»Also ist es nach Ihrer gro?en Erfahrung durchaus moglich, nicht wahr, da? Abraham Wilson tatsachlich sein Leben verteidigt hat, als er Raymond Thorpe totete?«
»Ich glaube nicht, da?...«
»Ich habe gefragt, ob die Moglichkeit besteht. Ja oder nein?« »Es ist au?erst unwahrscheinlich«, sagte Patterson verstockt. Jennifer wandte sich an Richter Waldman. »Euer Ehren, wurden Sie den Zeugen bitte auffordern, die Frage zu beantworten?«
Richter Waldman sah zu Howard Patterson hinunter. »Der Zeuge soll die Frage beantworten.«
»Ja«, sagte Patterson, aber die Tatsache, da? seine ganze Haltung nein bedeutete, war den Geschworenen nicht verborgen geblieben.
Jennifer fuhr fort: »Wenn das Gericht gestattet, ich habe den Zeugen unter Strafandrohung aufgefordert, einiges Material mitzubringen, das ich nun als Beweisstuck registrieren lassen mochte.«
Staatsanwalt Di Silva erhob sich: »Was fur Material?«
»Beweismaterial, das unsere Behauptung der Selbstverteidigung untermauern wird.«
»Einspruch, Euer Ehren.«
»Wogegen erheben Sie Einspruch?« fragte Jennifer. »Sie haben es noch gar nicht gesehen.«
Richter Waldman sagte: »Das Gericht wird seine Entscheidung zuruckstellen, bis es das Beweismaterial gesehen hat. Es geht um das Leben eines Mannes. Der Angeklagte hat einen Anspruch auf Berucksichtigung jedes moglichen Aspekts.«
»Danke, Euer Ehren.« Jennifer blickte Howard Patterson an. »Haben Sie das Material mitgebracht?« fragte sie. Er nickte mit schmalen Lippen. »Ja. Aber ich habe es unter Protest getan.«
»Ich glaube, Sie haben das ausreichend klargemacht, Mr. Patterson. Konnte ich es jetzt bitte haben?« Howard Patterson blickte zum Zuschauerraum hinuber, wo ein Mann in der Uniform eines Gefangniswarters sa?. Er nickte ihm zu. Der Warter stand auf und kam nach vorn. Er trug einen verschlossenen Holzkasten. Jennifer ubernahm ihn von dem Beamten. »Die Verteidigung mochte dies als Beweisstuck A registrieren lassen, Euer Ehren.«
»Um was handelt es sich?« wollte Staatsanwalt Di Silva wissen.
»Im Gefangnis wird es Bonbondose genannt.« Im Zuschauerraum erklang Gekicher.
Richter Waldman starrte Jennifer an und fragte langsam: »Sagten Sie Bonbondose? Was befindet sich in dem Kasten, Mi? Parker?«
»Waffen. Waffen, die von den Haftlingen in Sing Sing in der Absicht hergestellt wurden...«
»Einspruch!« Der Staatsanwalt war auf den Beinen, seine Stimme ein Schrei. Er sturmte zur Richterbank. »Ich bin bereit, Rucksicht auf die Unerfahrenheit meiner Kollegin zu nehmen, Euer Ehren, aber wenn Sie beabsichtigt, Strafrecht zu praktizieren, dann wurde ich vorschlagen, da? sie die Grundregeln der Beweisfuhrung studiert. Es gibt keinen Beweis dafur, da? irgend etwas in dieser sogenannten Bonbondose in Verbindung mit dem Fall steht, der vor diesem Gericht verhandelt wird.«
»Dieser Kasten beweist...«
»Er beweist gar nichts.« Der Staatsanwalt wandte sich an Richter Waldman. »Der Staat erhebt Einspruch gegen die Einfuhrung dieses Beweisstucks. Es ist unerheblich und belanglos.«
»Stattgegeben.«
Und Jennifer stand da und sah ihren Fall in sich zusammenbrechen. Alles war gegen sie: der Richter, die Jury, Di Silva, die Zeugenaussagen. Ihr Mandant wurde auf den elektrischen Stuhl geschickt werden, es sei denn... Sie holte tief Luft. »Euer Ehren, dieses Beweisstuck ist absolut wichtig fur unsere Verteidigung. Ich will -« Richter Waldman unterbrach sie. »Mi? Parker, dieses Gericht hat weder die Zeit noch die Lust, Ihnen das Gesetz zu erklaren, aber der Staatsanwalt hat recht. Bevor Sie diesen Verhandlungssaal betreten haben, hatten Sie sich mit den Grundregeln der Beweisfuhrung vertraut machen sollen. Die erste Regel ist, da? man kein Beweismaterial einfuhren kann, fur das der Boden nicht vorbereitet worden ist. Niemand hat bisher eine ma?gebliche Au?erung daruber gemacht, ob der Getotete bewaffnet oder unbewaffnet war. Daher ist die Frage der Waffen unbedeutend. Das Gericht weist Ihr Ansinnen zuruck!«
Das Blut scho? Jennifer ins Gesicht. »Entschuldigen Sie«, sagte sie hartnackig, »aber die Frage ist nicht unbedeutend.«
»Das reicht! Sie konnen schriftlich einen Einwand vorlegen.«
»Ich will keinen Einspruch einlegen, Euer Ehren. Sie leugnen die Rechte meines Mandanten!«
»Mi? Parker, wenn Sie nur einen Schritt weitergehen, werde ich Sie wegen Mi?achtung des Gerichts belangen.«
