beschaftigt, Vorladungen aller Art zuzustellen. Sie wu?te, da? sie keine Chance hatte, jemals in einer gro?en Kanzlei zu arbeiten, denn nach dem Fiasko, an dem sie beteiligt gewesen war, dachte niemand im Traum daran, sie zu beschaftigen. Sie konnte nur darauf hinarbeiten, sich selber einen Namen zu machen, und dabei mu?te sie ganz von vorn beginnen. In der Zwischenzeit hauften sich Vorladungen von Peabody & Peabody auf ihrem Schreibtisch. Sie verrichtete zwar nicht gerade die Arbeit eines Anwalts, aber sie verdiente zwolf Dollar funfzig plus Spesen.
Gelegentlich, wenn Jennifer bis in die Nacht zu arbeiten hatte, lud Ken Bailey sie zum Abendessen ein. Oberflachlich betrachtet, war er ein Zyniker, aber Jennifer hatte das Gefuhl, da? es sich dabei nur um eine Fassade handelte. Sie spurte, da? er einsam war. Er hatte die Brown-Universitat absolviert, war intelligent und belesen. Sie konnte nicht verstehen, warum er damit zufrieden war, in einem billigen Buro zu sitzen und sein Leben damit zu verbringen, streunende Ehemanner und Ehefrauen aufzuspuren. Es war, als hatte er sich damit abgefunden, ein Versager zu sein, als hatte er Angst davor, um den Erfolg zu kampfen.
Einmal hatte Jennifer versucht, mit ihm uber seine Ehe zu sprechen, aber er hatte nur geknurrt, »Das geht Sie nichts an«, und sie hatte das Thema nie wieder erwahnt. Otto Wenzel war vollig anders. Der kleine, schmerbauchige Mann war glucklich verheiratet. Er behandelte Jennifer wie eine Tochter und brachte ihr dauernd Suppen und Kuchen, die seine Frau zubereitet hatte. Leider war seine Frau eine miserable Kochin, aber Jennifer zwang sich, alles zu essen, was Otto Wenzel ihr gab, weil sie ihn nicht verletzen wollte. Eines Freitagabends wurde sie zu den Wenzels zum Abendessen eingeladen. Mrs. Wenzel hatte gefullten Kohlkopf gekocht, ihre Spezialitat. Der Kohl war matschig, die Fleischfullung zu hart und der Reis nur halbgar. Die ganze Mahlzeit schwamm in einem See aus Fett. Jennifer nahm wacker den Kampf mit dem Kohl auf, konnte sich aber nur zu kleinen Bissen uberwinden und schob die Speisen auf ihrem Teller hin und her, damit es so aussah, als lange sie kraftig zu. »Wie schmeckt es Ihnen?« strahlte Mrs. Wenzel. »Es ist... es ist eins meiner Lieblingsgerichte.« Von da an wurde Jennifer jeden Freitag zu den Wenzels zum Abendessen eingeladen, und Mrs. Wenzel kochte ihr stets ihre Lieblingsmahlzeit.
Das Telefon klingelte. Es war noch ziemlich fruh. Am anderen Ende sagte die personliche Sekretarin von Mr. Peabody, jr.: »Mr. Peabody mochte Sie heute morgen um elf Uhr sehen. Seien Sie bitte punktlich.«
»Ja, Ma'am.«
In der Vergangenheit hatte Jennifer im Buro Peabody immer nur mit Sekretarinnen und Praktikanten zu tun gehabt. Es war eine gro?e, angesehene Kanzlei, eine, in die jeder junge Anwalt fur sein Leben gern eingetreten ware. Auf dem Weg zu der Verabredung begann Jennifer zu phantasieren. Wenn Mr. Peabody personlich sie sehen wollte, mu?te es sich um etwas Wichtiges handeln. Vielleicht hatte er eine Erleuchtung gehabt und wollte ihr einen Job in seiner Kanzlei anbieten, um ihr die Chance zu geben, zu zeigen, was sie konnte. Sie wurde alle in Erstaunen setzen. Vielleicht wurde es eines Tages sogar Peabody, Peabody & Parker hei?en.
Jennifer wartete eine halbe Stunde im Flur vor dem Buro, ehe sie um punkt elf Uhr den Empfangsraum betrat. Sie wollte nicht zu willfahrig wirken. Man lie? sie zwei Stunden warten und fuhrte sie dann ins Buro von Mr. Peabody junior. Der Anwalt war ein gro?er, dunner Mann im Anzug mit Weste und Schuhen, die extra fur ihn in London gefertigt worden waren.
