auf dem man daruber diskutiert hatte, was mit ihm geschehen solle. »Es gefallt mir nicht, mit ansehen zu mussen, wie der Kleine soviel von unserem Geld einsteckt«, hatte Granelli gesagt. »Wir sollten ihn loswerden.«
Michael war diesen Plan umgangen, indem er in die Familie eingeheiratet hatte. Rosa, Antonio Granellis einzige Tochter, war neunzehn Jahre alt. Ihre Mutter war bei ihrer Geburt gestorben, und Rosa war in einem Kloster aufgezogen worden und nur wahrend der Ferien nach Hause gekommen. Ihr Vater vergotterte sie, und er achtete darauf, da? sie beschutzt und abgeschirmt wurde. Wahrend der Osterferien hatte Rosa Michael Moretti getroffen. Als sie wieder ins Kloster zuruckkehrte, war sie bis uber beide Ohren verliebt in ihn. Die Erinnerung an seine dustere Schonheit trieb sie in der Einsamkeit ihres Zimmers zu Taten, die die Nonnen immer als Sunden gegen Gott bezeichnet hatten.
Antonio Granelli lebte in dem Irrglauben, seine Tochter halte ihn fur nichts weiter als einen erfolgreichen Geschaftsmann, aber im Lauf der Jahre hatten Klassenkameradinnen Rosa Zeitungsartikel und Magazinbeitrage uber ihren Vater und seine wirklichen Geschafte gezeigt, und wann immer die Behorden versuchten, ein Mitglied der Granelli-Familie unter Anklage zu stellen und zu verurteilen, war Rosa auf dem laufenden. Mit ihrem Vater sprach sie niemals daruber, und so blieb er in dem glucklichen Glauben, seine Tochter sei unschuldig, der Schock, die Wahrheit zu erfahren, bleibe ihr erspart. Hatte er die Wahrheit erfahren, ware Granelli mehr als erstaunt gewesen, denn Rosa fand die Geschafte ihres Vaters furchtbar aufregend. Sie ha?te die Disziplin des Nonnenklosters, und daher ha?te sie bald jede Form von Autoritat. Sie stellte sich ihren Vater als eine Art Robin Hood vor, der die Behorden herausforderte und die Machtigen in die Schranken wies. Die Tatsache, da? Michael Moretti ein wichtiger Mann in der Organisation ihres Vaters war, lie? ihn noch erregender auf sie wirken.
Von Anfang an war Michael sehr vorsichtig im Umgang mit Rosa. Wenn es ihm gelang, mit ihr allein zu sein, tauschten sie gluhende Kusse und Umarmungen aus, aber er lie? es nie zu weit kommen. Rosa war Jungfrau, und nichts hatte sie lieber getan, als sich dem Mann, den sie liebte, hinzugeben. Es war Michael, der die Bremse zog.
»Ich empfinde zu tiefen Respekt fur dich, Rosa, um vor unserer Hochzeit mit dir ins Bett zu gehen.« In Wirklichkeit war es Antonio Granelli, den er respektierte. Er wurde mir die Eier abhacken, dachte er. Und so geschah es, da? zum gleichen Zeitpunkt, als Antonio Granelli uber die beste Moglichkeit, Michael loszuwerden, nachdachte, Rosa und Michael erklarten, sie seien ineinander verliebt und wollten heiraten. Der alte Mann schrie und tobte und nannte hundert Grunde, warum das nur uber jemandes Leiche passieren wurde. Aber am Ende siegte die wahre Liebe, und Michael und Rosa feierten eine prunkvolle Hochzeit. Nach der Hochzeit hatte der alte Mann Michael beiseite genommen. »Rosa ist alles, was ich habe, Michael. Du wirst gut zu ihr sein, nicht?«
»Das werde ich, Tony.«
»Ich lasse dich nicht aus den Augen. Du tatest gut daran, sie glucklich zu machen. Du verstehst, was ich sagen will, Mike?«
»Ich wei?, was du meinst.«
»Keine Nutten, keine Flittchen, verstanden? Rosa kocht gern. Achte darauf, jeden Abend zum Essen zu Hause zu sein. Du wirst ein Musterschwiegersohn sein, auf den man stolz sein kann.«
»Ich werde mein Bestes tun, Tony.«
Nebenbei hatte Antonio Granelli noch gesagt: »Ach, wo wir gerade dabei sind, Mike - jetzt bist du Mitglied der Familie, und wir sollten vielleicht deinen Anteil andern...« Michael hatte ihm auf die Schulter geklopft. »Danke, Papa, aber es ist genug fur uns beide. Ich werde Rosa alles kaufen konnen, was sie haben mochte.« Und er war gegangen, wahrend der alte Mann ihm sprachlos nachstarrte.
