Ausstrahlung. Dieser Kniff wirkte so lange, bis Jennifer eines Tages wieder einmal einen Mandanten gegen Robert Di Silva verteidigte. Der Staatsanwalt stand auf und hielt sein Eroffnungspladoyer.
»Meine Damen und Herren«, sagte Di Silva, »vergessen Sie, da? Sie in einem Gerichtssaal sitzen. Ich mochte, da? Sie sich vorstellen, Sie befanden sich zu Hause in meinem Wohnzimmer, und wir alle sitzen entspannt herum und plaudern uber die schrecklichen Dinge, die der Angeklagte getan hat.« Ken Bailey beugte sich zu Jennifer und flusterte: »Horst du, was dieser Bastard tut? Er klaut dir deinen Mausespeck.«
»Keine Sorge«, antwortete Jennifer kuhl. Als Jennifer aufstand, wandte sie sich mit den Worten an die Jury: »Meine Damen und Herren, ich habe noch niemals etwas so Emporendes wie die Bemerkungen des Staatsanwalts gehort.« Ihre Stimme zitterte vor rechtschaffener Betroffenheit. »Ein paar Minuten lang konnte ich gar nicht glauben, da? ich ihn richtig verstanden habe. Wie kann er von Ihnen verlangen, zu vergessen, da? Sie in einem Gerichtssaal sitzen! Dieser Gerichtssaal ist eines der kostbarsten Besitztumer unserer Nation. Es ist der Grundstock der Freiheit. Ihrer, meiner und der des Angeklagten. Ich finde es gleichzeitig niedertrachtig und erschreckend, da? der Staatsanwalt Ihnen vorschlagt, zu vergessen, wo Sie sind - die Pflicht zu vergessen, auf die Sie vereidigt wurden. Ich bitte Sie, meine Damen und Herren, sich unbedingt in Erinnerung zu rufen, wo Sie sind, sich in Erinnerung zu rufen, da? wir alle hier sind, um darauf zu achten, da? der Gerechtigkeit Genuge getan wird und da? der Angeklagte darauf ein Recht hat.« Die Geschworenen nickten zustimmend. Jennifer blickte zu Robert Di Silvas Tisch hinuber. Er starrte geradeaus, einen stieren Blick in den Augen. Jennifers Mandant wurde freigesprochen.
Nach jedem Sieg standen vier Dutzend rote Rosen auf Jennifers Schreibtisch mit einer Karte von Michael Moretti. Jedesmal zerri? Jennifer die Karte und lie? Cynthia die Blumen wegnehmen. Irgendwie wirkten sie aus Morettis Handen obszon. Schlie?lich schickte Jennifer Michael Moretti eine Notiz und forderte ihn auf, die Blumengru?e einzustellen. Nach dem nachsten Sieg warteten funf Dutzend Rosen auf sie.
22
Der Fall des »Regenmantel-Uberfalls« brachte Jennifer neue Schlagzeilen. Der Angeklagte war ihr von Pater Ryan vermittelt worden.
»Ein Freund von mir hat ein kleines Problem«, fing er an, und beide brachen in Gelachter aus.
Der Freund stellte sich als Paul Richards heraus. Richards war angeklagt, eine Bank um hundertfunfzigtausend Dollar erleichtert zu haben. Ein Rauber hatte die Bank in einem langen, schwarzen Regenmantel betreten. Unter dem Regenmantel war eine Schrotflinte mit abgesagtem Lauf verborgen. Der Kragen des Mantels war hochgeklappt, so da? das Gesicht des Raubers gro?enteils verdeckt war. In der Bank hatte er die Schrotflinte gezuckt und einen Kassierer aufgefordert, ihm alles verfugbare Bargeld auszuhandigen. Anschlie?end war er in einem wartenden Wagen geflohen. Verschiedene Zeugen hatten den Fluchtwagen, einen grunen Sedan, gesehen, aber das Nummernschild war schmutzverklebt gewesen. Da Bankuberfalle Sache der Bundesbehorden waren, hatte das FBI die Aufklarung des Falls ubernommen. Es hatte den modus operandi durch einen Zentralcomputer laufen lassen und als Ergebnis den Namen Paul Richards erhalten.
Jennifer besuchte Paul Richards auf Riker's Island. »Ich schwore bei Gott, da? ich es nicht gewesen bin«, stie? Richards hervor. Er war Ende Funfzig, ein Mann mit einem roten Gesicht und himmelblauen Augen, zu alt, um in der Gegend herumzulaufen und Banken zu berauben. »Es ist mir egal, ob Sie es getan haben oder nicht«, erklarte Jennifer, »aber ich habe einen Grundsatz. Ich vertrete keine Mandanten, die mich belugen.«
»Ich schwore beim Leben meiner Mutter, da? ich es nicht gewesen bin.«
Jennifer hatte langst aufgehort, sich von Schwuren beeindrucken zu lassen. Mandanten hatten sie beim Leben ihrer Mutter, Frauen und Kinder ihrer Unschuld versichert. Wenn Gott alle diese Schwure ernstgenommen hatte, ware ein bedenklicher Bevolkerungsruckgang eingetreten.
