hinunterzugehen. Sie folgten dem steilen, felsigen Pfad, der den Abhang hinunter zum Dorfrand fuhrte. Ioannina bestand aus einer Hauptstra?e, der Konig-Georg-Stra?e, von der zwei oder drei schmalere Stra?en abzweigten. Von diesen Stra?en fuhrte ein Gewirr enger

Feldwege zu den Hausern und Wohnungen ab. Die Gebaude waren alt und verwittert, aus Steinen erbaut, die mit Karren aus dem Gebirge heruntergeschafft worden waren.

In der Mitte der Konig-Georg-Stra?e war ein Seil gespannt, so dass die Autos auf der linken Seite fuhren und die rechte fur die Fu?ganger freigehalten wurde.

»Das sollten sie einmal auf der Pennsylvania Avenue in Washington versuchen«, meinte Catherine.

Auf dem Dorfplatz war ein hubscher kleiner Park mit einem hohen Turm, der eine gro?e beleuchtete Uhr an der Spitze hatte. Eine von machtigen Platanen gesaumte Stra?e fuhrte zum See hinunter. Es schien Catherine, dass alle Stra?en zum Wasser fuhrten. Sie konnte das Gefuhl nicht unterdrucken, dass der See etwas Furchterregendes hatte, etwas Fremdartiges, Drohendes. Uberall am Ufer entlang wuchs dichtes, hohes Schilf, das wie gierig greifende Finger aufragte, als ob es auf jemanden wartete, um ihn zu packen.

Catherine und Larry schlenderten durch das farbenfrohe kleine Einkaufsviertel, in dem sich zu beiden Seiten der Stra?e Laden an Laden drangte. Es gab einen Juwelier und daneben einen Backer, eine offene Fleischerei, eine Taverne, ein Schuhgeschaft. Vor dem Friseur standen Kinder und sahen stumm zu, wie ein Kunde rasiert wurde. Catherine fand, sie seien die schonsten Kinder, die sie je gesehen hatte.

Fruher hatte Catherine mit Larry schon daruber gesprochen, dass sie gern ein Kind hatte, aber er hatte den Gedanken immer von sich gewiesen, hatte gesagt, er sei noch nicht soweit, eine Familie zu grunden. Jetzt mochte er vielleicht anderer Meinung sein. Catherine blickte zu ihm auf, als er neben ihr herging, gro?er als die anderen Manner. Er sah aus wie ein griechischer Gott, und sie entschloss sich, mit ihm uber diese Frage zu sprechen, ehe sie abreisten. Schlie?lich waren sie ja auf Hochzeitsreise.

Sie kamen an einem Kino vorbei, dem Palladium. Zwei sehr alte amerikanische Filme wurden gespielt. Sie blieben stehen, um sich die Plakate anzusehen.

»Haben wir ein Gluck«, scherzte Catherine. »Sudlich von Panama mit Roger Pryor und Virginia Vale und Der Staatsanwalt im Fall Carter.«

»Habe nie davon gehort«, sagte Larry abschatzig. »Dieses Kino muss noch alter sein, als es aussieht.«

Sie a?en an dem Platz musakas, sa?en im Freien unter einem unglaublich gro?en Vollmond und gingen zum Hotel zuruck und liebten sich. Es war ein vollkommener Tag.

Am nachsten Vormittag fuhren Catherine und Larry durch die schone Umgebung, erforschten eine schmale Stra?e, die sich am See entlang wand, ein paar Meilen weit an dem felsigen Ufer entlang fuhrte und sich dann zuruck in die Berge hinaufschlangelte. Steinerne Hauser klebten dicht am Rand steiler Abhange. Hoch uber dem See entdeckten sie im Wald ein riesiges wei? getunchtes Gebaude, das wie ein altes schloss aussah.

»Was ist denn das?« fragte Catherine.

»Ich habe keine Ahnung«, erwiderte Larry.

»Lass uns nachsehen.«

»Einverstanden.«

Larry lenkte den Wagen in eine Fahrspur, die zu dem Gebaude hinauffuhrte, quer uber eine Wiese, auf der Ziegen grasten und ein Hirte ihnen nachstarrte, als sie an ihm vorbeikamen. Sie hielten vor dem verlassenen Zugang zu dem Gebaude. Aus der Nahe sah es wie die Ruine einer alten Burg aus.

»Das muss ein ubrig gebliebenes schloss von Riesen sein«, sagte Catherine. »Wahrscheinlich aus Grimms Marchen.«

»Mochtest du es wirklich genau wissen?« fragte Larry.

»Aber ja. Vielleicht kommen wir gerade noch rechtzeitig, um eine Jungfrau aus Not und Gefahr zu retten.«

Larry warf Catherine schnell einen merkwurdigen Blick zu.

