Die Frau zogerte.
«Na, nun machen Sie schon. Sie halten den ganzenBetriebauf.«
Die Frau legte sich auf den Tisch, und der Arzt fuhrte ihr ein Spekulum in die Vagina ein.»Sind Sie geschlechtskrank?«fragte er.
«Nein.«
«Wir werden'sbald wissen.«
Die nachste Frau legte sich auf den Tisch. Als ihr der Arzt das Spekulum einfuhren wollte, mit dem er die erste Frau untersucht hatte, rief Tracy:»Moment mal!«
Der Arztblickte verdutzt auf.»Was?«
Alle starrten jetzt Tracy an, die sagte:»Ich… Sie haben das Instrument nicht sterilisiert.«
Dr. Glascos Mundwinkel hoben sich. Er lachelte Tracy eiskalt an.»Wer hatte das gedacht! Wir haben eine Gynakologin in
unserer Mitte. Sie sindbesorgt wegen Krankheitserregern, ja? Stellen Sie sich ganz hinten an.«
«Wie?«
«Sind Sie schwerhorig? Sie sollen sich am Ende der Reihe anstellen.«
Tracybegriff nicht, aber sie ging ans Ende der Reihe.
«Wenn Sie gestatten«, sagte der Arzt,»werden wir jetzt weitermachen. «Er fuhrte der Frau auf dem Tisch das Spekulum ein, und Tracy wurde plotzlich klar, warum er sie ans Ende der Reihe geschickt hatte. Er wurde alle Frauen mit dem unsterilen Spekulum untersuchen, und sie wurde die letzte sein. Zorn wallte in ihr auf. Er hatte die Frauen getrennt untersuchen konnen, statt sie vorsatzlich ihrer Wurde zuberauben. Und sie lie?en es geschehen. Wenn alle protestieren wurden… Nun war Tracy an der Reihe.
«Auf den Tisch mit Ihnen, werte Kollegin.«
Tracy zogerte, doch ihrbliebkeine Wahl. Sie legte sich auf den Tisch und schlo? die Augen. Sie spurte, wie er ihreBeine auseinanderspreizte, und dann war das kalte Spekulum in ihr, bohrte und stie?. Der Mann tat ihr weh, und das mit voller Absicht. Tracybi? die Zahne zusammen.
«Haben Sie Syphilis oder Tripper?«fragte der Arzt.
«Nein. «Sie wurde ihm nichts von dem Kind sagen. Diesem Ekel nicht. Sie wurde mit dem Gefangnisdirektor daruber reden.
Das Spekulum wurde grobaus ihr herausgezogen. Dr. Glasco streifte ein Paar Gummihandschuhe uber.»So«, sagte er,»stellt euch noch mal in einer Reihe auf undbuckt euch. Wir nehmen uns jetzt eure su?en kleinen Popos vor.«
Tracy wollte es eigentlich nicht sagen, aber da war es ihr schon herausgerutscht:»Warum machen Sie das?«
Dr. Glasco funkelte sie an.»Das will ich Ihnen gern verraten, werte Kollegin. Weil Arschlocher ein gro?artiges Versteck sind. Ich habe hier eine ganze Sammlung von Marihuana und
Kokain — alles von Damen wie Ihnen. Und jetztbucken Sie sich gefalligst. «Er ging die Reihe entlang undbohrte seine Finger in einen Anus nach dem andern. Tracy wurde ubel. Sie spurte, wie es ihr hochkam, undbegann zu wurgen.
«Wenn Sie mir hier in dieBude kotzen, tunke ich Sie mit der Nase rein. «Der Arzt wandte sich den Warterinnen zu.»Bringt die Damen zum Duschen. Sie stinken.«
Die nackten Gefangenen wurden, ihre Kleider auf dem Arm, einen anderen Flur entlanggefuhrt. Sie traten in einen gro?en Raum mitBetonwanden und Zementfu?boden und einem Dutzend offener Duschkabinen.
«Legt die Kleider da in die Ecke«, befahl eine Aufseherin.»Und dann steigt ihr unter die Dusche. Seift euch von obenbis unten abund wascht euch die Haare.«
Tracy stellte sich unter die Dusche. Das Wasser war eiskalt. Sie schaumte sich ein, riebsich abund dachte: Ich werde nie mehr sauber. Was sind das fur Menschen? Wie konnen sie ihre Mitmenschen nur sobehandeln? Das halte ich keine funfzehn Jahre aus!
Eine Warterin herrschte sie an:»He, du! Schlu? jetzt. Komm raus.«
Tracy trat aus der Kabine, bekam ein dunnes, verschlissenes Handtuch und trocknete sich notdurftig ab.
