sa? er auf seinem Stuhl. Jetzt schien kein Ha? mehr in ihm zu stecken, nur tiefe Verzweiflung. Sie wollte ihn trosten, aber sie fand keine Worte.
Richter Waldman sprach. »Haben die Geschworenen sich auf ein Urteil geeinigt?«
»Sie haben, Euer Ehren.«
Der Richter nickte. Sein Gehilfe ging zum Vorsitzenden der Jury, nahm ihm einen Papierstreifen ab und reichte ihn dem Richter. Jennifer hatte das Gefuhl, das Herz musse ihr aus der Brust springen. Sie bekam keine Luft. Sie wollte, da? die Zeit stehenblieb, jetzt und fur immer, bevor das Urteil verlesen werden konnte.
Richter Waldman studierte den Papierstreifen in seiner Hand; dann blickte er sich langsam im Gerichtssaal um. Seine Augen ruhten auf den Geschworenen, auf Robert Di Silva, auf Jennifer und schlie?lich auf Abraham Wilson. »Der Angeklagte moge sich erheben.«
Abraham Wilson stand auf, seine Bewegungen waren langsam und mude, als ware alle Energie aus ihm herausgesickert. Richter Waldman las von dem Papierstreifen ab: »Diese Jury halt den Angeklagten, Abraham Wilson, fur nicht schuldig im Sinne der Anklage.«
Eine Sekunde lang herrschte Totenstille. Dann gab es einen Aufschrei des Publikums, der die weiteren Worte des Richters davonspulte. Jennifer stand da wie betaubt, unfahig zu glauben, was sie horte. Sprachlos drehte sie sich zu Abraham Wilson um. Er starrte sie einen Moment lang aus seinen kleinen, aggressiven Augen an. Und dann brach das breiteste Grinsen, das Jennifer je gesehen hatte, auf dem ha?lichen Gesicht aus. Er buckte sich und pre?te sie an sich, wahrend sie mit den Tranen kampfte.
Die Reporter drangten sich um Jennifer, baten um einen Kommentar, besturmten sie mit Fragen.
»Wie fuhlt man sich, wenn man den Staatsanwalt geschlagen hat?«
»Hatten Sie erwartet, diesen Fall zu gewinnen?«
»Was hatten Sie getan, wenn Abraham Wilson auf den elektrischen Stuhl geschickt worden ware?«
Jennifer schuttelte nur den Kopf. Sie konnte sich nicht uberwinden, mit ihnen zu sprechen. Sie waren gekommen, um eine Show zu sehen. Sie waren gekommen, um Zeuge zu sein, wie ein Mann zu Tode gehetzt wurde. Wenn das Urteil anders ausgefallen ware... sie wagte nicht, daran zu denken. Jennifer begann, ihre Unterlagen zusammenzusuchen und in die Aktentasche zu stopfen.
Ein Gerichtsdiener naherte sich ihr. »Richter Waldman mochte Sie in seinem Zimmer sehen, Mi? Parker.« Sie hatte vergessen, da? ihr noch eine Strafe wegen Mi?achtung des Gerichts bevorstand, aber das schien nicht langer wichtig. Das einzige, was zahlte, war, da? sie Abraham Wilsons Leben gerettet hatte.
Jennifer streifte den Tisch des Anklagers mit einem Blick. Staatsanwalt Di Silva stopfte wutend seine Papiere in eine Aktentasche und beschimpfte seine Assistenten. Er fing Jennifers Blick auf. Seine Augen bohrten sich in ihre, und er brauchte keine Worte.
Richter Lawrence Waldman sa? an seinem Schreibtisch, als Jennifer eintrat. »Setzen Sie sich, Mi? Parker«, sagte er kurz angebunden. Jennifer nahm Platz. »Ich werde weder Ihnen noch sonst jemandem erlauben, meinen Gerichtssaal in einen Zirkus zu verwandeln.«
Jennifer errotete. »Ich bin gestolpert. Ich konnte nichts dafur, da?...«
Richter Waldman hob die Hand. »Bitte, ersparen Sie mir das.« Jennifer pre?te die Lippen zusammen.
Richter Waldman beugte sich in seinem Stuhl vor. »Eine andere Sache, die ich in meinem Gericht nicht toleriere, ist Anma?ung.« Jennifer sah ihn vorsichtig an. Sie sagte nichts. »Sie haben heute nachmittag Ihre Grenzen uberschritten. Mir ist klar, da? Ihr Ubereifer der Verteidigung eines Menschenlebens diente. Deswegen habe ich beschlossen, Ihnen die Mi?achtung des Gerichts nachzusehen.«
»Ich danke Ihnen, Euer Ehren.« Jennifer mu?te die Worte herauspressen.
