die Gesichter der Geschworenen glitten. »Mr. Maguire hat niemals funf Millionen Dollar auf einem Haufen gesehen. Ich auch nicht. Aber eins kann ich Ihnen sagen: Wenn ich einem von Ihnen hier und jetzt funf Millionen Dollar in bar anbieten wurde, und als Gegenleistung wollte ich dafur nicht mehr verlangen, als Ihnen beide Arme und beide Beine abschneiden zu durfen - ich glaube nicht, da? funf Millionen Dollar dann noch wie so viel Geld erscheinen wurden... Das Gesetz in diesem Fall ist klar und eindeutig«, erklarte Jennifer. »In einem fruheren Proze?, den die Klagerin verloren hat, verschwiegen die Angeklagten vor Klager und Gericht einen Defekt im Bremssystem ihrer Lastwagen, obwohl sie daruber informiert waren. Damit handelten sie rechtswidrig. Das ist die Grundlage fur diesen neuen Proze?. Nach einer kurzlich veroffentlichten Studie der Regierung gehen die meisten Lastwagenunfalle auf Rader und Reifen, Bremsen und defekte Steuersysteme zuruck. Betrachten Sie sich diese Zahlen fur einen Augenblick...«

Patrick Maguire taxierte die Geschworenen. Jennifer bombardierte sie mit Statistiken, und Maguire konnte sehen, da? sie gelangweilt waren. Der Proze? wurde zu technisch. Er ging nicht langer um ein verkruppeltes Madchen, sondern um Lastwagen, Bremszeiten und defekte Bremstrommeln. Die Geschworenen verloren das Interesse.

Maguire blickte zu Jennifer hinuber und dachte: Sie ist nicht so clever, wie man behauptet. Er wu?te, da? er an ihrer Stelle die Statistiken vergessen, die mechanischen Probleme ignoriert und statt dessen mit den Emotionen der Geschworenen gespielt hatte. Jennifer Parker tat genau das Gegenteil. Patrick Maguire lehnte sich zuruck und entspannte sich. Jennifer naherte sich dem Richtertisch. »Euer Ehren, mit Erlaubnis des Gerichts mochte ich gern ein Beweisstuck ins Protokoll aufnehmen lassen.«

»Was fur ein Beweisstuck?« fragte Richter Silverman. »Zu Anfang dieses Prozesses habe ich der Jury versprochen, da? sie Connie Garrett kennenlernen wurde. Da sie nicht personlich hier sein kann, wurde ich den Geschworenen gern einige Bilder von ihr zeigen.«

Richter Silverman sagte: »Dagegen sehe ich keine Einwande.« Er wandte sich an Patrick Maguire. »Hat der Verteidiger irgendwelche Einwande?«

Patrick Maguire stand auf. Er bewegte sich langsam, aber sein Gehirn lief auf Hochtouren. »Was fur Bilder?« Jennifer erwiderte: »Einige Bilder, die in Connie Garretts Wohnung aufgenommen worden sind.« Patrick Maguire hatte es lieber gesehen, wenn keine Bilder gezeigt worden waren; aber auf der anderen Seite wirkten Fotografien von einem verkruppelten Madchen in einem Rollstuhl wesentlich weniger dramatisch, als es ein personlicher Auftritt des Madchens getan hatte. Und es galt noch einen weiteren Faktor zu berucksichtigen: Wenn er Einspruch erhob, wurde ihn das in den Augen der Jury unsympathisch wirken lassen. Gro?zugig sagte er: »Wenn Sie unbedingt wollen, zeigen Sie die Bilder.«

»Danke.«

Jennifer wandte sich an Dan Martin und nickte. Zwei Manner im Hintergrund bewegten sich mit einer tragbaren Leinwand und einem Filmprojektor nach vorn und stellten sie auf. Uberrascht sprang Patrick Maguire auf: »Warten Sie mal! Was soll das?«

Unschuldig antwortete Jennifer: »Wir zeigen nur die Bilder, zu denen Sie eben Ihre Zustimmung gegeben haben.«

Patrick Maguire rauchte vor Wut, aber er schwieg. Jennifer hatte nichts von bewegten Bildern gesagt. Aber jetzt war es zu spat, Einspruch zu erheben. Er nickte knapp und setzte sich wieder hin.

Jennifer hatte die Leinwand so aufstellen lassen, da? Richter und Geschworene gut sehen konnten. »Konnten wir den Raum verdunkeln, Euer Ehren?« Der Richter gab dem Gerichtsdiener ein Zeichen, und das Licht wurde ausgeschaltet. Jennifer ging zu dem 16mm-Projektor und stellte ihn an.

Die nachsten drei?ig Minuten hielt jeder im Gerichtssaal den Atem an. Jennifer hatte einen professionellen Kameramann und einen jungen Werbefilmregisseur engagiert. Sie hatten einen Tag im Leben von Connie Garrett gefilmt, und es war ein Film wie ein Faustschlag geworden. Nichts blieb der Einbildung uberlassen. Der Film zeigte die schone, junge Amputierte, wie sie morgens aus dem Bett gehoben und auf die Toilette getragen wurde, wie sie, einem kleinen, hilflosen Baby gleich, gesaubert, gebadet, gefuttert und angezogen werden mu?te. Jennifer hatte den Film wieder und immer wieder gesehen, und jetzt, als sie ihn erneut erlebte, fuhlte sie denselben Klumpen im Hals wie beim erstenmal, ihre Augen fullten sich mit Tranen, und sie wu?te, da? der Film auf den Richter, die Jury und die Zuschauer im Gerichtssaal genauso wirken mu?te.