»Es ist mir egal, was Sie mit mir tun«, sagte Jennifer. »Der Boden ist sehr wohl fur die Einfuhrung meines Beweismaterials vorbereitet worden. Der Staatsanwalt selber hat dafur gesorgt.«
Di Silva rief: »Was? Ich habe nie...«
Jennifer drehte sich zum Gerichtsstenografen um. »Wurden Sie bitte Mr. Di Silvas Darlegung vorlesen, angefangen mit ›Wir werden wahrscheinlich nie erfahren, was Abraham Wilson dazu veranla?te...‹?«
Der Staatsanwalt blickte zu Richter Waldman hoch. »Euer Ehren, wollen Sie wirklich erlauben, da?...?« Richter Waldman hob die Hand. Er wandte sich an Jennifer. »Dieses Gericht hat es nicht notig, sich von Ihnen uber das Gesetz belehren zu lassen, Mi? Parker. Wenn diese Verhandlung zu Ende ist, werden Sie wegen Mi?achtung des Gerichts bestraft. Da es sich hier aber um einen wichtigen Fall handelt, will ich Ihnen Ihre Ausfuhrungen gestatten.« Er blickte den Gerichtsstenografen an. »Sie konnen fortfahren.« Der Mann blatterte zuruck und begann zu lesen. »Wir werden wahrscheinlich nie erfahren, was Abraham Wilson dazu veranla?te, diesen harmlosen, unbewaffneten kleinen Mann anzugreifen...«
»Das reicht«, unterbrach Jennifer ihn. »Danke.« Sie blickte Di Silva an und sagte langsam: »Das waren Ihre Worte, Mr. Di Silva. Wir werden wahrscheinlich nie erfahren, was Abraham Wilson dazu veranlagte, diesen harmlosen, unbewaffneten kleinen Mann anzugreifen...« Sie wandte sich an Richter Waldman. »Das Schlusselwort, Euer Ehren, ist unbewaffnet. Da der Staatsanwalt selber der Jury erklart hat, das Opfer sei unbewaffnet gewesen, hat er uns die Tur geoffnet, der Tatsache nachzugehen, da? das Opfer vielleicht nicht ohne Verteidigung war, da? es tatsachlich vielleicht sogar eine Waffe hatte. Was im direkten Verhor zur Sprache gebracht wird, ist auch im Kreuzverhor zulassig.«
Ein langes Schweigen folgte. Dann wandte Richter Waldman sich an Robert Di Silva. »Mi? Parkers Standpunkt ist rechtma?ig. Sie selber haben ihr die Tur geoffnet.« Robert Di Silva erwiderte seinen Blick unglaubig. »Aber ich habe nur...«
»Das Gericht erlaubt die Einfuhrung des Materials als Beweisstuck A.«
Jennifer atmete erleichtert auf. »Danke, Euer Ehren.« Sie ergriff den verschlossenen Kasten, hielt ihn erhoben in ihren Handen und wandte sich der Jury zu. »Meine Damen und Herren Geschworenen, der Staatsanwalt wird Ihnen in seinem Schlu?pladoyer erklaren, da? das, was Sie in diesem Kasten sehen werden, kein direktes Beweismaterial ist. Damit hat er recht. Er wird Ihnen erklaren, da? es nicht erwiesen ist, da? irgendeine dieser Waffen mit dem Toten in Verbindung gebracht werden kann. Auch damit hat er recht. Ich lege dieses Beweisstuck aus einem anderen Grund vor. Seit Tagen haben Sie gehort, wie der grausame, sadistische Angeklagte, der beinahe zwei Meter gro? ist, willkurlich einen Mann angegriffen hat, der kaum einen Meter sechzig gro? ist. Die Anklage hat au?erst sorgfaltig und au?erst falsch das Bild eines unbarmherzigen, blutdurstigen Monsters gezeichnet, das grundlos einen anderen Insassen des Gefangnisses angegriffen hat. Aber fragen Sie sich einmal selber: Gibt es nicht immer irgendein Motiv? Gier, Ha?, Lust, was auch immer? Ich glaube -und ich setze das Leben meines Mandanten darauf -, da? es ein Motiv fur Thorpes Tod gab. Und zwar das einzige Motiv, wie der Staatsanwalt selber Ihnen erklart hat, das den Tod eines anderen Menschen rechtfertigt: Selbstverteidigung. Ein Mann hat um sein eigenes Leben gekampft. Sie haben gehort, wie Howard Patterson ausgesagt hat, da? in seiner Praxis Morde in Gefangnissen vorgefallen sind, da? die Haftlinge tatsachlich todliche Waffen anfertigen. Das bedeutet, da? es moglich ist, da? Raymond Thorpe mit einer solchen Waffe versehen war, da? sogar ein Mann wie er den Angeklagten angegriffen haben kann, und der Angeklagte, bemuht, sein Leben zu schutzen, war gezwungen, ihn zu toten - Selbstverteidigung. Wenn Sie entscheiden, da? Abraham Wilson Raymond Thorpe bosartig und ohne jedes Motiv umgebracht hat, dann mussen Sie ihn, der Anklage entsprechend, schuldig sprechen. Wenn Sie aber auch nur den geringsten Zweifel haben, nachdem Sie einen Blick auf dieses Beweismaterial geworfen haben, dann ist es Ihre Pflicht, ihn als nicht schuldig im Sinne der Anklage zu bezeichnen.« Der verschlossene Kasten wurde allmahlich schwer in ihren Handen. »Als ich das erste Mal in diese Kiste blickte, habe ich meinen Augen nicht getraut. Auch Ihnen konnte es unglaublich erscheinen, aber ich bitte