Niveau, das keinerlei wirkliche Einblicke zulie?. Noelle unterschatzte nicht einen Augenblick lang die Intelligenz des Mannes an ihrer Seite, und sie tauschte sich nicht daruber, wie gefahrlich das Abenteuer war, auf das sie sich eingelassen hatte. Sie hielt General Scheider fur zu klug, zu glauben, dass sie ihn plotzlich unwiderstehlich fande; er musste den Verdacht haben, dass sie etwas im Schilde fuhrte. Aber Noelle rechnete fest damit, ihn in dem Spiel, das sie spielten, uberlisten zu konnen. Der General beruhrte nur fluchtig den Krieg, aber er sagte etwas, woran sie sich lange danach erinnerte.
»Die Englander sind eine seltsame Rasse«, sagte er. »In Friedenszeiten sind sie einfach unlenkbar, aber in einer Krise sind sie phantastisch. Nur einmal ist ein britischer Seemann wirklich in seinem Element, namlich dann, wenn sein Schiff dem Sinken nahe ist.«
Sie erreichten Le Havre in den fruhen Morgenstunden auf ihrem Weg nach dem Dorf Etretat.
»Konnten wir anhalten, um eine Kleinigkeit zu essen?« fragte Noelle. »Ich sterbe vor Hunger.«
General Scheider nickte. »Naturlich, wenn Sie wunschen.« Er hob die Stimme. »Halten Sie Ausschau nach einem Restaurant, das die ganze Nacht geoffnet ist.«
»Ich bin sicher, es gibt eins auf der Mole«, meinte Noelle. Der Hauptmann fuhr gehorsam in Richtung Hafen. Er hielt am Rand des Wassers, wo mehrere Frachtschiffe festgemacht hatten. Einen Block weiter verhie? ein Schild: »Bistro«.
Der Hauptmann offnete die Tur, und Noelle stieg aus, hinter ihr General Scheider.
»Es ist wahrscheinlich die ganze Nacht uber fur die Dockarbeiter geoffnet«, sagte Noelle. Sie horte das Gerausch eines Motors und drehte sich um. Ein Greifbagger zum Frachtverladen war vorgefahren und hielt neben der Limousine. Zwei Manner in Arbeitskitteln und Mutzen, deren Schirme tief herabgezogen waren und ihr Gesicht verdeckten, stiegen aus. Einer der Manner blickte Noelle scharf an, dann nahm er einen Werkzeugkasten heraus und begann, am Greifbagger zu arbeiten. Noelle spurte einen leichten Krampf im Magen. Sie nahm General Scheiders Arm, und sie gingen auf das Restaurant zu. Noelle blickte zu dem hinter dem Lenkrad sitzenden Fahrer zuruck.
»Glauben Sie nicht, dass er einen Kaffee mochte?« fragte Noelle.
»Er bleibt beim Wagen«, sagte der General.
Noelle starrte ihn an. Der Chauffeur durfte nicht beim Wagen bleiben, oder alles ware zunichte gemacht. Dennoch wagte Noelle nicht, darauf zu beharren.
Sie gingen uber holprige Pflastersteine dem Cafe zu. Plotzlich, als sie gerade einen Schritt machte, knickte sie mit dem Fu? um und fiel mit einem spitzen Schmerzensschrei hin. General Scheider streckte den Arm auf und versuchte vergeblich sie aufzufangen, bevor ihr Korper auf den Pflastersteinen aufschlug.
»Ist Ihnen etwas passiert?« fragte er.
Als der Chauffeur sah, was geschehen war, sprang er aus dem Wagen und eilte auf sie zu.
»Es tut mir so leid«, sagte Noelle. »Ich – ich habe mir den Knochel verrenkt. Er fuhlt sich wie gebrochen an.«
General Scheider lie? seine Hand fachkundig uber ihren Knochel gleiten. »Er ist nicht geschwollen. Er ist wahrscheinlich nur verstaucht. Konnen Sie darauf stehen?«
»Ich – ich wei? nicht«, sagte Noelle.
Der Chauffeur war bereits an ihrer Seite, und die beiden
Manner stellten sie auf die Beine. Noelle tat einen Schritt, aber der Knochel gab unter ihr nach.
»Es tut mir leid«, stohnte sie. »Wenn ich mich nur setzen konnte.«
»Helfen Sie mir, sie hineinzubringen«, sagte General Scheider und zeigte auf das Cafe.
Von den zwei Mannern auf beiden Seiten gestutzt, betrat Noelle das Restaurant. Als sie durch die Tur gingen, riskierte Noelle einen schnellen Blick auf den Wagen. Die zwei Dockarbeiter machten sich an dem Kofferraum der Limousine zu schaffen.
»Wollen Sie nicht doch lieber gleich nach Etretat weiterfahren?« fragte der General.
