„Schawruschka' erhob sich uber die Rollbahn und flog mit Westkurs davon. Vier Stunden spater, nach einer ungefahrlichen Landung in Janow-Stan, sollte sie wieder zur Stelle sein.

Als die Frist um war, fehlte von der Maschine noch jede Spur. 

Der Flughafen trat mit Janow-Stan in Funkverbindung. Dort war Gogas Flugzeug nicht gesichtet worden.

Es wurde Abend. Auch am folgenden Morgen kehrte Goga nicht zuruck.

Da stiegen alle acht Maschinen seiner Abteilung auf, um ihn zu suchen. Bis zum Anbruch der Abenddammerung kurvten sie uber der Taiga, und die Piloten hielten nach den grunen Tragflachen Ausschau. Unverrichteterdinge kehrten die acht Maschinen zum Flughafen zuruck. Niemand wu?te zu sagen, was aus Goga und seinem kleinen Freund geworden war.

Fedjas Tante lief wie rasend durch das ganze Gebaude, von Zimmer zu Zimmer, von Stockwerk zu Stockwerk. Bis in die fernsten Winkel schallte ihre kreischende Stimme.

„Morder!'

Die verstorten Piloten schlichen schuldbewu?t an ihr vorbei. Die Kassiererin, die am Vortag Fedjas Flugkarte ausgeschrieben und das von Goga entrichtete Geld eingestrichen hatte, hockte verangstigt und zitternd in ihrem Kammerlein. Aber die Stimme drang auch zu ihr. Sie bohrte sich unter die Kopfhorer des Funkers, sie schrillte durch die mit Filz abgedichtete Tur, die zum Arbeitszimmer des Chefs fuhrte. Uberall horte man das gellende, beinah triumphierende Geschrei von Fedjas Tante.

„Morder!'

Fedja sa? neben Goga. Tief unter sich sahen sie die Windungen der Flusse. Die Erde glich einem riesigen Eierkuchen. Sie war plattgedruckt und rund. Da sie fortgesetzt schwankte, verspurte Fedja leichten Schwindel. Wenn die Maschine eine Kurve zog, schien die Erdscheibe auf der Kante zu stehen, und der Schatten des Flugzeugs glitt daruber hin wie uber eine Wand. Fedja war hellwach. Er reckte sich vom Sitz empor. Am ganzen Korper spurte er die Sto?e und Schwankungen der Maschine. Die Kabine hatte dunne Wande. Wie klein und zerbrechlich die „Schawruschka' auf einmal wirkte. Fedja wagte sich nicht zu regen.

Allmahlich schwand die Furcht. Fedja drehte sich zu Goga um und sah eine Zeitlang zu, was sein gro?er Freund tat, um das Flugzeug fest in die Gewalt zu bekommen.

Es war erstaunlich einfach. Goga hockte in gekrummter Haltung auf dem Pilotensitz und pre?te den Steuerknuppel mit kurzen Sto?en vor und zuruck. Gleichzeitig federten seine Beine auf den Fu?hebeln. Die leichten Bewegungen flossen ineinander uber. Fast sah es aus, als ubte Goga einen modernen Tanz. Fedja dachte: Wenn er jetzt Steuerknuppel und Fu?hebel losla?t, wird die ,,Schawruschka' genauso ruhig und gerade weiterfliegen.

Aber als Goga den Kopf wandte, um seinen kleinen Begleiter anzusehen, und dabei fur eine Sekunde die Maschine sich selbst uberlie?, rutschte die Erdscheibe sofort wieder auf die Seite.

Etwa eine Stunde nach dem Start stie? der Flieger Fedja in die Seite und deutete mit einer Kopfbewegung uber den Rand des Flugzeugs. Fedja reckte vorsichtig den Hals. Unter ihnen flatterten Wildganse, eine gro?e Schar. Fedja sah die schweren Flugelschlage und wunderte sich, weshalb die Vogel nicht vorwarts kamen. Es dauerte eine Weile, bis er begriff, da? sie etwas langsamer flogen als die ,,Schawruschka'.

Der Schatten des Flugzeugs fiel auf die Ganse. Die Flugelschlage wurden wilder. Jetzt war der Schwarm sogar schneller als die Maschine. Der Abstand wuchs wieder. Da gab Goga Gas. Der Motor heulte auf. Das Gerausch peinigte die Ganse. Sie gaben das Letzte her und lie?en das Flugzeug abermals ein Stuck hinter sich.

Fedja schmunzelte. Goga streifte ihn mit einem Blick, ruckte seinen Helm zurecht und setzte sich fester in den Sessel.

Der Steuerknuppel fuhr nach vorn. Augenblicklich rutschte der Horizont in die Hohe und verschwand. Fedja merkte, wie er federleicht wurde. Das Flugzeug schien unter seinem Korper fortzugleiten. Er wollte schreien, da? Goga mit dem Unfug aufhoren sollte, doch da wurde er schon auf den Sitz zuruckgedruckt. Die Maschine lag wieder waagerecht. Sie flog mitten in den Ganseschwarm. Die Vogel stoben auseinander. Als Fedja begriff, da? alles voruber war, freute er sich, die Furcht bezwungen zu haben. „Wir sind Sieger', rief er begeistert, „wir haben sie eingeholt.'

