Sie, daran zu denken, da? die Kiste vom stellvertretenden Direktor von Sing Sing zur Verfugung gestellt worden ist - unter Protest. Dies, meine Damen und Herren Geschworenen, ist eine Sammlung konfiszierter Waffen, die heimlich von den Insassen von Sing Sing hergestellt wurden.« Als Jennifer sich auf den Geschworenenstand zu bewegte, schien sie zu stolpern und die Balance zu verlieren. Der Kasten glitt ihr aus den Handen, der Deckel sprang auf, und der Inhalt ergo? sich auf den Boden des Gerichtssaals. Jedermann im Raum schnappte nach Luft. Die Geschworenen begannen aufzustehen, damit sie besser sehen konnten. Sie starrten auf die Sammlung abscheulicher Waffen, die aus dem Kasten gefallen waren. Es waren mindestens hundert, von jeder Gro?e, Form und Gattung. Selbstgefertigte Beile und Fleischermesser, Stilette und morderisch aussehende Scheren mit geschliffenen Enden, Schrotgewehre und ein riesiges, angsteinflo?end wirkendes Entermesser. Es gab dunne Drahte mit Holzgriffen, mit denen man einem Mann die Luft abdrehen konnte, einen Lederknuppel, einen zugespitzten Eispickel und eine Machete.

Zuschauer und Reporter waren aufgesprungen und reckten sich die Halse aus, um einen besseren Blick auf das Waffenarsenal auf dem Boden werfen zu konnen. Richter Waldman trommelte argerlich mit seinem Hammer auf die Richterbank, um die Ordnung wiederherzustellen. Er starrte Jennifer mit einem unergrundlichen Ausdruck an. Ein Gerichtsdiener eilte herbei, um den Inhalt des Kastens aufzuheben. Jennifer winkte ihn beiseite. »Danke. Ich hebe es selber auf.« Vor den Augen der Geschworenen und Zuschauer ging sie in die Knie und begann, die Waffen aufzuheben und wieder in den Kasten zu legen. Sie arbeitete langsam, behandelte die Waffen vorsichtig und bedachte jede mit einem ausdruckslosen Blick, bevor sie sie in den Kasten zurucklegte. Die Geschworenen hatten sich wieder hingesetzt, aber sie achteten auf jede ihrer Bewegungen. Jennifer brauchte volle funf Minuten, um alle Waffen wieder einzusammeln, wahrend Staatsanwalt Di Silva beinahe in Rauch aufging vor Wut.

Als Jennifer die letzte Waffe aus dem todlichen Arsenal in dem Kasten verstaut hatte, stand sie auf, blickte Patterson an und wandte sich dann an Di Silva. »Ihr Zeuge.« Es war zu spat, den angerichteten Schaden wieder auszubugeln. »Kein Kreuzverhor«, sagte der Staatsanwalt. »Dann mochte ich Abraham Wilson in den Zeugenstand rufen.«

8

»Ihr Name?«

»Abraham Wilson.«

»Wurden Sie bitte lauter sprechen?«

»Abraham Wilson.«

»Mr. Wilson, haben Sie Raymond Thorpe getotet?«

»Ja, Ma'am.«

»Wurden Sie dem Gericht erzahlen, warum?«

»Er wollte mich tot'n.«

»Raymond Thorpe war wesentlich schmaler als Sie. Hielten Sie ihn wirklich fur fahig, Sie zu toten?«

»Er ging mit 'in Messer auf mich los, un' das machte ihn ziemlich gro?.«

Jennifer hatte zwei Gegenstande aus der Bonbondose genommen. Einer war ein sorgsam zugespitztes Fleischermesser; der andere war eine gro?e Zange. Sie hielt das Messer hoch. »Ist dies das Messer, mit dem Raymond Thorpe Sie bedroht hat?«

»Einspruch! Der Angeklagte kann auf keinen Fall wissen...«

»Ich formuliere die Frage neu. Ist dieses Messer jenem ahnlich, mit dem Thorpe Sie bedroht hat?«

»Ja, Ma'am.«

»Und diese Zange?«

»Ja, Ma'am.«

»Hatten Sie schon vorher Arger mit Thorpe gehabt?«

»Ja, Ma'am.«

»Und als er mit diesen beiden Waffen auf Sie losging, waren Sie gezwungen, ihn zu toten, um Ihr eigenes Leben zu retten?«

»Ja, Ma'am.«

»Ich danke Ihnen.«

Jennifer wandte sich an Di Silva. »Ihr Zeuge.« Robert Di Silva erhob sich und bewegte sich langsam auf den Zeugenstand zu. »Mr. Wilson, Sie haben schon einmal getotet, oder? Ich meine, dies war nicht Ihr erster Mord?«

