Robert Di Silva gehabt hatte. Needham war enttauscht, hatte es aber mit philosophischer Ruhe getragen. Der Staatsanwalt dagegen hatte sich aufgefuhrt wie ein wutender Stier. »Sie lassen dieser Nutte das durchgehen? Herrgott im Himmel, sie gehort zur Mafia, Adam! Sind Sie denn blind? Sie hat Sie aufs Kreuz gelegt!«
Schlie?lich war Adam es leid gewesen, und er hatte gesagt: »Das ganze Beweismaterial gegen sie war zufallig, Robert. Sie war zur falschen Zeit am falschen Ort und wurde hereingelegt. Das sieht mir nicht nach Mafia aus.«
»Okay, sie bleibt also Anwaltin«, hatte Di Silva endlich gesagt. »Ich hoffe nur zu Gott, da? sie in New York praktiziert, denn in dem Augenblick, in dem sie den Fu? in einen meiner Gerichtssale setzt, werde ich sie vernichten!« Von all dem erwahnte Adam nichts. Jennifer hatte sich einen todlichen Feind geschaffen, aber das lie? sich nicht mehr andern. Robert Di Silva war ein rachsuchtiger Mann, und Jennifer war eine verwundbare Zielscheibe. Sie war intelligent, idealistisch und geradezu schmerzlich jung und reizend. Adam wu?te, da? er sie nie wiedersehen durfte. Es gab Tage, Wochen und Monate, wahrend deren Jennifer am liebsten alles hingeworfen hatte. Das Schild mit der Aufschrift Jennifer Parker, Rechtsanwalt, hing immer noch an der Tur, aber es fuhrte niemanden hinters Licht, am wenigsten sie selber. Ihre Arbeit hatte nichts mit der eines Anwalts zu tun. Sie verbrachte ihre Tage damit, in Regen, Graupelschauern und Schnee herumzurennen und Vorladungen an Leute zuzustellen, die sie dafur verabscheuten. Hin und wieder ubernahm sie unentgeltlich einen Fall, verhalf alten Menschen zu Essensmarken oder loste fur Schwarze, Puertoricaner und andere Unterprivilegierte juristische Probleme. Aber sie fuhlte sich wie in einer Falle.
Die Nachte waren noch schlimmer als die Tage. Sie schienen endlos, denn Jennifer litt an Schlaflosigkeit, und wenn sie schlie?lich einschlief, hatte sie Alptraume. Die Schlaflosigkeit hatte in der Nacht begonnen, in der Jennifers Mutter sie und ihren Vater verlassen hatte, und was immer es war, das die Alptraume verursachte, Jennifer konnte es nicht vertreiben. Sie war einsam. Gelegentlich ging sie mit jungen Rechtsanwalten aus, aber unausweichlich verglich sie die Manner mit Adam Warner, und sie alle verbla?ten gegen ihn. Die Abende verliefen immer gleich: man ging essen, ins Kino oder ins Theater, und dann folgte ein Ringkampf vor ihrer Wohnung. Jennifer war nie ganz sicher, ob die Manner erwarteten, da? sie mit ihnen ins Bett ging, weil sie ihr ein Essen bezahlt hatten oder weil sie vier steile Treppen hinauf- und hinuntergeklettert waren. Es gab Zeiten, in denen sie versucht war, ja zu sagen, nur um jemanden fur die Nacht zu haben, jemanden, an dem sie sich festhalten konnte. Aber sie brauchte mehr im Bett als eine Sprechpuppe; sie brauchte einen Menschen, der sich um sie kummerte, um den sie sich kummern konnte. Die interessantesten Antrage kamen von verheirateten Mannern, und Jennifer lehnte sie rundheraus ab. Sie erinnerte sich an eine Zeile aus Billy Wilders Film ›Das Appartement‹: »Wenn du in einen verheirateten Mann verliebt bist, solltest du keine Wimperntusche benutzen.« Ihre Mutter hatte die Ehe ihrer Eltern zerstort und ihren Vater getotet. Das konnte sie niemals vergessen.
Weihnachten und Silvester verbrachte Jennifer allein. Heftige Schneefalle hatten die Stadt in eine riesige Weihnachtskarte verwandelt. Jennifer wanderte durch die Stra?en, sah, wie jedermann der Warme seines Heims und seiner Familie zustrebte, und spurte ein schmerzliches Gefuhl der Leere in sich aufsteigen. Sie hatte ihren Vater nie mehr vermi?t. Sie war froh, als die Ferien voruber waren. Neunzehnhundertsiebzig wird ein besseres Jahr, sagte sie sich. An ihren schlimmsten Tagen heiterte Ken Bailey sie auf. Er nahm sie zum Football in den Madison Square Garden mit, in Diskotheken oder gelegentlich ins Kino. Jennifer wu?te, da? er sich von ihr angezogen fuhlte und dennoch eine Schranke zwischen ihnen errichtet hatte.
Im Marz entschlo? Otto Wenzel sich, mit seiner Frau nach Florida zu ziehen. »Meine Knochen werden zu alt fur die New Yorker Winter«, erklarte er Jennifer.
