Schmerzen zwang sie sich auf die Fu?e. Sie hatte einen Schuh verloren, und ihr Kleid war zerrissen, aber Larry wurde ihr morgen ein neues kaufen. Sie stellte sich vor, wie sie beide in den kleinen Laden im Ort unten gingen, lachend und glucklich, und fur sie ein wei?es Sommerkleid kauften, aber irgendwie wurde aus dem Kleid ein Fetzen, und wieder geriet sie in Panik. Sie musste sich zwingen, weiter an morgen zu denken und nicht an den Alptraum, der sie hier umfing. Sie musste weitergehen. Doch in welche Richtung? Sie hatte sich um sich selbst gedreht. Wenn sie in die falsche Richtung ging, wurde sie noch tiefer in die Hohle geraten, aber sie wusste, dass sie hier nicht bleiben durfte. Catherine versuchte zu schatzen, wie viel Zeit vergangen war, seit sie die Hohle betreten hatten. Es musste eine Stunde her sein, vielleicht sogar zwei Stunden. Sie konnte unmoglich wissen, wie lange sie bewusstlos gewesen war. Bestimmt wurde man nach Larry und ihr suchen. Aber was wurde werden, wenn niemand sie vermisste? Es wurde nicht registriert, wer die Hohle betrat und sie verlie?. Sie konnte fur immer hier unten sein.

Sie zog den anderen Schuh aus und begann zu gehen, machte langsame, behutsame Schritte, streckte ihre brennenden Hande aus, um zu vermeiden, dass sie gegen die rauen Seiten des Tunnels stie?. Die langste Reise beginnt mit einem einzigen Schritt, sagte sich Catherine. Das sagen die Chinesen, und wie weise sie sind! Sie haben das Feuerwerk und Chop Suey erfunden und waren zu klug, sich in einer dunklen Hohle unter der Erde zu verirren, wo niemand sie finden konnte. Wenn ich weitergehe, werde ich auf Larry oder einige Touristen sto?en, und dann kehren wir ins Hotel zuruck und nehmen einen Drink und lachen uber das Ganze. Alles, was ich tun muss, ist weitergehen.

Plotzlich blieb sie stehen. In der Ferne konnte sie wieder das schwirrende Gerausch horen, das wie ein gespenstischer Geisterexpress auf sie zuraste, und sie zitterte am ganzen Korper und schrie. Einen Augenblick spater waren sie uber ihr, zu Hunderten, schwarmten uber sie, schlugen mit ihren kalten, klammen Schwingen nach ihr und bedeckten sie mit ihren pelzigen Rattenkorpern in einem Alptraum unaussprechlichen Entsetzens.

Das letzte, woran sie sich erinnerte, ehe sie das Bewusstsein verlor, war, dass sie Larrys Namen rief.

Sie lag auf dem kalten, feuchten Boden der Hohle. Ihre Augen waren geschlossen, aber ihr Verstand war plotzlich hellwach, und sie dachte: Larry will mich toten. Es war, als ob ihr Unterbewusstsein ihr diesen Gedanken eingegeben hatte. In einer Reihe kaleidoskopartig aufleuchtender Bilder horte sie

Larry sagen: Ich liebe eine andere ... ich will die Scheidung ..., und Larry kam mit ausgestreckten Handen durch die Wolke auf dem Berggipfel auf sie zu ... Sie erinnerte sich, wie sie den steilen Berg hinunterblickte und sagte: Es wird lange dauern, wieder hinunter zu steigen, und wie Larry sagte: Nein, nicht sehr... Und sie horte Larry sagen: Wir brauchen keinen Fuhrer ... Ich glaube, wir haben die falsche Richtung eingeschlagen. Warte hier ... ich bin in zehn Sekunden zuruck ... Und dann kam die entsetzliche Finsternis.

Larry hatte gar nicht zu ihr zuruckkommen wollen. Die Aussohnung, die Hochzeitsreise ... das waren alles Vorspiegelungen, Teile eines Plans, sie zu ermorden. Die ganze Zeit uber, als sie selbstgefallig Gott gedankt hatte, dass er ihr eine zweite Chance gab, hatte Larry geplant, sie zu toten. Und es war ihm gelungen, denn Catherine wusste, dass sie niemals hier herauskommen wurde. Sie war lebendig in dieser schwarzen Gruft des Grauens begraben. Die Fledermause waren fort, aber sie spurte und roch den schmutzigen Schleim, den sie uberall auf ihrem Gesicht und ihrem Korper zuruckgelassen hatten, und sie wusste, dass sie wiederkommen wurden. Sie wusste nicht, ob sie bei einem neuen Uberfall ihren Verstand behalten wurde. Bei dem Gedanken begann sie wieder zu zittern, und sie zwang sich, langsam und tief zu atmen.

