bitte Ihren Ausweis sehen? Der Mann erschrak und sturzte davon.
Ein Mann loste sich aus der Gruppe um Di Silva und kam an ihren Tisch. Er hielt einen Manilaumschlag in der Hand. Mi? Parker? Ja?
Der Chef mochte, da? Sie das zu Stela bringen. Er reichte ihr den Umschlag. Sie offnete ihn und entdeckte den toten Kanarienvogel. Ich verhafte Sie!
Ein Mann loste sich aus der Gruppe um Di Silva und naherte sich ihrem Tisch. Er hielt einen Manilaumschlag in der Hand. Er ging an ihr vorbei zu einem anderen jungen Assistenzanwalt und ubergab ihm den Umschlag. Der Chef mochte, da? Sie das zu Stela bringen.
Sie konnte die Szene umschreiben, so oft sie wollte, an den Tatsachen anderte es nichts. Ein einziger Fehler hatte ihr Leben zerstort. Andererseits - wer sagte, da? es wirklich zerstort war? Die Presse? Di Silva? Noch war sie nicht ausgeschlossen, und bis das geschah, war sie immer noch Anwaltin. Sie dachte an die ganzen Kanzleien, die ihr einmal Angebote gemacht hatten.
Sobald sie wieder zu Hause war, forderte Jennifer die Liste mit den Firmen zutage, bei denen sie sich vorgestellt hatte. Am nachsten Morgen begann sie zu telefonieren. Aber keiner der Manner war zu sprechen, und keiner rief zuruck. Nach vier Tagen hatte sie endlich begriffen, da? sie ein Paria ihrer Zunft war. Der Staub, den der Moretti-Fall aufwirbelte, hatte sich wieder gelegt, aber jeder erinnerte sich noch daran. Jennifer horte nicht auf, mogliche Arbeitgeber anzurufen, und aus ihrer Verzweiflung wurde Emporung, dann Niedergeschlagenheit und schlie?lich wieder Verzweiflung. Sie uberlegte, was sie mit dem Rest ihres Lebens anfangen sollte, aber sie drehte sich im Kreis. Sie wollte Rechtsanwaltin sein und sonst nichts. Und sie war Anwaltin, und, bei Gott, sie wurde diesen Beruf auch ausuben, bis man es ihr verbot. Als nachstes stellte sie sich personlich bei den Anwaltspraxen und Kanzleien in Manhattan vor. Sie tauchte unangemeldet auf, nannte am Empfang ihren Namen und verlangte, einen der Seniorpartner zu sprechen. Gelegentlich wurde sie sogar vorgelassen, aber sie hatte das Gefuhl, da? es mehr aus Neugier geschah. Sie war ein Monster, und man wollte sehen, wie sie in natura war. Aber meistens wurde ihr lediglich bedeutet, die Kanzlei sei komplett.
Nach sechs Wochen ging Jennifers Geld zu Ende. Sie ware ja in ein billigeres Appartement umgezogen, nur gab es keine noch billigeren. Sie lie? Fruhstuck und Mittagessen aus, und ihr Abendessen nahm sie nur noch in einem kleinen Eckimbi? ein, wo das Essen zwar schlecht, die Preise aber gut waren. Sie entdeckte Lokale, wo sie eine ganze Mahlzeit fur eine bescheidene Summe bekam - so viel Salat, wie sie essen, so viel Bier, wie sie trinken konnte. Jennifer konnte Bier nicht ausstehen, aber es machte satt.
Nachdem sie die Liste der gro?en Anwaltspraxen durchgegangen war, bewaffnete sie sich mit einer Aufstellung der kleineren und rief diese ebenfalls an, aber ihr Ruf war ihr sogar dorthin vorausgeeilt. Sie erhielt einen Haufen Antrage von den verschiedensten Mannern, aber keinen Job. Gut, sagte sie sich schlie?lich, wenn mich niemand anstellen will, eroffne ich meine eigene Praxis. Der Haken war blo?, da? sie dafur Geld brauchte. Mindestens zehntausend Dollar, fur Miete, Telefon, eine Sekretarin, Gesetzbucher, einen Schreibtisch, Stuhle und Buromaterial. Zur Zeit hatte sie sich nicht einmal die Briefmarken leisten konnen.
Sie hatte auf ihr Gehalt vom Staatsanwaltsburo gezahlt, aber damit konnte sie jetzt naturlich nicht mehr rechnen. Eine Abfindung brauchte sie ebenfalls nicht zu erhoffen. Wenn jemand enthauptet wird, erhalt er ja auch keine Entschadigung. Nein, es war ihr einfach nicht moglich, eine eigene Praxis zu eroffnen, nicht einmal eine kleine. Die einzige Losung war ein gemeinsames Buro mit jemand anderem. Jennifer kaufte die New York Times und ging die Anzeigen durch. Am Ende der letzten Spalte entdeckte sie schlie?lich eine Zeile, die lautete: Gesucht: Dritter Mann fur kleine Burogemeinschaft. Geringe Restmiete. Die beiden letzten Worte gefielen Jennifer au?erordentlich gut. Sie war zwar kein Mann, aber bei einer Burogemeinschaft spielte das Geschlecht ja auch keine Rolle. Sie ri? die Anzeige heraus und fuhr mit der U-Bahn zur angegebenen Adresse.
