Freunden in jedem Lebensbereich, und doch kannte ihn niemand wirklich. Die Tatsachen waren der Offentlichkeit durchaus bekannt. Er war in Piraus als Sohn eines Dockarbeiters in einer Familie von vierzehn Geschwistern zur Welt gekommen; nie stand genug Essen auf dem Tisch, und wer mehr haben wollte, musste darum kampfen. Es war etwas an Demiris, das dauernd nach mehr verlangte, und er kampfte darum.

Schon als kleiner Junge setzte sein Gehirn automatisch alles

in Zahlen um. Er kannte die Anzahl der Stufen auf dem Parthenon, wie viele Minuten man zur Schule brauchte, wie viele Schiffe an einem bestimmten Tag im Hafen lagen. Zeit war fur ihn eine in Abschnitte eingeteilte Zahl, und Demiris lernte, sparsam damit umzugehen. Demzufolge konnte er ohne wahre Anstrengung enorm viel leisten. Sein Sinn fur Organisation war angeboren, ein Talent, das sich automatisch sogar in den unwichtigsten Kleinigkeiten auswirkte. Alles wurde zu einem Wettbewerb, in dem er seine Intelligenz mit der seiner Umwelt ma?.

Obwohl Demiris wusste, dass er kluger war als die meisten Menschen, war er doch nicht uberma?ig eitel. Wenn eine schone Frau mit ihm ins Bett gehen wollte, machte er sich nicht einen Augenblick lang vor, dass dies seines Aussehens oder seiner Personlichkeit wegen geschahe, aber er lie? sich dadurch nicht storen. Die Welt war ein Marktplatz, und die Leute waren entweder Kaufer oder Verkaufer. Manche Frauen, das wusste er, fuhlten sich von seinem Geld angezogen, andere von seiner Macht und einige wenige – und es waren sehr wenige – von seinem Verstand und seiner Phantasie.

Fast jede Person, der er begegnete, wollte etwas von ihm: eine Stiftung fur wohltatige Zwecke, die Finanzierung eines geschaftlichen Projektes oder einfach die Macht, die die Freundschaft mit ihm verlieh. Demiris liebte das Spiel, herauszufinden, was die Leute in Wirklichkeit von ihm wollten, denn es war selten das, was es schien. Sein analytischer Verstand war der Scheinwahrheit gegenuber skeptisch, und folglich glaubte er nichts, was er horte, und vertraute niemandem.

Die Journalisten, die uber sein Leben schrieben, sollten nur seine Genialitat und seinen Charme sehen, den gewandten Weltmann. Sie vermuteten nie, dass Demiris unter der Oberflache ein Killer war, ein Produkt der Gosse, dessen erster Instinkt ihn hie?, seinem Feind an die Kehle zu springen.

Fur die alten Griechen war das Wort thikeosini, Gerechtigkeit, oft gleichbedeutend mit ekthikisis, Rache, und Demiris war von beiden besessen. Er entsann sich der geringfugigsten Beleidigung, die man ihm angetan hatte, und er zahlte es denjenigen, die das Ungluck hatten, sich seine Feindschaft zuzuziehen, mit hundertfacher Munze zuruck. Sie merkten es nie, denn Demiris' mathematischer Verstand spielte ein Spiel von systematisch aufgebauter Vergeltung, klugelte geduldig komplizierte Fallen aus und spann vielmaschige Netze, in denen sich schlie?lich seine Opfer verfingen und vernichtet wurden.

Als Demiris sechzehn Jahre alt war, stieg er mit einem alteren Mann namens Spyros Nicholas in sein erstes Geschaft ein. Demiris hatte die Idee gehabt, einen kleinen Stand auf den Docks aufzumachen, um den Dockarbeitern wahrend der Nachtschicht warmes Essen zu verkaufen. Er hatte die Halfte des notigen Geldes fur das Unternehmen zusammengekratzt, aber als es erfolgreich war, hatte ihn Nicholas aus dem Geschaft gedrangt. Demiris hatte sein Los ohne Widerstand hingenommen und sich anderen Unternehmungen zugewandt.

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