Sie blickte ihn an und sagte mit einer Stimme, von der sie hoffte, dass sie gelassen klang: »Liebling, meinst du nicht, dass wir hier umkehren sollten? Es ist schon spat. Die Hohlen werden geschlossen.«

»Sie sind bis neun Uhr offen«, entgegnete Larry. »Es gibt hier eine bestimmte Hohle, die ich finden mochte. Sie wurde kurzlich erst erschlossen. Sie soll phantastisch sein.« Er ging weiter.

Catherine zogerte, suchte nach einem Vorwand, nicht weitergehen zu mussen. Doch schlie?lich, warum sollten sie nicht auch forschen? Larry machte es Freude. Wenn es ihn glucklich machte, dann wurde sie die gro?te – wie hie? der Ausdruck? – Hohlenforscherin der Welt werden.

Larry blieb stehen und wartete auf sie. »Kommst du?« fragte er ungeduldig.

Sie versuchte, enthusiastisch zu klingen. »Aber ja. Verlier mich nur nicht«, antwortete sie.

Larry entgegnete nichts. Sie nahmen die linke Abzweigung und drangen vorsichtig auf kleinen Steinen, die ihnen unter den Fu?en fortrutschten, weiter vor. Larry griff in die Tasche, und einen Augenblick spater horte Catherine etwas auf den Boden fallen. Larry ging weiter.

»Hast du etwas fallen lassen?« fragte Catherine. »Ich glaube, ich horte etwas«

»Ich bin mit dem Fu? gegen einen Stein gesto?en«, sagte er. »Lass uns schneller gehen.« Und sie drangen weiter vor, ohne dass Catherine bemerkte, dass hinter ihnen ein Knauel Schnur abgewickelt wurde.

Die Decke der Hohle schien niedriger zu werden und die Wande feuchter und – Catherine lachte uber sich selbst, als sie das dachte -bedrohlicher. Ihr schien, als ob der Tunnel auf sie eindringe, drohend und bosartig. »Mir scheint, dass wir hier nicht willkommen sind«, sagte Catherine.

»Sei nicht albern, Cathy. Es ist schlie?lich nur eine Hohle.«

»Weshalb, meinst du, sind wir hier die einzigen?«

Larry zogerte. »Nicht viele wissen etwas von diesem Teil.«

Sie gingen weiter und weiter, bis Catherine schlie?lich jedes

Gefuhl fur Ort und Zeit verlor.

Der Gang wurde noch enger, und sie stie?en sich immer wieder an unerwarteten scharfen Felsvorsprungen zu beiden Seiten.

»Wie weit, meinst du, ist es noch?« fragte Catherine. »Wir mussten beinahe schon in China sein.«

»Jetzt ist es nicht mehr weit.«

Ihre Stimmen klangen gedampft und hohl, wie eine Reihe fortlaufend ersterbender Echos.

Jetzt wurde es kalt, aber es war eine feuchte, klamme Kalte. Catherine fror. Der Strahl der Taschenlampe fiel vor ihnen auf eine weitere Abzweigung. Sie gingen bis dorthin und blieben dann stehen. Der nach rechts fuhrende Gang schien enger zu sein als der linke.

»Hier sollte man Wegweiser mit Neonleuchten anbringen«, sagte Catherine. »Wahrscheinlich sind wir schon zu weit gegangen.«

»Nein«, erwiderte Larry. »Ich bin sicher, dass wir uns nach rechts halten mussen.«

»Mir wird jetzt wirklich kalt, Liebling«, sagte sie. »Lass uns umkehren.«

Er drehte sich um und sah sie an. »Wir sind doch beinahe da, Cathy.« Er druckte ihren Arm. »Ich warme dich, wenn wir wieder in unserem Bungalow sind.« Er bemerkte den zogernden Ausdruck auf ihrem Gesicht. »Ich mach' dir einen Vorschlag. Wenn wir die Stelle in den nachsten zwei Minuten nicht finden, drehen wir um und gehen nach Hause. Einverstanden?«

Catherine wurde leichter ums Herz. »Einverstanden«, sagte sie dankbar.

»Dann komm.«

Sie drangen in den rechten Tunnel ein. Der Strahl der Taschenlampe zeichnete ein gespenstisches, schwankendes Muster auf dem grauen Fels vor ihnen. Catherine sah uber die

Schulter zuruck, und hinter ihr herrschte vollkommene Finsternis. Es war, als ob die kleine Taschenlampe aus der hollischen Finsternis ein Stuck Helligkeit herausschalte, die sie wie ein winziger Mutterleib aus Licht umschloss und sie Schritt fur Schritt weiter trug.

Plotzlich blieb Larry stehen. »Verdammt!« sagte er.

»Was ist denn?«

»Ich glaube, wir haben doch die falsche Richtung eingeschlagen.«

Catherine nickte. »Also gut, dann gehen wir eben zuruck.«

»Ich will mich erst vergewissern. Warte hier auf mich.«

Sie blickte ihn uberrascht an. »Wo willst du denn hin?«

»Nur wenige Schritte zuruck zu der Abzweigung.« Seine Stimme klang gezwungen und unnaturlich.