»Sie werden mir fehlen.« Jennifer meinte es ehrlich. Otto Wenzel war ihr ans Herz gewachsen. »Kummern Sie sich ein wenig um Ken.« Jennifer blickte ihn fragend an. »Er hat es Ihnen erzahlt, oder?« »Was erzahlt?«
Wenzel zogerte eine Sekunde. »Seine Frau hat Selbstmord begangen. Er gibt sich die Schuld daran.« Jennifer war schockiert. »Wie entsetzlich! Warum... warum hat sie das getan?«
»Sie uberraschte Ken im Bett mit einem jungen Mann.«
»Oh, mein Gott!«
»Sie scho? auf Ken und richtete die Waffe dann auf sich selber. Er uberlebte es, sie nicht.«
»Wie furchtbar! Ich hatte keine Ahnung, da?... da?...«
»Ich wei?. Er wirkt immer frohlich, aber er tragt seine private Holle mit sich herum wie ein Hund seine Kette.«
»Danke, da? Sie es mir erzahlt haben.« Als Jennifer wieder im Buro war, sagte Ken: »Der gute, alte Otto wird uns also verlassen.«
»Ja.«
Bailey grinste. »Ich schatze, jetzt hei?t es, jeder fur sich, und wir gegen alle.«
»Das schatze ich auch.« Und irgendwie, dachte Jennifer, stimmt es sogar.
Sie sah Ken jetzt mit anderen Augen. Sie a?en zusammen zu Mittag und zu Abend, und sie konnte an nichts erkennen, da? er homosexuell war, aber sie wu?te, da? Otto Wenzel ihr die Wahrheit gesagt hatte: Ken Bailey schleppte seine eigene Privatholle mit sich herum.
Gelegentlich verirrten sich ein paar Mandanten in Jennifers Buro. Sie waren im allgemeinen armlich gekleidet, konfus und manchmal durch und durch psychopathologische Falle. Prostituierte baten sie, bei der Festsetzung ihrer Kaution aufzutreten, und Jennifer war erstaunt, wie jung und attraktiv einige von ihnen waren. Sie wurden eine kleine, aber regelma?ige Einkommensquelle. Jennifer konnte nicht herausfinden, wer sie zu ihr schickte. Wenn sie es Ken Bailey gegenuber erwahnte, zuckte er mit den Schultern und kummerte sich nicht weiter darum.
Immer wenn Jennifer Klientenbesuch hatte, verschwand Ken diskret. Er war wie ein stolzer Vater, der sie ermutigte, am Ball zu bleiben.
Gelegentlich wurden ihr Scheidungsfalle angeboten, aber die lehnte sie ab. Sie konnte nicht vergessen, was einer ihrer Professoren einmal gesagt hatte: Scheidung ist fur einen Anwalt, was Abtreibung fur einen Arzt ist. Die meisten Scheidungsanwalte hatten einen schlechten Ruf. Wenn ein Ehepaar rot sah, rochen sie Geld. Hochkaratige Scheidungsanwalte hatten den Spitznamen Bomber, denn um einen Fall zu gewinnen, scheuten sie nicht davor zuruck, juristischen Sprengstoff zu benutzen, und sie zerstorten nicht selten Mann, Frau und Kinder mit einem einzigen Knopfdruck.
Aber einige der Mandanten, die Jennifer aufsuchten, unterschieden sich so deutlich von den anderen, da? es sie verwirrte. Sie waren gut gekleidet, hatten einen Flair von Reichtum, und ihre Auftrage waren nicht von der Art der billigen Falle, die Jennifer gewohnlich handhabte. Es ging um Nachla?fragen von betrachtlichem Streitwert und Prozesse, die jede renommierte Anwaltskanzlei mit Vergnugen vertreten hatte.
»Wo haben Sie von mir gehort?« fragte Jennifer regelma?ig, aber die Antworten waren ausweichend. Von einem Freund... ich habe von Ihnen gelesen... Ihr Name fiel auf einer Party. Erst als einer dieser Mandanten Adam Warner erwahnte, als er sein Problem erklarte, begriff sie. »Mr. Warner hat Sie hergeschickt, nicht wahr?« Der Klient geriet in Verlegenheit. »Nun, tatsachlich hat er gesagt, es ware besser, ich lie?e seinen Namen nicht fallen.« Jennifer entschlo? sich, Adam anzurufen. Schlie?lich verdankte sie ihm einiges. Sie wurde freundlich, aber formell sein. Naturlich wurde sie ihn nicht merken lassen, da? sie ihn aus irgendeinem anderen Grund anrief, als um ihre Dankbarkeit zum Ausdruck zu bringen. In ihrer Phantasie probte sie das Gesprach wieder und immer wieder. Als sie schlie?lich allen Mut zusammennahm und seine Nummer wahlte, informierte seine Sekretarin sie, Mr. Warner sei in Europa und werde erst in einigen Wochen zuruckerwartet. Nach dieser Enttauschung wurde Jennifer von Niedergeschlagenheit befallen.
Sie merkte, da? sie ofter und ofter an Adam dachte. Sie erinnerte sich immer wieder an den Abend, an dem er sie in ihrem Appartement besucht und sie sich so unmoglich aufgefuhrt hatte. Es war gro?artig gewesen, wie er auf ihr kindisches Benehmen reagierte, als sie ihre Wut an ihm auslie?. Und zu allem Uberflu? schickte er ihr jetzt auch noch Mandanten. Jennifer wartete drei Wochen und rief ihn dann noch einmal an. Diesmal war er in Sudamerika.
»Soll ich ihm eine Nachricht ausrichten?« fragte die Sekretarin.
Jennifer zogerte. »Keine Nachricht«, sagte sie dann. Sie versuchte, nicht mehr an Adam zu denken, aber es war unmoglich. Sie fragte sich, ob er verheiratet oder verlobt sein mochte. Sie fragte sich, wie es wohl war, Mrs. Adam Warner zu sein. Und sie fragte sich, ob sie den Verstand verloren hatte.
Gelegentlich stie? sie in den Zeitungen auf den Namen Michael Moretti. Im New Yorker stand eine Hintergrundgeschichte uber Antonio Granelli und die ostlichen Mafia-Familien. Es hie?, mit Granellis Gesundheit gehe es abwarts, und Moretti bereite sich darauf vor, sein Reich zu ubernehmen. Life brachte eine Story uber