»Ich hab' nen Fehler gemacht, un' ich zahl' dafur. Ich...«

»Ersparen Sie uns Ihre Predigt. Nur ja oder nein.«

»Ja.«

»Also hat ein Menschenleben nicht viel Wert fur Sie.«

»Das is' nich' wahr. Ich...«

»Wollen Sie behaupten, da? zwei Morde Ihre Art sind, den Wert des menschlichen Lebens zu schatzen? Wie viele Menschen hatten Sie getotet, wenn Ihnen ihr Leben nicht so wertvoll ware? Funf? Zehn? Zwanzig?«

Er koderte Abraham Wilson, und Wilson ging in die Falle. Seine Kinnmuskeln traten hervor, und sein Gesicht verfinsterte sich vor Wut. Achtung, Abraham!

»Ich hab' nur zwei Leute umgelegt.«

»Nur! Sie haben nur zwei Menschen ermordet!« Der Staatsanwalt schuttelte den Kopf in gespielter Besturzung. Er trat dicht an den Zeugenstand heran und sah zu dem Angeklagten auf. »Ich wette, es gibt Ihnen ein Gefuhl der Macht, so gro? zu sein. Sie fuhlen sich beinahe wie Gott, was? Wann immer Sie wollen, konnen Sie sich ein Menschenleben nehmen - eins hier, eins da...«

Abraham Wilson sprang auf und streckte sich zu seiner vollen Gro?e. »Sie Hundesohn!« Nein! flehte Jennifer. Nicht!

»Hinsetzen!« donnerte Di Silva. »Haben Sie bei Raymond Thorpe genauso die Beherrschung verloren, bevor Sie ihn getotet haben?«

»Thorpe wollte mich umleg'n.«

»Hiermit?« Di Silva hob das Messer und die Zange hoch. »Ich bin sicher, Sie hatten ihm das Messer wegnehmen konnen.« Er wedelte mit der Zange herum. »Und hiervor hatten Sie Angst?« Er wandte sich an die Jury und hielt mi?billigend die Zange hoch. »Dies Ding sieht nicht besonders todlich aus. Wenn der Ermordete in der Lage gewesen ware, Ihnen damit einen Schlag auf den Kopf zu versetzen, hatten Sie allenfalls eine kleine Beule davongetragen. Wozu dient diese Zange genau, Mr. Wilson?«

Abraham Wilson antwortete sanft: »Damit zerquetsch'n se einem die Eier.«

Die Beratung der Jury dauerte acht Stunden. Robert Di Silva und seine Assistenten verlie?en den Gerichtssaal, um eine Pause einzulegen, aber Jennifer blieb auf ihrem Platz. Sie war unfahig, sich davon loszurei?en. Als die Jury den Raum verlassen hatte, war Ken Bailey zu ihr gekommen. »Wie war's mit einem Schluck Kaffee?«

»Ich konnte nichts herunterbringen.«

Sie sa? im Gerichtssaal. Sie hatte Angst, sich zu bewegen, und war sich der Leute um sie herum kaum bewu?t. Es war vorbei. Sie hatte ihr Bestes gegeben. Sie schlo? die Augen und versuchte zu beten, aber ihre Angst war zu stark. Sie fuhlte sich, als wurde sie zusammen mit Abraham Wilson zum Tode verurteilt werden.

Die Geschworenen marschierten wieder in den Raum. Ihre Gesichter waren duster und vielsagend, Jennifers Herz klopfte schneller. Sie konnte an den Gesichtern erkennen, da? sie Wilson schuldig sprechen wurden. Sie glaubte, sie wurde gleich in Ohnmacht fallen. Ihretwegen wurde ein Mann hingerichtet werden. Sie hatte diesen Fall niemals ubernehmen durfen. Was fur ein Recht hatte sie, das Leben eines Menschen in ihre Hand zu nehmen? Sie mu? wahnsinnig gewesen sein, zu glauben, da? sie gegen einen so erfahrenen Anwalt wie Robert Di Silva gewinnen konnte. Sie wollte aufspringen und zu den Geschworenen laufen, ehe sie ihren Schuldspruch abgeben konnten, und sagen, Halt! Abraham Wilson hat keinen fairen Proze? gehabt. Bitte, lassen Sie ihn von einem anderen Anwalt verteidigen, einem besseren als mir.

Aber es war zu spat. Jennifer blickte verstohlen zu Abraham Wilson hinuber. Unbeweglich wie eine Statue

Вы читаете Zorn der Engel
Добавить отзыв
ВСЕ ОТЗЫВЫ О КНИГЕ В ИЗБРАННОЕ

0

Вы можете отметить интересные вам фрагменты текста, которые будут доступны по уникальной ссылке в адресной строке браузера.

Отметить Добавить цитату