Vollig uberraschend machte eine der Ganse kehrt und flog der „Schawruschka' entgegen. Ob sie vor Schreck ihr bi?chen Vogel verstand verloren hatte oder in einem torichten Anfall von Tollkuhnheit hoffte, den Feind in die Flucht zu schlagen, ist schwer zu entscheiden. Jedenfalls huschte sie wie ein fluchtiger Schatten auf das Flugzeug zu. Fedja horte einen dumpfen Aufprall. Ein Zittern lief durch die Maschine, die wie irrsinnig zu wackeln begann.

Mit einer blitzschnellen Bewegung schaltete Goga die Zundung aus. Schon horte das Schutteln auf, genauso plotzlich, wie es begonnen hatte. Alles war still, unheimlich still. Mit Windeseile kam die Erde naher.

Entsetzt, aber mit einem Schimmer von Hoffnung in den Augen, blickte Fedja seinen Freund an. Goga war allmachtig, er hatte eine feste Hand, er vermochte sie zu retten. Fedja klammerte sich an diesen Gedanken wie ein Ertrinkender an einen Strohhalm. Goga sa? vornubergeneigt auf seinem Sessel, blinzelnd, als visierte er ein Ziel an. Das Flugzeug lag waagerecht. Es ergab sich dem kraftigen Mann, sank jedoch unablassig tiefer. Immer naher kamen die Spitzen der Fichten. Unten dehnte sich die Taiga.

Mit einer letzten, genau berechneten Bewegung des Steuerknuppels ri? Goga die Maschine nach unten, hielt auf eine kleine, von jungen Tannen bewachsene Flache zu.

Dann spurte Fedja Gogas Hand auf seiner Schulter. Sie druckte ihn gewaltsam zuruck. Gleich darauf wurde der Bauch der Maschine von heftigen Schlagen erschuttert. Eine unwiderstehliche Gewalt zwang Fedja aus dem Sitz und ri? ihn nach vorn gegen das Schaltbrett. Noch sah er die dahinrasenden Baumwande. Uber seinem Kopf zuckten die Zweige. Ein letzter, schwerer Schlag traf die „Schawruschka'. Fedja verlor das Bewu?tsein. 

Still war es rings umher. Durch den niedrigen Forst zog sich ein breiter Korridor von niedergewalzten Grashalmen. Wie aufgeschreckte Tiere zitterten die jungen Tannen. Nur langsam richteten sie ihre biegsamen Stamme wieder in die Hohe.

Als Fedja die Augen aufschlug, erblickte er uber sich einen dunkelgrunen Himmel. Im Kopf pochte dumpfer Schmerz. Von der zerschundenen Stirn tropfte Blut auf den Anorak. Nach und nach wurde der Blick klarer. Fedja begriff, da? er nicht in den Himmel starrte, sondern in ein grunes Dach von Tannenzweigen. Goga sa? nicht mehr neben ihm.

Vorsichtig kletterte Fedja aus der Maschine. Der Kopf schmerzte unertraglich. Es kostete gro?e Uberwindung, sich umzuschauen. Goga lag etwa funf Meter vor dem zertrummerten Flugzeug im Gras.

Fedja schwankte auf ihn zu. Jeder Schritt wurde zur Qual, war wie ein schmerzhafter Schlag in den Nacken. Neben Goga ging er in die Knie.

„Goga!'

Der Flieger schwieg. Er lag auf dem Gesicht, unmittelbar am Stamm einer Fichte. Der linke Arm war ausgestreckt, als hielte er noch den Steuerknuppel in der Faust.

Behutsam hob Fedja den schweren Kopf vom Boden auf. Er starrte in das vertraute Gesicht. „Goga!'

Der Flieger offnete die Augen, sah Fedja mit einem trunkenen, verstandnislosen Blick an.

„Ich komme ja schon', murmelte er ruhig, gleichmutig, bewegte die Hand, um sich an den Kopf zu fassen. Schmerz und Freude vermischten sich auf seinem Gesicht.

„Du lebst?' fragte er unglaubig.

„Mein Kopf', stohnte Fedja.

„Aber du lebst. Ich mu? mich aufsetzen. Hilf mir.'

Fedja krallte die Finger in Gogas Lederjacke. Goga stutzte beide Hande auf die Erde und rutschte mit dem Rucken gegen den Stamm der Fichte. Seine Stirn bedeckte sich mit Schwei?.

Er schlo? die Augen und flusterte stohnend: „In der Kabine — in der Seitentasche — unsere Bordapotheke. Hol sie her.' 

Muhsam wankte Fedja zum Flugzeug, kroch in die Kabine, fand dort den kleinen Kasten und schleppte ihn

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