Sie stiegen aus und gingen zu dem massiven holzernen Tor, in dessen Mitte sich ein riesiger eiserner Turklopfer befand. Larry klopfte einige Male, dann warteten sie. Es war kein Laut zu horen au?er dem Summen der Insekten auf der Wiese und dem Flustern der Brise im hohen Gras.

»Anscheinend ist niemand zu Hause«, sagte Larry.

»Vielleicht schaffen sie gerade die Leichen beiseite«, flusterte Catherine.

Plotzlich begann das riesige Tor sich knarrend langsam zu offnen. Eine schwarz gekleidete Nonne stand vor ihnen.

Catherine war uberrascht. »Ver-Verzeihung«, stammelte sie. »Wir wussten nicht, was das hier ist. Es ist kein Schild oder sonst etwas da.«

Die Nonne sah die beiden einen Augenblick an, dann winkte sie ihnen einzutreten. Sie traten durchs Tor und befanden sich in einem Hof, der die Mitte eines weitlaufigen Anwesens bildete. Es herrschte eine seltsame, bedruckende Stille, und Catherine erkannte plotzlich, was hier fehlte: der Laut menschlicher Stimmen.

Sie wandte sich an die Nonne und fragte: »Was ist das hier?«

Die Nonne schuttelte stumm den Kopf und bedeutete ihnen zu warten. Sie blickten ihr nach, als die Nonne sich umdrehte und auf ein altes Steinhaus auf der anderen Seite des Hofs zuging.

»Sie geht Bela Lugosi holen«, flusterte Catherine.

Hinter dem Gebaude konnten sie auf einem Bergvorsprung, der hoch uber dem See aufragte, einen von Reihen hoher Zypressen eingefassten Friedhof sehen.

»Hier konnte einem das Gruseln ankommen«, meinte Larry. »Es ist, als ob man in ein anderes Jahrhundert geraten ware«, antwortete Catherine. Ohne es zu merken, flusterten sie, fast als furchteten sie, die lastende Stille zu brechen. Hinter den Fenstern des Hauptbaus nahmen sie neugierige Gesichter wahr, die zu ihnen hinausstarrten, nur weibliche, alles in Schwarz gekleidete Gestalten.

»Es ist eine Art religioses Irrenhaus«, meinte Larry.

In der Tur des Hauses erschien eine gro?e schlanke Frau und kam mit schnellen Schritten auf sie zu. Sie trug die Tracht einer Nonne und hatte ein angenehmes, freundliches Gesicht.

»Ich bin Schwester Teresa«, sagte sie: »Kann ich Ihnen helfen?«

»Wir kamen hier zufallig vorbei«, erklarte Catherine, »und dieses Haus weckte unsere Neugier.« Sie blickte zu den Gesichtern hinuber, die aus den Fenstern spahten. »Wir wollten Sie nicht storen.«

»Wir werden nicht von vielen Besuchern beehrt«, sagte Schwester Teresa. »Wir haben fast keinen Kontakt zur Au?enwelt. Wir gehoren zum Orden der Karmeliterinnen. Wir haben ein Schweigegelubde abgelegt.«

»Fur wie lange?« fragte Larry.

»Gia panta – fur den Rest unseres Lebens. Ich bin hier die einzige, der zu sprechen erlaubt ist, und nur dann, wenn es notwendig ist.«

Catherine sah sich in dem gro?en stillen Hof um und unterdruckte einen Schauder. »Verlasst keine je dieses Haus?«

Schwester Teresa lachelte. »Nein. Dazu besteht kein Grund. Unser Leben spielt sich in diesen Mauern ab.«

»Entschuldigen Sie, dass wir Sie gestort haben«, sagte Catherine.

Schwester Teresa nickte. »Keine Ursache. Gehen Sie mit Gott.«

Catherine und Larry gingen wieder durch das gro?e Tor, das sich langsam hinter ihnen schloss. Catherine drehte sich noch einmal um. Es kam ihr wie ein Gefangnis vor, aber in gewisser Weise erschien es ihr noch schlimmer. Vielleicht, weil es eine freiwillig auferlegte Bu?e war, ein Verzicht, und Catherine dachte an die jungen Frauen, die sie hinter den Fenstern wahrgenommen hatte, hier eingemauert, fur den Rest ihres Lebens von der Welt abgeschlossen in dem tiefen, ewigen

Schweigen des Grabes. Sie wusste, dass sie diesen Ort niemals vergessen wurde.

Noelle und Cotherine

Athen 1946

Fruh am nachsten Morgen ging Larry ins Dorf hinunter. Er bat Catherine mitzukommen, aber sie lehnte ab, sagte, dass sie lange schlafen wolle. Doch sowie er fort war, stand Catherine auf, kleidete sich eilig an und ging in

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