Die Anwaltskanzlei Needham, Finch, Pierce und Warner lag in der Wall Street und umfa?te das gesamte oberste Stockwerk des Gebaudes Nr. 30. Hundertfunfundzwanzig Anwalte arbeiteten fur die Kanzlei. Die Buroraume rochen nach altem Geld und waren mit der ruhigen Eleganz eingerichtet, die einer Firma anstand, die einige der gro?ten Namen in der Industrie vertrat.
Adam Warner und Stewart Needham tranken ihren rituellen Morgentee. Stewart Needham war Ende Sechzig, adrett und in bester Verfassung. Er hatte einen kleinen Van-Dyke-Bart und trug einen Tweedanzug mit Weste. Er sah aus, als gehorte er in eine fruhere Zeit, aber sein Verstand arbeitete, wie Hunderte von Gegnern zu ihrem Leidwesen im Lauf der Jahre hatten erfahren mussen, blendend unter den Gegebenheiten des zwanzigsten Jahrhunderts. Man konnte ihn nur als einen Titan bezeichnen, aber sein Name war lediglich in den Kreisen bekannt, die wirklich zahlten. Er zog es vor, im Hintergrund zu bleiben und seinen betrachtlichen Einflu? in erster Linie dazu zu benutzen, die Gesetzgebung, Berufungen in hohe Regierungsamter und die Innenpolitik zu steuern. Er stammte aus Neuengland und war schon wortkarg erzogen worden. Adam Warner hatte Needhams Nichte Mary Beth geheiratet und wurde von ihm protegiert. Adams Vater war ein angesehener Senator gewesen, er selber hatte sich zu einem brillanten Anwalt entwickelt. Nachdem er die juristische Ausbildung an der Harvarduniversitat magna cum laude abgeschlossen hatte, war er mit Angeboten der angesehensten Kanzleien des Landes uberschuttet worden. Er hatte sich fur Needham, Finch und Pierce entschieden und war sieben Jahre spater als Partner in die Firma aufgenommen worden. Adam sah gut aus, besa? Charme, und seine Intelligenz schien seiner Ausstrahlung eine weitere Dimension zu verleihen. Seine lassige Selbstsicherheit stellte fur jede Frau eine Herausforderung dar. Schon seit langem hatte er ein System entwickelt, sich weibliche Klienten mit ubergro?em amourosen Interesse vom Leib zu halten. Er war seit vierzehn Jahren mit Mary Beth verheiratet und hielt nichts von Seitensprungen. »Noch etwas Tee, Adam?« fragte Stewart Needham. »Nein, danke.« Adam Warner ha?te Tee, und seit acht Jahren trank er ihn nur deshalb jeden Morgen, weil er seinen Partner nicht kranken wollte. Needham kochte das Gebrau selber, und es war schauerlich.
Stewart Needham wollte uber zwei Angelegenheiten sprechen. Es war typisch fur ihn, da? er mit den angenehmen Neuigkeiten begann. »Gestern abend habe ich ein paar alte Freunde getroffen«, sagte er. Alte Freunde war eine Umschreibung fur eine Gruppe der machtigsten Manner des Landes. »Sie erwagen, dich um eine Kandidatur fur den Senat zu bitten, Adam.«
Adam war freudig uberrascht. Da er um Needhams vorsichtige Natur wu?te, war ihm klar, da? das Gesprach mehr als nur zufallig gewesen war.
»Die gro?e Frage ist naturlich, ob es dich uberhaupt interessiert. Es wurde einige Umstellungen fur dich bedeuten.« Adam Warner wu?te das. Gewann er die Wahl, wurde er nach Washington D. C. ziehen, seine Anwaltstatigkeit aufgeben und ein vollig neues Leben beginnen mussen. Mary Beth wurde es sicher genie?en; ob es auch ihm gefallen wurde, war Adam nicht ganz klar. Trotzdem, er war in dem Bewu?tsein erzogen worden, Verantwortung zu ubernehmen. Au?erdem mu?te er zugeben, da? Macht ihm eine gewisse Genugtuung bedeutete.
