zubringen. Jedenfalls nicht, nachdem du ein Schuldgestandnis abgelegt

hast. Meine Familie kann es sich nicht leisten, in so etwas hineingezogen zu werden. Das siehst du sicher ein. Es war ein furchtbarer Schock fur uns. Offenbar habe ich dich nie richtig gekannt.«

Jedes Wort war wie ein Hammerschlag. Die Welt sturzte ein. Tracy fuhlte sich so einsam wie noch nie in ihrem Leben. Jetzt hatte sie niemand mehr. Niemand.»Und… und was wird aus unserem Kind?«

«Mach mit deinem Kind, was du fur richtig haltst«, antwortete Charles.»Es tut mir leid, Tracy. «Die Verbindung wurde unterbrochen.

Tracy stand fassungslos da, den Horer in der Hand.

Hinter ihr sagte eine Gefangene:»Wenn du jetzt fertigbist, Schatzchen… ich wurde gern mit meinem Anwalt telefonieren.«

Tracy wurde in ihre Zelle zuruckgefuhrt. Die Aufseherin hatte Weisungen fur sie:»Stellen Sie sich darauf ein, da? Sie morgen fruh um sechs ins Staatsgefangnis verlegt werden.«

TracybekamBesuch von Otto Schmidt. Er schien in den Stunden, seit sie ihn zum letzten Mal gesehen hatte, um Jahre gealtert zu sein.

«Ich wollte Ihnen nur sagen, wie schrecklich leid es uns tut, meiner Frau und mir. Wir wissen genau, es war nicht Ihre Schuld.«

Wenn Charles das nur gesagt hatte!

«Wir werden morgen fruhbei derBeerdigung von Mrs. Doris sein.«

«Vielen Dank, Otto.«

Morgen fruh werden wirbeidebegraben, dachte Tracy. Sie tot, ich lebendig.

Tracy verbrachte die Nacht hellwach. Sie lag auf ihrer schmalen Pritsche und starrte gegen die Decke. Immer und immer wieder rief sie sich das Gesprach mit Charles in Erinnerung. Er hatte ihr nicht einmal die Chance gegeben zu

erklaren, was passiert war.

Tracy dachte uber das Kind nach. Sie hatte von Frauen gelesen, die im Gefangnis ein Kindbekamen. Aber diese Geschichten hatten mit ihrem Leben so wenig zu tun gehabt, da? es war, als seien esBerichte uber Wesen von einem fremden Stern. Und nun geschah es ihr selbst. Mach mit deinem Kind, was du fur richtig haltst, hatte Charles gesagt. Sie wollte das Kind haben. Aber sie werden es mir nicht lassen, dachte Tracy. Sie werden es mir wegnehmen, weil ich die nachsten funfzehn Jahre im Gefangnisbin. Es istbesser, wenn das Kind nie erfahrt, wer seine Mutter ist.

Und dann weinte sie.

Um sechs Uhr morgens traten ein Warter und eine Aufseherin in Tracys Zelle.»Tracy Whitney?«

«Ja. «Es erstaunte sie, wie seltsam ihre Stimme klang.

«Auf Anordnung des Kriminalgerichts des Staates Louisiana in New Orleans werden Sie nunmehr in das Southern Louisiana Penitentiary for Women uberfuhrt. Dann wollen wir mal, Baby.«

Tracy wurde einen endlosen Korridor entlanggefuhrt, an uberbelegten Zellen vorbei. Pfiffe gellten.

«Gute Reise, Su?e…«

«He, Tracy, sagst du mir, wo du dasBild versteckt hast? Ich teil mir dann die Kohle mit dir…«

«Frag nach Ernestine Littlechap, wenn du in denBau kommst. Bei derbist du echt gut aufgehoben…«

Tracy ging an dem Telefon vorbei, von dem aus sie Charles angerufen hatte. Lebwohl, Charles.

Sie trat in einen Hof. Ein gelberBus mit vergitterten Fenstern stand wartend da. Ein halbes Dutzend Frauen sa?, von zweibewaffneten Warternbewacht, bereits imBus. Tracy schaute sich die Gesichter der Frauen an. Die einen hatten etwas Trotziges, die anderen trugen einen gelangweilten Ausdruck

zur Schau, wieder andere sahen verzweifelt aus. Ihrbisheriges Leben wurdebald zu Ende sein. Sie waren Ausgesto?ene, sollten in Kafige gesperrt werden wie wilde Tiere. Tracy fragte sich, welche Verbrechen siebegangen hatten, und obeine unter ihnen war, die so unschuldig war wie sie. Und sie uberlegte sich, was diese Frauen in ihrem Gesicht sahen.

Die Fahrt zog sich endlos hin. Es war hei? und stickig imBus, aber Tracy merkte nichts davon. Sie hatte sich in sich selbst zuruckgezogen und war in einer anderen Zeit, an einem anderen Ort.