Er forderte sie nicht auf, Platz zu nehmen. »Mi? Potter...« Er hatte eine unangenehme, hohe Stimme. »Parker.«
Er nahm ein Blatt Papier von seinem Schreibtisch. »Dies ist eine Vorladung. Ich mochte, da? Sie sie zustellen.« In diesem Augenblick hatte Jennifer eine Ahnung, da? sie doch noch nicht in die Kanzlei aufgenommen werden wurde. Mr. Peabody junior reichte Jennifer die Vorladung und sagte: »Ihr Honorar betragt funfhundert Dollar.« Jennifer glaubte, sich verhort zu haben. »Sagten Sie funfhundert?«
»Das ist richtig. Naturlich nur, wenn Sie Erfolg haben.«
»Die Sache hat einen Haken«, riet Jennifer. »Nun ja«, gab Mr. Peabody junior zu. »Wir versuchen diesen Mann seit uber einem Jahr vorzuladen. Sein Name ist William Carlisle. Er lebt auf einem Besitz in Long Island und setzt keinen Fu? vor die Tur. Um die Wahrheit zu sagen, vor Ihnen haben schon ein Dutzend Leute versucht, ihm einen Gerichtsbefehl zuzustellen. Er hat einen bewaffneten Butler, der ihm jeden Besucher von der Haut halt.«
Jennifer meinte: »Ich kann mir nicht vorstellen, wie ich...« Mr. Peabody junior lehnte sich vor. »Bei dieser Sache steht eine ganze Menge Geld auf dem Spiel. Aber ich kann William Carlisle nicht vor den Kadi zerren, ohne ihm eine Vorladung zu schicken, Mi? Potter.« Jennifer korrigierte ihn nicht. »Glauben Sie, Sie schaffen das?«
Jennifer dachte daran, was sie mit funfhundert Dollar alles anfangen konnte. »Ich werde einen Weg finden.«
Um zwei Uhr nachmittags stand Jennifer vor dem imponierenden Besitz von William Carlisle. Das Haus in der Mitte eines mindestens zehn Morgen umfassenden, sorgfaltig gepflegten Grundstucks hatte auf einer Plantage in Georgia stehen konnen. Eine gewundene Auffahrt endete an der Front des von anmutigen Tannen eingerahmten Hauses. Jennifer hatte lange uber ihr Problem nachgedacht. Da in das Haus nicht hineinzugelangen war, mu?te sie Mr. William Carlisle dazu bringen, da? er herauskam.
Einen halben Block die Stra?e hinunter stand der Kombi einer Gartnerei. Jennifer betrachtete den Kombi einen Moment lang, dann begab sie sich auf die Suche nach den Gartnern. Es waren drei Japaner, und sie arbeiteten hinter dem Kombi. Jennifer ging auf sie zu und fragte: »Wer hat hier zu entscheiden?«
Einer von ihnen richtete sich auf. »Ich.«
»Konnten Sie vielleicht eine kleine Aufgabe fur mich...«, begann Jennifer.
»Nichts zu machen, Mi?. Zuviel Arbeit.« »Es dauert nur funf Minuten.« »Nein, ganz unmoglich...« »Ich zahle Ihnen hundert Dollar.« Die drei Manner starrten sie an. Der Obergartner fragte: »Sie zahlen hundert Dollar fur funf Minuten Arbeit?« »So ist es.« »Was sollen wir tun...?«
Funf Minuten spater rollte der Kombi der Gartnerei in die Auffahrt von William Carlisles Besitz, Jennifer und die drei Gartner stiegen aus. Jennifer blickte sich um, entschied sich fur eine wunderschone Tanne in der Nahe der Eingangstur und sagte: »Grabt sie aus!«
Sie holten ihre Spaten aus dem Wagen und begannen zu graben. Es war noch keine Minute vergangen, da flog die Eingangstur auf, und ein riesiger Mann in einer Butleruniform sturmte heraus.
»Was, zum Teufel, tun Sie da?«
»Long Island Baumschule«, sagte Jennifer kurz. »Wir graben die ganzen Baume aus.« Der Butler starrte sie an. »Was machen Sie?« Jennifer wedelte mit einem Blatt Papier. »Ich habe den Auftrag, die ganzen Baume auszugraben.«
»Das ist unmoglich! Mr. Carlisle wurde einen Anfall kriegen!« Er wandte sich den Gartnern zu. »Aufhoren!«
»Horen Sie, Mister«, sagte Jennifer, »ich tue nur meine Arbeit.« Sie nickte den Gartnern zu. »Grabt weiter, Leute.«
»Nein!« schrie der Butler. »Ich sage Ihnen, das ist ein Mi?verstandnis! Mr. Carlisle hat niemals den Auftrag gegeben, die Baume auszugraben.«
Jennifer zuckte die Achseln und sagte: »Mein Bo? ist anderer Ansicht.«
»Wo kann ich Ihren Bo? erreichen?«
Jennifer blickte auf ihre Uhr. »Er hat in Brooklyn zu tun. Gege n sechs mu?te er wieder im Buro sein.« Der Butler funkelte sie wutend an. »Eine Minute! Tun Sie nichts, bis ich wieder hier bin.«
»Grabt weiter«, sagte Jennifer zu den Gartnern. Der Butler lief ins Haus und schlug die Tur hinter sich zu. Einige Sekunden spater sprang sie wieder auf, und der Butler kehrte zuruck, begleitet von einem kleinen Mann mittleren Alters.
»Wurde es Ihnen etwas ausmachen, mir zu erklaren, was, zum Teufel, hier vorgeht?«
»Was geht Sie das an?« fragte Jennifer. »Ich will Ihnen sagen, was mich das angeht«, schnappte der kleine Mann. »Ich bin William Carlisle, und dies ist zufalligerweise mein Besitz.«
»In diesem Fall, Mr. Carlisle«, sagte Jennifer, »habe ich etwas fur Sie.« Sie griff in die Tasche und druckte ihm die Vorladungen in die Hand. Dann wandte sie sich an die Gartner. »Ihr konnt aufhoren, zu graben.«
Am nachsten Morgen rief Adam Warner an. Jennifer erkannte seine Stimme auf Anhieb.
»Ich dachte, es wurde Sie interessieren«, sagte er, »da? das Ausschlu?verfahren gegen Sie offiziell eingestellt wurde. Sie brauchen sich keine Sorgen mehr zu machen.« Jennifer schlo? die Augen und sprach ein stummes Dankgebet. »Ich... ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie dankbar ich Ihnen bin.«
»Justitia ist nicht immer blind.« Adam sagte kein Wort uber den Krach, den er mit Stewart Needham und