»Ich komme mit dir.«

»Ich schaffe es allein schneller, Catherine. Ich will nur die Stelle uberprufen, an der wir das letzte Mal abgebogen sind.« Es klang ungeduldig. »In zehn Sekunden bin ich wieder da.«

»Gut«, und sie fugte sich voller Unbehagen.

Catherine blieb zuruck und sah Larry nach, der sich umgedreht hatte und in die Dunkelheit eindrang, aus der sie gekommen waren, eingehullt von einem Strahlenkranz aus Licht, wie ein schwebender Engel in den Eingeweiden der Erde. Einen Augenblick spater war das Licht verschwunden, und sie war in der schwarzesten Dunkelheit versunken, die sie je erlebt hatte. Zitternd stand sie da, zahlte in Gedanken die Sekunden. Und dann die Minuten.

Larry kam nicht zuruck.

Catherine wartete, spurte die Finsternis um sich wie eine drohende, unsichtbare Dunung. Sie rief laut: »Larry!« Ihre Stimme war rau und unsicher, und sie rausperte sich und versuchte es noch einmal lauter: »Larry!« Sie konnte horen, wie der Laut schon wenige Schritte von ihr entfernt erstarb, von der Finsternis gemordet. Es war, als ob hier nichts leben

konnte, und Catherine begann die ersten tastenden Fuhler des Entsetzens zu spuren. Selbstverstandlich ist Larry gleich wieder da, sagte sie sich. Ich brauche nur hier stehen zubleiben und ruhig abzuwarten.

Die drohenden Minuten krochen vorbei, und sie begann sich vor Augen zu halten, dass etwas Furchtbares passiert sein musste. Larry konnte einen Unfall erlitten haben. Er konnte auf losen Steinen ausgeglitten und mit dem Kopf gegen einen der kantigen Vorsprunge an den Seitenwanden geschlagen sein. Vielleicht lag er in diesem Augenblick wenige Schritte von ihr entfernt auf dem Boden und verblutete. Oder vielleicht hatte er sich verirrt. Die Taschenlampe konnte ausgegangen sein, und er war vielleicht irgendwo in den Eingeweiden der Hohle gefangen wie sie.

Das Gefuhl des Erstickens begann Catherine zu packen, wurgte sie, erfullte sie mit sinnloser Panik. Sie drehte sich um und begann sich langsam in die Richtung vorzutasten, aus der sie gekommen war. Der Tunnel war eng, und falls Larry irgendwo hilflos und verletzt auf dem Boden lag, fand sie ihn vielleicht. Bald wurde sie die Stelle erreichen, an der der Gang sich geteilt hatte. Sie bewegte sich vorsichtig, lose Steine rollten ihr unter den Fu?en fort. Sie glaubte, in der Ferne einen Laut wahrzunehmen, und blieb stehen, um zu lauschen. Larry ? Er war verklungen, und sie bewegte sich weiter vor, und dann horte sie wieder etwas. Es war ein schwirrendes Gerausch, so als ob jemand ein Tonbandgerat ablaufen lie?e. Hier unten war jemand!

Catherine schrie laut auf und lauschte dann, wie der Klang ihrer Stimme von der Stille ertrankt wurde. Da war es wieder! Das schwirrende Gerausch. Es kam auf sie zu. Es wurde lauter, raste ihr mit einem heftigen, heulenden Windsto? entgegen. Es kam naher und naher. Plotzlich sprang es sie in der Dunkelheit an; kalte und klamme Haut streifte ihre Wange und kusste ihre Lippen, und sie spurte etwas auf ihrem Kopf krabbeln und scharfe Klauen in ihrem Haar, und ihr Gesicht wurde von zahllosen Schlagen wild trommelnder Schwingen eines namenlosen Grauels getroffen, der sie in der Dunkelheit uberfiel.

Sie wurde ohnmachtig.

Sie lag auf scharfen, spitzen Steinen, und die Schmerzen brachten sie zum Bewusstsein. Ihre Wange war warm und klebrig, und es dauerte eine Minute, bis Catherine begriff, dass es ihr eigenes Blut war. Sie erinnerte sich an die Schwingen und Klauen, die sie im Dunkeln attackiert hatten, und sie begann zu zittern.

In der Hohle gab es Fledermause.

Sie versuchte, sich an alles zu erinnern, was sie von Fledermausen wusste. Irgendwo hatte sie gelesen, dass sie fliegende Ratten waren und in Scharen von Tausenden auftraten. Das einzige, was sie ihrem Gedachtnis noch entlocken konnte, war, dass es blutsaugende Fledermause, Vampire, gabe, und diesen Gedanken verdrangte sie schleunigst wieder. Widerstrebend setzte Catherine sich auf, ihre aufgeschurften Handflachen brannten wie Feuer.

Du kannst hier nicht sitzen bleiben, sagte sie sich, du musst aufstehen und etwas unternehmen. Unter

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