Als der Film zu Ende war, wandte sich Jennifer an Richter Silverman. »Die Klagevertretung hat die Beweisaufnahme abgeschlossen?«

Die Jury war bereits uber zehn Stunden drau?en, und mit jeder verstreichenden Stunde sank Jennifers Mut. Sie hatte ein sofortiges Urteil erwartet. Wenn die Geschworenen von dem Film so beruhrt gewesen waren wie sie, hatte die Urteilsfindung nicht langer als eine oder zwei Stunden dauern konnen.

Als die Jury den Raum verlassen hatte, war Patrick Maguire au?er sich vor Wut gewesen, sicher, da? er den Fall verloren und Jennifer Parker unterschatzt hatte. Aber als die Stunden vergingen und die Jury nicht zuruckkehrte, stiegen seine Hoffnungen wieder. Fur eine von Emotione n gepragte Entscheidung hatten die Geschworenen nicht so lange gebraucht. »Wir werden mit einem blauen Auge davonkommen. Je langer sie da drau?en herumstreiten, desto mehr wird die Erinnerung an den Film verblassen«, sagte er zu einem seiner Assistenten.

Einige Minuten vor Mitternacht sandte der Vorsitzende der Jury Richter Silverman eine Notiz, in der er um eine Rechtsbelehrung bat. Der Richter studierte die Bitte, dann blickte er auf. »Wurden die beiden Anwalte bitte an den Richtertisch treten.«

Als Jennifer und Patrick Maguire vor ihm standen, sagte der Richter: »Ich mochte Sie uber eine Nachricht in Kenntnis setzen, die ich gerade vom Vorsitzenden der Jury erhalten habe. Die Geschworenen fragen, ob sie vom Gesetz her die Erlaubnis haben, Connie Garrett mehr als die funf Millionen Dollar zuzusprechen, auf die ihre Anwaltin geklagt hat.« Jennifer fuhlte sich schwindlig. Ihr Herz schien zu schweben. Sie blickte Patrick Maguire an. Sein Gesicht war leichenbla?. »Ich teile der Jury mit«, sagte Richter Silverman, »da? es ihrem Ermessen uberlassen bleibt, welche Summe sie fur gerechtfertigt halt.«

Drei?ig Minuten spater kehrten die Geschworenen in den Gerichtssaal zuruck. Der Vorsitzende gab bekannt, da? ihr Urteil zugunsten der Klagerin ausgefallen war. Die Hohe des Connie Garrett zugesprochenen Schadensersatzes belief sich auf sechs Millionen Dollar. Es war die hochste Schadensersatzsumme in der Geschichte des Staates New York.

20

Als Jennifer am nachsten Morgen ihr Buro betrat, fand sie ein Arsenal von Zeitungen auf ihrem Schreibtisch ausgebreitet. Sie war auf jeder Titelseite. Vier Dutzend wunderschone Rosen standen in einer Vase daneben. Jennifer lachelte. Adam hatte die Zeit gefunden, ihr Blumen zu schicken. Sie blickte auf das Kartchen: Herzliche Gluckwunsche. Michael Moretti.

Die Sprechanlage summte, und Cynthia sagte: »Mr. Adams is t in der Leitung.«

Jennifer griff hastig nach dem Horer. Sie bemuhte sich, ruhig zu klingen. »Hallo, Liebling.« »Du hast es schon wieder geschafft.« »Ich hatte Gluck.«

»Deine Mandantin hatte Gluck. Gluck, eine Anwaltin wie dich zu haben. Du mu?t dich jetzt doch wunderbar fuhlen.«

Einen Proze? zu gewinnen, gab ihr ein gutes Gefuhl. Aber wunderbar fuhlte sie sich nur, wenn sie bei Adam war. »Ja.«

»Ich mu? dir etwas Wichtiges sagen«, meinte Adam. »Kannst du dich am Nachmittag auf einen Drink mit mir treffen?«

Jennifers Herz wurde schwer. Es konnte nur eins sein, das Adam ihr zu sagen hatte: Er wurde sie in Zukunft nicht mehr sehen konnen.

»Ja. Ja, naturlich.«

»Bei Mario? Um sechs?«

»Gut.«

Sie gab Cynthia die Rosen.

Adam wartete an einem Tisch ganz hinten im Raum. Damit er keinen Arger bekommt, wenn ich hysterisch

Вы читаете Zorn der Engel
Добавить отзыв
ВСЕ ОТЗЫВЫ О КНИГЕ В ИЗБРАННОЕ

0

Вы можете отметить интересные вам фрагменты текста, которые будут доступны по уникальной ссылке в адресной строке браузера.

Отметить Добавить цитату