einen Handel abschlie?en, Lady? Sie haben mein Leben versaut! In Sing Sing hat es eine Leiche gegeben, und Ihr Kleiner wird dafur grillen. Verstehen Sie mich? Ich werde personlich dafur sorgen, da? er auf den elektrischen Stuhl kommt.«

»Ich bin mit der Absicht hergekommen, mich von dem Fall zuruckzuziehen. Sie konnten die Anklage in Totschlag umandern. Wilson hat bereits lebenslanglich. Sie konnen -«

»Nein, niemals! Er ist des Mordes schuldig!« Jennifer versuchte, ihren Zorn zu zugeln. »Ich dachte, das hatte die Jury zu entscheiden.«

Robert Di Silva lachelte sie ohne Frohlichkeit an. »Sie konnen sich gar nicht vorstellen, wie herzerwarmend es ist, wenn ein Experte wie Sie in mein Buro kommt und mir das Gesetz erklart.«

»Konnen wir nicht wie zwei vernunftige Menschen miteinander reden?«

»Nicht, solange ich lebe. Gru?en Sie Ihren Spezi Michael Moretti von mir.«

Eine halbe Stunde spater trank Jennifer mit Ken Bailey Kaffee.

»Ich wei? nicht mehr weiter«, gestand sie. »Ich dachte, wenn ich mit dem Fall nichts mehr zu tun hatte, wurde es fur Abraham Wilson besser aussehen. Aber Di Silva ist zu keinem Handel bereit. Er will nicht Wilsons Kopf - er will meinen!« Bailey sah sie nachdenklich an. »Vielleicht versucht er, dich mit psychologischer Kriegfuhrung kleinzukriegen. Er will dir Angst machen.«

»Ich habe Angst.« Sie nahm einen Schluck Kaffee. Er schmeckte bitter. »Es ist ein hoffnungsloser Fall. Du solltest Abraham Wilson einmal sehen. Die Geschworenen brauchen ihn blo? anzuschauen, dann ist er schon verurteilt.«

»Wann wird die Verhandlung eroffnet?«

»In vier Wochen.«

»Kann ich irgend etwas tun, um dir zu helfen?«

»Sicher. La? Di Silva umlegen.«

»Siehst du irgendeine Chance, einen Freispruch fur Wilson zu erreichen?«

»Wenn man es vom Standpunkt eines Pessimisten aus betrachtet, fuhre ich meine erste Verhandlung gegen den gerissensten Staatsanwalt des Landes, der wiederum eine Privatfehde gegen mich fuhrt, und mein Mandant ist ein bereits verurteilter schwarzer Morder, der vor hundertzwanzig Zeugen einen weiteren Mord begangen hat.«

»Schauerlich. Was konnte ein Optimist fur eine Moglichkeit sehen?«

»Da? ich heute nachmittag von einem Lastwagen uberfahren werde.«

Der Verhandlungstermin war nur noch drei Wochen entfernt. Jennifer sorgte dafur, da? Abraham Wilson in das Gefangnis von Riker's Island verlegt wurde. Er wurde in die Haftanstalt fur Manner gesteckt, das gro?te und alteste Gefangnis auf der Insel. Funfundneunzig Prozent der Insassen erwarteten dort Verhandlungen wegen Kapitalverbrechen: Mord, Brandstiftung, Vergewaltigung, bewaffneter Raububerfall. Privatwagen waren auf der Insel nicht zugelassen, und Jennifer wurde in einem kleinen grunen Bus zu dem grauen Kontrollgebaude gebracht, wo sie ihren Ausweis vorzeigte. In einer grunen Bude links von dem Gebaude hielten sich zwei bewaffnete Warter auf, und dahinter versperrte ein Tor allen unbefugten Besuchern den Weg. Von dem Kontrollgebaude wurde Jennifer auf der Hazen Street, einer schmalen Stra?e, die durch das Gefangnisgelande fuhrte, zum Anna-M.- Kross-Gebaude gefahren, wohin Abraham Wilson gebracht worden war, um sich mit ihr in einer der acht wurfelformigen Zellen des Beratungsraums zu treffen.

Als sie den langen Korridor zum Besprechungszimmer entlangging, dachte Jennifer: So mu? der Warteraum zur Holle aussehen. Sie hatte das Gefuhl, durch einen Sumpf aus unvorstellbarem Larm zu waten. Das Gefangnis war aus Ziegeln, Stahl, Steinen und Kacheln erbaut. Standig wurden Eisentore geoffnet und geschlossen. In jedem Zellenblock waren uber hundert Manner untergebracht, die alle gleichzeitig zu reden und zu brullen schienen, dazu waren zwei Fernsehapparate auf verschiedene Programme eingestellt, und eine Musikanlage spielte Country Rock. Dreihundert Warter waren auf die Blocke verteilt, und ihr Geschrei lieferte den Kontrapunkt zu der Gefangnissymphonie.

Jennifer sa? Abraham Wilson gegenuber und dachte: Das Leben diesen Mannes liegt in meiner Hand. Wenn er stirbt, dann nur, weil ich versagt habe. Sie blickte in seine Augen und sah die Verzweiflung darin.