Es war ein verwahrlostes, baufalliges Gebaude am unteren Broadway. Das Buro lag im zehnten Stock, und auf dem abblatternden Schild an der Tur stand:
KENNETH BAILEY AUSKUNFTEI
Und darunter:
ROCKEFELLER INKASSOBURO
Jennifer holte rief Luft, stie? die Tur auf und trat ein. Ihr erster Schritt brachte sie in die Mitte eines kleinen, fens terlosen Buros. In den Raum hatte man drei wackelige Tische und Stuhle gezwangt. Zwei davon waren besetzt.
An einem der Tische sa? ein kahlkopfiger, schabig gekleideter Mann mittleren Alters uber einen Stapel Papiere gebeugt. An einem zweiten Tisch an der gegenuberliegenden Wand arbeitete ein zweiter Mann, den Jennifer auf Anfang Drei?ig schatzte. Er hatte ziegelrotes Haar und leuchtendblaue Augen. Seine Haut war bla? und mit Sommersprossen ubersat. Er trug hautenge Jeans, ein T-Shirt und wei?e Tennisschuhe ohne Socken. Er telefonierte.
»Keine Sorge, Mrs. Desser, zwei meiner besten Leute arbeiten an Ihrem Fall. Wir rechnen jeden Tag mit Informationen uber Ihren Mann. Allerdings mu?te ich Sie um einen weiteren kleinen Spesenvorschu? bitten... Nein, Sie brauchen es mir nicht zu schicken. Sie wissen ja, wie das mit der Post ist. Ich habe heute nachmittag in Ihrer Nahe zu tun. Ich schaue kurz bei Ihnen vorbei und hole es ab.« Er legte den Horer auf und bemerkte Jennifer. Er stand auf, lachelte und streckte ihr eine kraftige Hand entgegen. »Ich bin Kenneth Bailey. Was kann ich an diesem schonen Tag fur Sie tun?«
Jennifer blickte sich in dem kleinen, stickigen Raum um und sagte unsicher: »Ich - ich bin wegen Ihrer Anzeige hier.«
»Oh.« Die blauen Augen wirkten erstaunt. Der kahlkopfige Mann starrte Jennifer an. Kenneth Bailey stellte ihn vor: »Das ist Otto Wenzel, das Rockefeller Inkassoburo.«
Jennifer nickte. »Hallo.« Dann wandte sie sich wieder Kenneth Bailey zu. »Und Sie sind die Auskunftei Bailey?«
»Richtig. Und was tun Sie?«
»Ich? Oh, ich bin Anwaltin.«
Kenneth Bailey betrachtete sie skeptisch. »Und Sie wollen hier ein Buro eroffnen?«
Jennifer musterte noch einmal den trostlosen Raum und sah sich selber zwischen diesen beiden Mannern an dem dritten Tisch sitzen. »Vielleicht sollte ich noch ein bi?chen weitersuchen«, meinte sie. »Ich bin nicht sicher...«
»Die Miete wurde nur neunzig Dollar im Monat betragen.«
»Fur neunzig Dollar im Monat konnte ich das ganze Haus kaufen«, gab Jennifer zuruck und wandte sich zum Gehen. »Warten Sie einen Moment.« Jennifer blieb stehen.
Kenneth Bailey rieb sich das bleiche Kinn. »Ich mache Ihnen einen Vorschlag - sechzig! Wenn Ihr Geschaft angelaufen ist, sprechen wir uber eine Erhohung, okay?« Es war wirklich ein Vorschlag. Jennifer wu?te, da? sie nirgendwo anders einen Raum fur diesen Betrag finden wurde. Andererseits sah sie keine Moglichkeit, jemals einen Mandanten in dieses Loch zu locken. Und dann gab es noch einen weiteren Punkt, der sie beschaftigte. Sie hatte die sechzig Dollar nicht. »Ich nehme es«, sagte sie.
»Sie werden es nicht bereuen«, versprach Kenneth Bailey. »Wann wollen Sie Ihre Sachen herbringen?«
»Die sind schon da.«
Kenneth Bailey malte ihr Geschaftsschild selber auf die Tur. JENNIFER PARKER RECHTSANWALT
Jennifer betrachtete das Schild mit gemischten Gefuhlen. Selbst in ihren dunkelsten Stunden hatte sie sich ihren Namen nicht unter denen eines Privatdetektivs und eines Geldeintreibers gesehen. Und doch, wenn sie sich das leicht gebogene Schild ansah, konnte sie einem Gefuhl des Stolzes nicht widerstehen. Sie war Anwaltin. Das Schild bewies es.
Jetzt, wo Jennifer einen Buroraum hatte, fehlten ihr nur noch Mandanten.
Zur Zeit konnte sie sich nicht einmal mehr die Eckkneipe leisten. Ihr Fruhstuck bestand aus Toast und Kaffee, zubereitet auf einer Warmplatte, die sie auf den Heizkorper in dem winzigen Badezimmer gestellt hatte. Auf das Mittagessen verzichtete sie ganz, und das Abendessen verlegte sie in das »Zum Zum«, wo es vorzugsweise gro?e Wurstscheiben, Brotschwarten und hei?en Kartoffelsalat gab. Um Punkt neun Uhr morgens lie? sie sich an ihrem Schreibtisch nieder, aber ihre einzige Tatigkeit bestand darin, Ken Bailey und Otto Wenzel beim Telefonieren zuzuhoren. Ken Baileys Falle bestanden in erster Linie aus verschwundenen Ehemannern oder Kindern, und am Anfang war Jennifer davon uberzeugt, da? er ein Betruger war, der hauptsachlich Versprechungen machte und dafur hohe Vorschusse kassierte. Aber sie merkte schnell, da? Bailey hart arbeitete