»Nein, glauben Sie mir, es wird bald vorbei sein«, erwiderte Noelle.
Der Besitzer fuhrte sie an einen Ecktisch, und die beiden Manner halfen Noelle behutsam in einen Stuhl.
»Haben Sie gro?e Schmerzen?« fragte General Scheider.
»Nicht sehr«, erwiderte Noelle. Sie legte ihre Hand auf die seine. »Seien Sie unbesorgt. Ich werde Ihnen den Spa? nicht verderben.«
Wahrend Noelle und General Scheider im Cafe sa?en, naherten sich Oberst Muller und zwei seiner Manner mit gro?er Geschwindigkeit der Stadtgrenze von Le Havre. Der Hauptmann der ortlichen Polizei war aus dem Schlaf geholt worden und wartete bereits auf die Gestapoleute vor der Polizeistation. »Ein Gendarm hat den Wagen des Generals ausfindig gemacht«, sagte er. »Er ist unten im Hafen geparkt.«
Ein Schimmer von Befriedigung erschien auf dem Gesicht des Obersten. »Bringen Sie mich hin«, befahl er.
Funf Minuten spater hielt der Gestapowagen, in dem Oberst Muller, seine Leute und der Polizeihauptmann sa?en, neben General Scheiders Auto auf der Mole. Die Manner stiegen aus und umstellten den Wagen. In diesem Augenblick waren
General Scheider, Noelle und der Chauffeur im Begriff, das Bistro zu verlassen. Der Chauffeur entdeckte als erster die Manner beim Auto. Er eilte gleich auf sie zu.
»Was ist los?« fragte Noelle, erkannte im selben Augenblick von weitem die Gestalt des Obersten Muller und spurte, wie sie ein kalter Schauer uberlief.
»Ich wei? nicht«, sagte General Scheider. Er ging mit langen Schritten auf die Limousine zu, Noelle hinkte ihm nach.
»Was machen Sie hier?« fragte General Scheider den Oberst Muller, als er beim Wagen anlangte.
»Es tut mir leid, Sie in Ihrem Wochenendurlaub zu storen«, erwiderte Oberst Muller kurz angebunden. »Ich mochte den Kofferraum Ihres Wagens untersuchen, Herr General.«
»Er enthalt nichts als Gepack.«
Noelle erreichte die Gruppe. Sie sah, dass der Greifbagger verschwunden war. Der General und die Gestapoleute funkelten einander wutend an.
»Ich muss darauf bestehen, Herr General. Es besteht Grund zur Annahme, dass ein gesuchter Feind des Reiches sich darin versteckt halt und dass Ihr Gast seine Komplizin ist.«
General Scheider starrte ihn lange an, drehte sich dann zu Noelle um und betrachtete sie prufend.
»Ich wei? nicht, wovon er spricht«, sagte sie bestimmt.
Die Augen des Generals wanderten zu ihrem Knochel hinunter, dann traf er eine Entscheidung und wandte sich an seinen Chauffeur. »Offnen Sie.«
»Jawohl, Herr General.«
Alle Augen waren auf den Kofferraum gerichtet, als der Chauffeur nach dem Griff langte und ihn drehte. Noelle fuhlte sich plotzlich einer Ohnmacht nahe. Langsam offnete sich der Deckel. »Jemand hat unser Gepack gestohlen!« rief der Chauffeur.
Oberst Mullers Gesicht war vor Wut rot gefleckt. »Er ist entkommen.«
»Wer ist entkommen?« fragte der General.
»Le Cafard«, tobte Oberst Muller. »Ein Jude namens Israel Katz. Er ..wurde im Kofferraum dieses Wagens aus Paris hinausgeschmuggelt.«
»Das ist unmoglich«, gab General Scheider zuruck. »Der Kofferraum war dicht verschlossen. Er ware erstickt.«
Oberst Muller untersuchte kurz den Kofferraum, dann befahl er einem seiner Manner: »Steigen Sie hinein.«
»Jawohl, Herr Oberst.«
Gehorsam kroch der Mann in den Kofferraum. Oberst Muller schlug den Deckel fest zu und blickte auf seine Uhr. Wahrend der nachsten vier Minuten standen sie alle schweigend da, jeder in seine eigenen Gedanken vertieft. Endlich, nach einer Zeit, die Noelle wie eine Ewigkeit vorgekommen war, offnete Oberst Muller den Deckel des Kofferraums. Der Mann im Innern war bewusstlos. General Scheider wandte sich mit einem verachtlichen Ausdruck auf dem Gesicht an Oberst Muller. »Wenn sich jemand in diesem Kofferraum befunden hat«, erklarte der General, »dann hat man seinen Leichnam fortgeschafft. Kann ich noch etwas fur Sie tun, Herr Oberst?«
Der Gestapo-Offizier schuttelte den Kopf, au?er sich vor Wut und Enttauschung. General Scheider sagte zu