Das war sieben Jahre her, und die folgenden Jahre waren fur Michael phantastisch gewesen. Rosa vergotterte ihn, und es lie? sich angenehm und leicht mit ihr leben, aber Michael wu?te, da? er es uberleben wurde, wenn sie ihn verlie?e oder sturbe. Er wurde einfach jemand anderen finden, der Rosas Stelle einnehmen konnte. Er liebte sie nicht. Er glaubte nicht einmal, da? er fahig war, uberhaupt ein menschliches Wesen lieben zu konnen; es schien, als fehlte etwas in ihm. Er brachte Menschen keine Gefuhle entgegen, nur Tieren. Zu seinem zehnten Geburtstag hatte er einen Colliewelpen geschenkt bekommen. Der Hund und er waren unzertrennlich. Sechs Wochen spater war das Tier bei einem Unfall mit Fahrerflucht getotet worden, und als sein Vater Michael anbot, ihm einen anderen Hund zu kaufen, hatte Michael den Kopf geschuttelt. Danach hatte er nie wieder einen Hund besessen. In seiner Jugend war Michael Zeuge gewesen, wie sich sein Vater fur ein paar Pennies zu Tode gerackert hatte, und er hatte beschlossen, da? es ihm nie so gehen wurde. Von dem Zeitpunkt an, da er zum erstenmal von seinem beruhmten Verwandten Antonio Granelli gehort hatte, wu?te er, was er wollte. Es gab sechsundzwanzig MafiaFamilien in den Vereinigten Staaten, davon funf in New York, und die seines Cousins Antonio war die machtigste. Von fruhester Kindheit an waren Geschichten uber die Mafia fur ihn wie ein warmer Schauer fur eine Blume gewesen. Sein Vater hatte ihm von der Nacht der Sizilianischen Vesper am 10. September 1931 erzahlt, als die Macht in andere Hande gelangt war. In dieser einzigen Nacht hatten die Jungturken eine blutige Revolte inszeniert und dabei mehr als vierzig Mustache Petes ausgerottet - die ganze alte Garde, die noch aus Italien und Sizilien eingewandert war.
Michael gehorte zur neuen Generation. Er hatte das alte Gedankengut abgeschuttelt und frische Ideen entwickelt. Eine nationale Kommission von neun Mannern kontrollierte inzwischen alle Familien, und Michael wu?te, da? er diese Kommission eines Tages in der Tasche haben wurde.
Er studierte die beiden Manner, die mit ihm am E?zimmertisch sa?en. Antonio Granelli wurde noch ein paar Jahre zu leben haben, aber, mit etwas Gluck, nicht mehr allzu viele. Der eigentliche Feind war Thomas Colfax. Der Anwalt war von Anbeginn gegen Michael gewesen. Im gleichen Verhaltnis, in dem Michaels Einflu? bei dem Alten gewachsen war, hatte der von Colfax abgenommen.