Das Gesicht des Richters war undurchdringlich, als er fortfuhr: »Beinahe unausweichlich habe ich am Ende eines Prozesses ein Gespur dafur, ob der Gerechtigkeit ein Dienst erwiesen worden ist oder nic ht. Offen gesagt - in diesem Fall bin ich nicht sicher.« Jennifer wartete darauf, da? er weitersprach. »Das ist alles, Mi? Parker.«
In den Abendausgaben der Zeitungen und den Fernsehnachrichten beherrschte Jennifer Parker erneut die Schlagzeilen, aber dieses Mal war sie die Heldin. Sie war der David der Rechtsprechung, der Goliath besiegt hatte. Die Titelseiten waren mit Bildern von ihr, Abraham Wilson und Staatsanwalt Di Silva gepflastert. Hungrig verschlang Jennifer jedes Wort der Artikel, kostete jede Silbe aus. Nach all der Schande, die sie durchlitten hatte, war der Sieg unglaublich su?. Ken Bailey fuhrte sie zu Luchow's zum Abendessen, und Jennifer wurde vom Oberkellner und einigen der Gaste erkannt. Vollig Fremde sprachen sie mit ihrem Namen an und gratulierten ihr. Es war ein berauschendes Erlebnis. »Wie fuhlt man sich als Beruhmtheit?« fragte Ken grinsend. »Ich bin wie betaubt.«
Jemand schickte eine Flasche Wein an ihren Tisch. »Ich brauche nichts zu trinken«, meinte Jennifer. »Ich fuhle mich, als ha tte ich einen Vollrausch.«
Aber sie hatte Durst und trank drei Glaser Wei?wein, wahrend sie den Proze? mit Ken wieder aufwarmte. »Mein Gott, hatte ich eine Angst! Hast du eine Ahnung, wie man sich fuhlt, wenn man ein fremdes Leben in seiner Hand halt? Es ist, als spielte man Gott. Kannst du dir etwas Erschreckenderes vorstellen? Ich meine, ich komme aus Kelso... Konnen wir noch eine Flasche Wein haben, Ken?«
»Was immer du willst.«
Ken bestellte ein Festmahl fur sie beide, aber Jennifer war zu aufgeregt zum Essen.
»Wei?t du, was Abraham Wilson zu mir sagte, als ich ihn das erste Mal getroffen habe? Er sagte, ›Sie kriechen in meine Haut, und ich krieche in Ihre, und dann unterhalten wir uns uber Ha?‹. Ken, heute war ich in seiner Haut, und wei?t du was? Ich dachte, die Jury wurde mich verurteilen. Ich fuhlte mich, als wurde ich hingerichtet. Ich liebe Abraham Wilson. Konnten wir noch etwas Wein haben?«
»Du hast keinen Bissen gegessen.«
»Ich bin durstig.«
Ken sah besorgt zu, wie Jennifer ein Glas nach dem anderen fullte und leerte. »Immer mit der Ruhe«, sagte er sanft. Sie beruhigte ihn mit einer munteren Handbewegung. »Das ist kalifornischer Wein. Du konntest genausogut Wasser trinken.« Sie nahm einen weiteren Schluck. »Du bist mein bester Freund. Wei?t du auch, wer nicht mein bester Freund ist? Der gro?e Robert Di Sliva. Di Sivla.«
»Di Silva.«
»Der auch. Er ha?t mich. Hast du sein Gesicht heute geseh'n? Oh, Mann, war der wutend! Er sagte, er wollte mich aus dem
Gerichtssaal fegen. Aber das hat er nicht geschafft, oder?«
»Nein, er...«
»Wei?t du, was ich glaube? Was ich wirklich glaube?«
»Ich...«
»Di Sliva denkt, ich bin Ahab, und er is' der wei?e Wal.«
»Ich glaube, du hast das durcheinandergebracht.«
»Danke, Ken. Auf dich kann ich mich immer verlassen. La? uns noch 'ne Flasche Wein trinken.«
»Glaubst du nicht, da? du genug hast?«
»Wale haben Durst.« Jennifer kicherte. »Das bin ich. Der dicke, alte, wei?e Wal. Hab ich dir schon gesagt, da? ich Abraham Wilson liebe? Er ist der schonste Mann, den ich je getroffen habe. Ich habe in seine Augen gesehen, Ken, mein Freund, und er ist einfach schon. Hast du je in Di Sivlas Augen geblickt? Oh, Mann sind die kalt! Ich meine, er is'n Eisberg.
Aber er ist kein schlechter Mensch. Habe ich dir schon von Ahab un' dem gro?'n wei?en Wal erzahlt?«
»Ja.«
»Ich liebe den alten Ahab. Ich liebe alle und jeden. Un' wei?t du, warum, Ken? Weil Abraham Wilson heute nacht am Leben ist. Er ist lebendig. La? uns noch eine Flasche Wein bestellen, zum Feiern...«
Um zwei Uhr morgens brachte Ken Jennifer nach Hause. Er half ihr die vier steilen Treppen hinauf und in ihr kleines Appartement. Sein Atem ging heftig vom Klettern. »Ich glaube«, sagte Ken, »ich spure den Wein.«
Jennifer blickte ihn voll Mitleid an. »Wei?t du, wenn man nichts vertragen kann, sollte man nicht trinken.« Und sie verlor das Bewu?tsein.
Sie erwachte vom Schrillen des Telefons. Vorsichtig tastete sie nach dem Apparat. Die leiseste Bewegung sandte schmerzhafte Raketen durch jedes Nervenende in ihrem Korper. »'lo...«
»Jennifer? Hier spricht Ken.« »'lo, Ken.«
»Du klingst furchtbar. Geht es dir gut?« Sie dachte daruber nach. »Ich glaube nicht. Wie spat ist es?«
»Es ist beinahe Mittag. Du solltest besser sehen, da? du herkommst. Hier ist die Holle ausgebrochen.«