»Ich ware sehr interessiert, Stewart.«
Stewart Needham nickte zufrieden. »Gut, sie werden sich freuen, das zu horen.« Er schenkte sich eine weitere Tasse des scha uerlichen Gebraus ein und brachte nebenbei das Gesprach auf die andere Sache, die ihn beschaftigte. »Der Disziplinarausschu? der Anwaltskammer mochte, da? du eine kleine Geschichte fur sie regelst, Adam. Es sollte dich nicht mehr als eine oder zwei Stunden kosten.«
»Worum geht es?«
»Es handelt sich um diesen Moretti-Proze?. Anscheinend hat jemand einen von Bobby Di Silvas jungen Assistenten bestochen.«
»Ich habe davon gelesen. Der Kanarienvogel.«
»Genau. Richter Waldman und Bobby mochten ihren Namen aus der Liste unseres ehrenwerten Berufsstands getilgt haben. Ich ebenfalls. Er stinkt.«
»Was soll ich tun?«
»Nur eine schnelle Uberprufung der Sachlage, nachweisen, da? dieses Madchen Parker sich illegal oder unethisch verhalten hat, und ihren Ausschlu? empfehlen. Sie wird eine Aufforderung erhalten, ihre Grunde anzugeben, und den Rest erledigen die dann. Nur eine Routineangelegenheit.« Adam war verwirrt. »Warum ich, Stewart? Wir haben ein paar Dutzend junger Anwalte hier, die das ubernehmen konnten.«
»Unser geschatzter Staatsanwalt hat speziell um dich gebeten. Er will sicher sein, da? nichts schieflauft. Wie wir beide wissen«, fugte er trocken hinzu, »ist Bobby nicht gerade der nachsichtigste Mann der Welt. Er mochte den Skalp der Parker an seiner Wand hangen sehen.« Adam dachte an seinen vollen Terminkalender. »Wir konnen nicht wissen, wann wir das nachstemal einen Gefallen vom Staatsanwaltsburo brauchen konnen, Adam. Quid pro quo, eine Hand wascht die andere.«
»In Ordnung, Stewart.« Adam stand auf. »Du mochtest bestimmt keinen Tee mehr?«
»Nein, danke. Er war wie immer sehr gut.« Als Adam wieder in seinem Buro war, klingelte er nach seiner Assistentin Lucinda, einer intelligenten jungen Schwarzen. »Cindy, ich brauche alle Informationen uber eine Anwaltin namens Jennifer Parker.«
Sie grinste und sagte: »Der gelbe Kanarienvogel.« Jeder wu?te Bescheid.
Am spaten Nachmittag studierte Adam Warner die Abschrift der Verhandlung im Fall Das Volk von New York gegen Michael Moretti. Robert Di Silva hatte es ihm durch einen Kurier ubermitteln lassen. Erst weit nach Mitternacht war Adam damit fertig. Er hatte Mary Beth gebeten, ohne ihn zu einer Dinnerparty zu gehen, zu der sie beide eingeladen waren, und sich ein paar Sandwiches bringen lassen. Nach der Lekture gab es fur Adam keinen Zweifel, da? Michael Moretti von der Jury fur schuldig befunden worden ware, wenn das Schicksal nicht in Gestalt von Jennifer Parker interveniert hatte. Di Silva hatte die Anklage makellos vertreten.
Adam wandte sich zu der Abschrift des Verhors, das spater in Richter Waldmans Raumen stattgefunden hatte.
Di Silva: Sie haben das College absolviert?
Parker: Ja, Sir.
Di Silva: Und die Universitat?
Parker: Ja, Sir.
Di Silva: Und ein Fremder ubergibt Ihnen ein Paket und bittet Sie, es dem Schlusselzeugen in einem Mordproze? zu ubergeben, und Sie tun es auch prompt? Wurden Sie mir nicht beipflichten, wenn ich sage, da? dies die Grenzen der Dummheit weit uberschreitet?
Parker: So ist es nicht passiert.
Di Silva: Das haben Sie aber behauptet.
Parker: Ich meine, ich hielt ihn nicht fur einen Fremden. Ich dachte, er gehore zu Ihrem Stab.
Di Silva: Und wie sind Sie darauf gekommen?
Parker: Wie ich Ihnen schon sagte, ich sah ihn mit Ihnen sprechen, und dann kam er zu mir mit diesem Umschlag, und er nannte meinen Namen und sagte, Sie wollten, da? ich ihn dem Zeugen brachte. Es geschah alles so schnell...
Di Silva: Ich glaube nicht, da? alles so schnell ging. Ich glaube eher, da? es eine ganze Zeit gedauert hat, alles einzufadeln. Und es dauerte seine Zeit, die Frage Ihrer Bezahlung dafur zu regeln, da? Sie...
Parker: Das ist nicht wahr.
Di Silva: Was ist nicht wahr? Da? Sie nicht wu?ten, da? Sie den Umschlag ubergaben?
Parker: Ich wu?te nicht, was darin war. Di Silva: Also stimmt es, da? jemand Sie bezahlt hat. Parker: Ich lasse mir von Ihnen nicht die Worte im Mund herumdrehen. Niemand hat mir irgend etwas bezahlt. Di Silva: Sie haben es als Gefallen getan?
Parker: Nein. Ich dachte, ich handelte nach Ihren Anweisungen.
Di Silva: Sie haben gesagt, der Mann hat Sie mit Ihrem Namen angesprochen?
Parker: Ja.
Di Silva: Woher kannte er den?
Parker: Ich wei? nicht.
Di Silva: Na, horen Sie, Sie mussen doch irgendwelche Vorstellungen haben. Vielleicht hat er blo? geraten? Vielleicht hat er sich im Gerichtssaal umgesehen und gedacht, da ist jemand, der sieht aus, als konnte er Jennifer Parker hei?en. Glauben Sie, so konnte es gewesen sein?