»Ich werde tun, was in meiner Macht steht«, versprach sie. Drei Tage vor Proze?beginn erfuhr sie, da? der Ehrenwerte Richter La wrence Waldman den Vorsitz fuhren wurde - der Mann, der den Moretti-Proze? geleitet und anschlie?end versucht hatte, sie aus der Anwaltskammer zu entfernen.

7

Ende September 1970, an dem Montag, an dem der Proze? gegen Abraham Wilson beginnen sollte, erwachte Jennifer um vier Uhr morgens. Sie fuhlte sich mude und zerschlagen. Sie hatte schlecht geschlafen und von der Verhandlung getraumt. In einem der Traume hatte Robert Di Silva sie in den Zeugenstand gerufen und uber Michael Moretti befragt. Immer wenn sie zu antworten versuchte, fielen die Geschworenen ihr mit dem Schrei Lugnerin! Lugnerin! Lugnerin! ins Wort. Im letzten Traum wurde Abraham Wilson auf den elektrischen Stuhl geschnallt, und als Jennifer sich uber ihn beugte, um ihn zu trosten, spuckte er ihr ins Gesicht. Jennifer war zitternd aufgewacht und konnte nicht wieder einschlafen. Bis zur Morgendammerung sa? sie aufrecht in einem Sessel und beobachtete den Sonnenaufgang. Sie war zu nervos, um zu fruhstucken. Sie wunschte sich, sie hatte besser geschlafen. Sie wunschte sich, nicht so angespannt zu sein. Und sie wunschte sich, da? der Tag schon vorbei ware. Wahrend sie badete und sich anzog, wurde sie von unheilvollen Ahnungen geplagt. Am liebsten hatte sie Schwarz getragen, aber sie entschied sich fur ein grunes, Chanel nachgeahmtes Kleid, das sie bei Loehmann's im Ausverkauf erstanden hatte. Um acht Uhr drei?ig traf sie im Gerichtsgebaude ein, um die Verteidigung im Fall Das Volk von New York gegen Abraham Wilson anzutreten. Vor dem Eingang drangte sich eine Menschenmenge, und ihr erster Gedanke war, da? es einen Unfall gegeben habe. Sie bemerkte eine Batterie von Fernsehkameras und Mikrofonen. Ehe sie begriffen hatte, was vorging, war sie von Reportern umzingelt. Einer der Reporter sagte: »Mi? Parker, dies ist Ihr erster Auftritt vor Gericht, seit Sie den Moretti-Fall zum Platzen gebracht haben, nicht wahr?«

Ken Bailey hatte sie gewarnt. Sie war die Hauptattraktion, nicht ihr Mandant. Die Reporter waren keine objektiven Beobachter. Sie waren Raubvogel, und Jennifer war ihre Beute. Eine junge Frau in Jeans stie? Jennifer ein Mikrofon ins Gesicht. »Stimmt es, da? Staatsanwalt Di Silva es auf Sie abgesehen hat?«

»Kein Kommentar.« Jennifer begann, sich zum Eingang des Gebaudes durchzukampfen.

»Der Staatsanwalt hat gestern abend eine Verlautbarung abgegeben, nach der Ihnen verboten werden sollte, an New Yorker Gerichten als Anwalt tatig zu sein. Haben Sie dazu etwas zu sagen?«

»Kein Kommentar.« Sie hatte den Eingang beinahe erreicht. »Richter Waldman hat letztes Jahr versucht, Sie aus der Anwaltskammer zu entfernen. Werden Sie ihn auffordern, sich wegen Befangenheit...« Jennifer hatte es geschafft. Sie war im Gericht.

Der Proze? fand in Raum 37 statt. Obwohl der Saal bereits voll war, drangten sich immer noch Leute auf dem Korridor und versuchten, hineinzugelangen. Es herrschte eine regelrechte Karnevalsatmosphare in dem vor Larm drohnenden Raum. Fur Mitglieder der Presse waren zusatzliche Reihen reserviert worden. Darum hat sich Di Silva personlich gekummert, dachte Jennifer.

Abraham Wilson sa? am Angeklagtentisch und uberragte seine Umgebung wie ein bedrohlicher Berg. Er trug einen dunkelblauen Anzug, der ihm zu klein war, und ein wei?es Hemd mit einem blauen Schlips, den Jennifer ihm gekauft hatte. Es half alles nichts. Abraham Wilson sah aus wie ein ha?licher Killer in einem dunkelblauen Anzug. Er konnte genausogut seine Straflingskombination anhaben, dachte Jennifer entmutigt.

Wilson blickte sich herausfordernd im Sitzungssaal um und starrte jeden finster an, der seinem Blick begegnete. Jennifer kannte ihren Mandanten inzwischen gut genug, um zu wissen, da? seine Streitlust nur seine Angst verbergen sollte; aber jeder andere - der Richter und die Jury eingeschlossen - wurde den Eindruck haben, einem feindseligen, ha?erfullten Mann gegenuberzusitzen. Dieser schwarze Riese war eine Bedrohung. Sie wurden ihn als jemanden betrachten, den man furchten und daher zerstoren musse.

An Wilsons Personlichkeit war kein einziger liebenswerter Zug. Nichts an seiner Erscheinung rief Sympathie hervor. Es gab nur das ha?liche, zernarbte Gesicht mit der gebrochenen Nase und den fehlenden Zahnen, diesen machtigen Korper, der angsteinflo?end wirkte.

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