Als alle geduscht hatten, wurden sie in die Kleiderkammer gefuhrt. Eine lateinamerikanische Mitgefangene wachte uber dieBestande. Sie schatzte nach Augenma? die Kleidergro?e jeder Frau und gabgraue Gefangniskluft aus. Die Aufseherinnen standen daneben und sahen zu, wie Tracy und die anderen Frauen sich anzogen. Als sie fertig waren, wurden sie in einen Raum gefuhrt, wo Aufnahmen gemacht und ihre Fingerabdrucke registriert wurden.
Ein Warterbetrat den Raum und deutete auf Tracy.»Whitney? Der Direktor will mit dir reden. Komm mit.«
Tracys Herz machte einen Sprung. Charles hatte doch etwas
unternommen! Naturlich hatte er sie nicht im Stich gelassen. Er hatte sich nur so verhalten, weil er schockiert gewesen war. Inzwischen hatte er nachgedacht und gemerkt, da? er sie noch liebte. Er hatte mit dem Gefangnisdirektor gesprochen und ihm erklart, was fur ein furchtbarer Irrtum das alles war. Sie wurdebald auf freiem Fu? sein.
Wieder wurde Tracy einen Flur entlanggefuhrt, durch eine von Wartern und Warterinnenbewachte Sicherheitsschleuse mit zwei mehrfach verschlossenen Turen. Als sie durch die zweite Tur gelassen wurde, stie? eine andere Gefangene mit ihr zusammen und rannte sie fast um. Sie war ein Kolo?, die gewaltigste Frau, die Tracy je gesehen hatte, uber einsachtzig gro? und uber zwei Zentner schwer. Sie hatte ein ausdrucksloses, pockennarbiges Gesicht und gelbliche Augen. Sie hielt Tracy fest, damit sie nicht das Gleichgewicht verlor, und druckte ihren Arm gegen TracysBruste.
«He!«sagte die Frau zu dem Warter.»Wir haben 'ne Neue. Wie ist es — tut ihr die zu mir in die Zelle?«Sie sprach mit starkem schwedischem Akzent.
«Geht nicht, Bertha. Die ist schon in 'ner andern.«
Die Frau streichelte Tracys Gesicht. Als Tracy zuruckfuhr, lachte die Frau.»Okay, Baby, okay. BigBertha sieht dich wieder. Wir haben 'ne Menge Zeit.«
Sie naherten sich dem Vorzimmer des Direktors. Tracy fuhlte sich schwach vor Hoffnung. ObCharles da war? Oder ober seinen Anwalt geschickt hatte?
Die Sekretarin des Direktors nickte dem Warter zu.»Er erwartet die Whitney. Bleiben Sie solange hier.«
GeorgeBrannigan, der Gefangnisdirektor, sa? an einem ramponierten Schreibtisch undblatterte in Papieren, die vor ihm lagen. Er war Mitte Vierzig, ein dunner, vergramter Mann mit sensiblem Gesicht und tiefliegendenbraunen Augen.
Brannigan leitete das Southern Louisiana Penitentiary for
Women schon seit funf Jahren. Angefangen hatte er als fortschrittlicher Strafrechtler und gluhender Idealist. Er war fest entschlossen gewesen, in diesem Gefangnis umfassende Reformen durchzufuhren. Doch das System hatte ihnbesiegt, wie es auch anderebesiegt hatte.
Bei der Erbauung des Gefangnisses hatte man geplant, die Zellen mit je zwei Insassinnen zubelegen. Inzwischen mu?ten sich vier Frauen eine Zelle teilen. Brannigan wu?te, da? dieselben Zustande im ganzen Land herrschten. Die Gefangnisse waren alle uberfullt und hatten alle zuwenig Personal. Tausende von Kriminellen wurden Tag und Nachtblo? verwahrt und hatten nichts weiter zu tun, als ihren Ha? zu nahren und auf Rache zu sinnen. Es war ein stumpfsinniges, brutales System, doch es gabkein anderes.
Brannigan druckte eine Sprechtaste und sagte seiner SekretarinBescheid.»Schicken Sie sie rein.«
Der Warter offnete die Tur zuBrannigansBuro, und Tracy trat ein.
Branniganblickte zu der Frau auf, die vor ihm stand. Obwohl sie die schmutziggraue Gefangniskluft trug und obwohl ihre Zuge von Erschopfung gezeichnet waren, sah Tracy Whitney schon aus. Sie hatte ein reizendes, offenes Gesicht, undBrannigan fragte sich, wie lange es wohl sobleiben wurde. Er war an dieser Gefangenenbesonders interessiert, weil er in der Zeitung von ihrem Fall gelesen und ihre Akte studiert hatte. Sie war nicht vorbestraft, sie hatte niemanden getotet, und funfzehn Jahre waren ein unma?ig hartes Urteil. Da? Joe Romano sie verklagt hatte, machte das Ganze nur noch fragwurdiger. Aber der Gefangnisdirektor war nichts weiter als ein Verwahrer von Korpern. Er konnte sich nicht gegen das System auflehnen. Er war das System.
«Bitte, nehmen Sie Platz«, sagte er.