Jennifer fragte: »Warum hat das FBI Sie dann festgenommen?«
Paul Richards antwortete, ohne zu zogern: »Weil ich vor zehn Jahren eine Bank beraubt habe und dumm genug war, mich schnappen zu lassen.«
»Haben Sie damals eine abgesagte Schrotflinte unter einem Regenmantel benutzt?«
»Genau. Ich habe gewartet, bis es regnete, und dann die Bank geknackt.« »Aber diesmal waren Sie's nicht?«
»Nein. Irgendein cleverer Bastard hat meine Nummer kopiert.«
Die Vorverhandlung wurde von Richter Fred Stevens geleitet, einem rigorosen Zuchtmeister. Man sagte, er sei dafur, alle Verbrecher auf eine unzugangliche Insel zu schaffen und dort fur den Rest ihres Lebens festzuhalten. Richter Stevens war der Uberzeugung, man solle jedem Dieb, der zum erstenmal verhaftet wurde, die rechte Hand abhacken, und wenn es wieder passierte, sollte nach guter islamischer Tradition auch die linke Hand abgehackt werden. Er war der ungunstigste Richter, den Jennifer sich in diesem Fall vorstellen konnte. Sie schickte nach Ted Harris. »Ted, ich will, da? du alles uber Richter Stevens ausgrabst, was man nur ausgraben kann.«
»Richter Stevens? Der ist aufrecht wie ein Fahnenmast. Er...«
»Ich wei?. Geh an die Arbeit, bitte.«
Der Staatsanwalt in diesem Fall war ein alter Profi namens Carter Gifford. »Auf was pladieren Sie?« wollte er wissen.
Jennifer bedachte ihn mit einem kunstvollen Blick unschuldiger Uberraschung. »Nicht schuldig, naturlich.« Er lachte sarkastisch. »Daran wird Richter Stevens seine Freude haben. Ich nehme an, Sie verlangen einen Geschworenenproze??« »Nein.«
Gifford studierte Jennifer argwohnisch. »Sie meinen, Sie legen Ihren Mandanten in die Hande des Galgenrichters?«
»Genau.«
Gifford grinste. »Ich wu?te, da? Sie eines Tages uber die Klinge springen wurden, Jennifer. Ich kann's gar nicht erwarten, das endlich mitzuerleben.«
»Die Vereinigten Staaten von Amerika gegen Paul Richards. Ist der Angeklagte anwesend?« Der Gerichtsdiener sagte: »Ja, Euer Ehren.«
»Wurden die Anwalte bitte an den Richtertisch treten und sich vorstellen?«
Jennifer und Carter Gifford naherten sich Richter Stevens. »Jennifer Parker, Vertreter des Angeklagten.«
»Carter Gifford, Vertreter der Regierung der Vereinigten Staaten.«
Richter Stevens wandte sich an Jennifer und sagte brusk: »Ich bin mir uber Ihren Ruf im klaren, Mi? Parker. Deswegen sage ich Ihnen hier und jetzt, da? ich nicht beabsichtige, die Zeit dieses Gerichts zu verschwenden. Ich nehme keine Verzogerungen hin, gleich welcher Art. Ich mochte diese Vorverhandlung so schnell wie moglich abschlie?en und die Untersuchungsverhore hinter mich bringen. Ich nehme an, Sie wollen einen Proze? vor einer Jury und...«
»Nein, Euer Ehren.«
Richter Stevens blickte sie verblufft an. »Sie verlangen keine Geschworenen?« »Nein. Weil ich namlich nicht glaube, da? es uberhaupt zur Anklageerhebung kommt.« Carter Gifford starrte sie an. »Was?«
»Nach meiner Meinung haben Sie nicht genug Beweismaterial, um meinen Mandanten in eine Hauptverhandlung zu bringen.«
Carter Gifford brauste auf: »Dann sollten Sie sich schnellstens eine andere Meinung zulegen!« Er wandte sich an Richter Stevens. »Euer Ehren, die Anklage hat klares Beweismaterial. Der Angeklagte wurde schon einmal wegen eines auf genau die gleiche Weise begangenen Verbrechens verurteilt. Unser Computer hat ihn aus uber tausend moglichen Verdachtigen herausgesucht. Wir haben den schuldigen Mann mitten unter uns hier im Gerichtssaal, und die Anklage hat nicht die geringste Absicht, seine Strafverfolgung fallenzulassen.«
Richter Stevens wandte sich an Jennifer. »Es scheint dem Gericht, da? wir prima fade genugend Beweismaterial haben, das eine Anklageerhebung und einen Proze? rechtfertigt. Haben Sie sonst noch etwas zu sagen?«
»Allerdings, Euer Ehren. Es gibt nicht einen einzigen Zeugen, der Paul Richards eindeutig identifizieren kann. Das FBI war unfahig, auch nur einen Dollar von dem gestohlenen Geld wiederzufinden. Tatsachlich ist das