Michael hatte mehr und mehr von seinen eigenen Mannern in die Organisation gebracht, Manner wie Nick Vito, Salvatore Fiore und Joseph Colella, die ihm treu ergeben waren. Thomas Colfax war davon nicht begeistert. Als Michael wegen der Morde an den Brudern Ramos unter Anklage gestellt wurde und Camillo Stela sich als Zeuge zur Verfugung stellte, hatte der Anwalt geglaubt, Michael endlich loszuwerden, denn der Fall des Staatsanwalts war wasserdicht. Aber Michael hatte mitten in der Nacht einen Weg aus der Falle gefunden. Um vier Uhr morgens war er zu einer Telefonzelle gegangen und hatte Joseph Colella angerufen. »In der nachsten Woche werden einige frischgebackene Anwalte im Buro des Staatsanwalts vereidigt. Kannst du mir ihre Namen besorgen?«
»Sicher, Mike. Leicht.«
»Noch was: Ruf Detroit an und sorg dafur, da? sie ein Schneewittchen einfliegen - einen ihrer Jungs, der noch nie festgenagelt worden ist.« Und Michael hangte auf.
Und dann hatte Michael Moretti im Gerichtssaal gesessen und die neuen Assistenten des Staatsanwalts beobachtet. Er sah sich jeden genau an, seine Augen wanderten von Gesicht zu Gesicht, suchten und beurteilten. Was er vorhatte, war gefahrlich, aber gerade, weil es so gewagt war, konnte es funktionieren. Er hatte es mit Anfangern zu tun, die zu nervos sein wurden, um viele Fragen zu stellen; im Gegenteil, sie wurden begierig sein, zu helfen und hervorzustechen. Nun, einer von ihnen wurde hervorstechen.
Michael hatte sich schlie?lich fur Jennifer Parker entschieden. Es gefiel ihm, da? sie unerfahren und gespannt war und da? sie es zu verbergen suchte. Es gefiel ihm, da? sie eine Frau war und sich starkerem Druck ausgesetzt fuhlte als Manner. Als Michael seine Entscheidung getroffen hatte, drehte er sich zu einem Mann im grauen Anzug im Publikum um und deutete mit einem Kopfnicken auf Jennifer. Das war alles. Michael beobachtete, wie der Staatsanwalt sein Verhor des Hurensohns Camillo Stela zu Ende fuhrte. Di Silva wandte sich an Thomas Colfax und sagte: Ihr Zeuge. Thomas Colfax stand auf. Wenn Sie gestatten, Euer Ehren, es ist jetzt fast Mittag. Ich wurde mein Kreuzverhor gern ohne Unterbrechung durchfuhren. Darf ich vorschlagen, da? das Gericht sich jetzt zuruckzieht und ich mein Kreuzverhor am Nachmittag durchfuhre? Die Verhandlung war unterbrochen worden. Jetzt oder nie! Michael sah, da? sein Mann sich wie zufallig zu den Leuten gesellte, die den Staatsanwalt umgaben. Er fugte sich in die Gruppe ein. Einige Sekunden spater ging er zu Jennifer und uberreichte ihr einen gro?en Umschlag. Michael sa? bewegungslos und hielt den Atem an, versuchte Jennifer mit aller Willenskraft dazu zu bringen, da? sie den Umschlag nahm und zum Raum des Zeugen ging. Es funktionierte. Erst als er sie ohne den Umschlag zuruckkommen sah, entspannte Michael Moretti sich.
Das war vor einem Jahr gewesen. Die Zeitungen hatten das Madchen ans Kreuz geschlagen, aber das war ihr Problem. Michael hatte nicht mehr an Jennifer gedacht, bis die Zeitungen vor kurzem uber den Abraham- Wilson-Proze? berichteten. Sie gruben den alten Moretti-Fall wieder aus - und die Rolle, die Jennifer darin gespielt hatte. Sie veroffentlichten Bilder von ihr. Sie sah umwerfend aus, aber da war noch mehr an ihr - eine Aura von Unabhangigkeit, die etwas in ihm anruhrte. Er hatte die Bilder lange angestarrt. Er verfolgte den Wilson-Proze? mit