Sie war ein kleines Madchen, am Strand mit ihren Eltern, und ihr Vater trug sie auf seinen Schultern ins Meer. Sie schrie, aber ihr Vater sagte: Dubist doch keinBaby mehr, Tracy. Er lie? sie ins kalte Wasser fallen. Sie ging unter, geriet in Panik und erstickte fast. Ihr Vater hobsie aus den Wellen und lie? sie wieder hineinfallen. Seit damals hatte sie schreckliche Angst vor Wasser…

Die Aula des Colleges war dichtbesetzt: Studenten, Eltern, Verwandte. Tracy hielt die Abschiedsrede. Sie sprach funfzehn Minuten, und ihre Rede war voll von hochfliegendem Idealismus, klugen Verweisen auf die Vergangenheit und strahlenden Zukunftstraumen…

Ich gehe nach Philadelphia, Mutter. Meine Freundin Annie kann mir da einenBankjobvermitteln…

Charles schlief mit ihr. Siebeobachtete diebewegten Schatten an der Zimmerdecke und dachte: Wieviel Frauen wurden sich danach sehnen, an meiner Stelle zu sein? Charles war eine erstklassige Partie. Und sie hatte sofort Schuldgefuhle fur diesen Gedanken. Sie liebte Charles. Sie spurte ihn in sich, erbewegte sich schneller, schneller und drangender, kurz vor dem Hohepunkt, und er keuchte: Bist du soweit? Und sie log und sagte ja. War es schon fur dich? Ja, Charles. Und sie dachte: Ist das alles? Und wieder

Schuldgefuhle…

«He, du! Ich rede mit dir! Bist du taub? Es geht los. «Tracyblickte auf und fand sich in dem gelbenBus wieder, der auf einem Hof stand. Ringsum dusteres Gemauer. Neun hintereinander gestaffelte, oben mit Stacheldraht versehene Zaune umgaben die funfhundert Morgen Farmland und Wald, die zum Gelande des Southern Louisiana Penitentiary for Women gehorten.»Steig aus«, befahl der Warter.»Wir sind da.«

5

Eine stammige Aufseherin mit hartem Gesicht und rotlich gefarbten Haaren hielt eine kurze Ansprache an die neuen Haftlinge:»Einige von euch werden viele Jahrebei unsbleiben. Zu schaffen ist das nur, wenn ihr die Au?enwelt total verge?t. Ihr konnt's euch leichtmachen, und ihr konnt's euch schwermachen. Wir haben hier Vorschriften, und an die habt ihr euch zu halten. Wir sagen euch, wann ihr aufstehen, arbeiten, essen und auf die Toilette gehen sollt. Wenn ihr euch nicht an die Vorschriften haltet, werdet ihr esbitterbereuen. Wir haben hier gern unsere Ruhe, und wir wissen genau, wie man mit Leuten umgeht, die Arger machen. «Ihre Augen wanderten mit einer ruckartigenBewegung zu Tracy.»Ihr werdet jetzt gleich vom Gefangnisarzt untersucht. Danach geht ihr unter die Dusche. Und dann werdet ihr in eure Zellen eingewiesen. Morgen fruh teilen wir euch zur Arbeit ein. Das war's. «Sie drehte sich um.

Einblasses, junges Madchen, das neben Tracy stand, sagte:»Entschuldigung, konnte ichbitte…«

Die Aufseherin wirbelte herum. Ihr Gesicht war verzerrt vor Wut.»Halt dein dreckiges Maul. Du redest nur, wenn du gefragt wirst, ist das klar? Das gilt fur euch alle, ihr Arschlocher.«

Tracy war entsetzt uber diesen Ton. Die Aufseherin winkte zwei Warterinnen am anderen Ende des Raumes.»Bringt diese Nutten mal raus hier.«

Tracy wurde mit den anderen aus der Tur gefuhrt. Dann ging es durch einen langen Korridor, und schlie?lich wurden die Frauen in einen gro?en, wei? gekachelten Raum geleitet, in dem ein Untersuchungstisch stand. Daneben ein dicker Mann

in mittleren Jahren, der einen dreckigen Arztkittel trug.

Eine Aufseherin rief:»Antreten!«Die Frauen stellten sich in einer Reihe auf.

Der Mann im Arztkittel sagte:»Ichbin Dr. Glasco, meine Damen. Ausziehen.«

Die Frauenblickten einander unsicher an. Dann fragte eine:»Wie weit sollen wir uns denn…«

«Wi?t ihr nicht, was ausziehen hei?t, verdammt noch mal? Kleider runter! Und zwar alle!«

Die Frauenbegannen langsam, sich auszuziehen. Einige waren geniert, einige emport, andere gleichgultig. Links von Tracy stand eine Frau Ende Vierzig, die am ganzen Leibzitterte, rechts von Tracy ein erbarmenswert mageres Madchen, das so aussah, als sei es nicht alter als siebzehn Jahre. Ihre Haut war mit Pickeln ubersat.

Der Arzt winkte der ersten Frau in der Reihe.»Legen Sie sich auf den Tisch und stecken Sie die Fu?e in diebeiden Schlaufen.«

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