Und dann horte Catherine es wieder und wusste, dass sie es nicht noch einmal ertragen konnte. Es begann mit einem leisen Summen, und dann kam eine laute Welle von Gerauschen auf sie zu. Es folgte ein plotzlicher Angstschrei, und er hallte wider und wider durch die Dunkelheit, und die anderen Gerausche wurden lauter und lauter, und in dem schwarzen Tunnel tauchte Licht auf, und sie horte Stimmen rufen, und Hande streckten sich nach ihr aus und hoben sie auf, und sie wollte sie vor den Fledermausen warnen, aber sie musste weiter schreien, weiter schreien ...

Noelle und Catherine

Athen 1946

Sie lag still und starr, damit die Fledermause sie nicht finden konnten, und lauschte auf das Schwirren ihrer Schwingen mit fest geschlossenen Augen.

Eine Mannerstimme sagte: »Es ist ein Wunder, dass wir sie gefunden haben.«

»Wird sie sich wieder erholen?«

Das war Larrys Stimme.

Plotzlich uberflutete Catherine neues Entsetzen. Es war, als ob ihr Korper von kreischenden Nerven erfullt ware, die sie drangten zu fliehen. Ihr Morder war gekommen. Sie stohnte: »Nein ...« Dann offnete sie die Augen. Sie lag in ihrem Bett im Bungalow. Larry stand am Fu?ende des Bettes und neben ihm ein Mann, den sie noch nie gesehen hatte. Larry kam auf sie zu. »Catherine ...«

Sie zuckte zuruck. »Fass mich nicht an!« Ihre Stimme war schwach und heiser.

»Catherine!« Larry sah tief besorgt aus.

»Schicken Sie ihn von hier fort«, flehte Catherine.

»Sie steht noch unter dem Schock«, sagte der Fremde. »Es ist vielleicht besser, wenn Sie im anderen Zimmer warten.«

Larry musterte Catherine einen Augenblick mit ausdruckslosem Gesicht. »Naturlich. Ich will nur ihr Bestes.« Er drehte sich um und ging hinaus.

Der Fremde trat naher. Er war ein kleiner dicker Mann mit freundlichem Gesicht und einem gewinnenden Lacheln. Er sprach englisch mit starkem Akzent. »Ich bin Doktor Kazomi-des. Sie haben ein sehr unerfreuliches Erlebnis hinter sich, Mrs. Douglas, aber ich versichere Ihnen, dass Sie sich wieder vollig erholen werden. Eine leichte Gehirnerschutterung und ein schwerer Schock, doch in wenigen Tagen sind Sie wieder ganz gesund.« Er seufzte. »Man sollte diese verdammten Hohlen schlie?en. Das war das dritte Ungluck in diesem Jahr.«

Catherine wollte den Kopf schutteln, lie? es aber, weil er heftig zu schmerzen begann. »Es war kein Ungluck«, sagte sie mit belegter Stimme. »Er hat versucht, mich zu toten.«

Er sah auf sie hinab. »Wer hat versucht, Sie zu toten?« Ihr Mund war ausgetrocknet und ihre Zunge geschwollen. Es fiel ihr schwer, die Worte herauszubringen. »M-mein Mann.«

»Nein«, widersprach er.

Er glaubte ihr nicht. Catherine schluckte und versuchte es noch einmal. »Er – er lie? mich in der Hohle zuruck, damit ich sterbe.«

Er schuttelte den Kopf. »Es war ein Unglucksfall. Ich gebe Ihnen eine Spritze, und wenn Sie aufwachen, werden Sie sich viel wohler fuhlen.«

Eine Welle der Angst durchflutete sie. »Nein!« flehte sie. »Begreifen Sie denn nicht? Ich werde nie wieder aufwachen. Bringen Sie mich von hier fort. Bitte!«

Der Arzt lachelte ihr aufmunternd zu. »Ich habe Ihnen gesagt, dass es Ihnen bald wieder gut gehen wird, Mrs. Douglas. Was Sie brauchen, ist ein guter langer Schlaf.« Er griff in seine schwarze Arztetasche und suchte nach einer Spritze.

Catherine versuchte sich aufzusetzen, aber ein schneidender Schmerz schoss ihr durch den Kopf, und im gleichen Augenblick war sie schwei?gebadet. Sie fiel aufs Bett zuruck, und in ihrem Kopf hammerte es unertraglich.

»Sie durfen sich noch nicht bewegen«, sagte Dr. Kazomides. »Sie haben Entsetzliches durchgemacht.« Er nahm die Spritze heraus, zog eine bernsteingelbe Flussigkeit auf und wandte sich ihr zu. »Drehen Sie sich bitte um. Wenn Sie erwachen, werden Sie sich wie neu geboren fuhlen.«

»Ich werde nicht mehr erwachen«, flusterte Catherine. »Er wird mich im Schlaf ermorden.«

Das Gesicht des Arztes verriet Besorgnis. Er trat zu ihr. »Drehen Sie sich bitte um, Mrs. Douglas.«

Sie starrte ihn abweisend an.

Behutsam drehte er sie auf die Seite, schob ihr Nachthemd hoch, und sie spurte den scharfen Einstich an ihrer Hufte. »Schon passiert.«

Sie rollte sich auf den Rucken zuruck und flusterte: »Jetzt haben Sie mich umgebracht.« Ihre Augen fullten

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