Rande des Steilufers auf dem Bauch und schauten abwechselnd durchs Glas. Beim letzten Mal sah ich Stepans Gesicht so dicht vor mir, da? ich die Schwei?perlen auf seiner Stirn zahlen konnte. Shuikow ruderte schnell. Er wollte nicht zu spat zur Arbeit kommen.
Wenige Tage danach bat ich meinen Vater erneut, sein Boot benutzen zu durfen.
„Nein', war die Antwort, „ich hab's einmal untersagt. Dabei bleibt es.'
„Und wenn ich das Boot diesmal sehr dringend brauche?' fragte ich.
„Auch dann nicht. Das ist der Jenissej und nicht der Dnepr.'
„Stimmt', sagte ich, „nicht der Dnepr und nicht der Parana.'
„Nicht was?'
„Der Parana. Ein Flu? in Sudamerika.'
„Na schon', meinte mein Vater.
„Und nicht der Rio Grande.'
„Na schon. Das Boot bekommst du trotzdem nicht.'
„Ubrigens ist das ein und derselbe Flu?.'
„Da? du mir nicht das Boot anruhrst', sagte er warnend.
Naturlich ruhrte ich es an. Wenn wir Stepan gefangen hatten, wurde man uns alles vergeben. Da? wir ihn fingen, stand fur uns fest.
Als Vater eingeschlafen war, schlich ich in sein Zimmer, zog die Pistole aus der Ledertasche, schuttelte den Schlussel auf die flache Hand und tat die Pistole zuruck. Sjowka ging einen Schritt weiter. Er brachte das Gewehr seines Vaters angeschleppt, freilich ohne Patronen. Es war eine Jagdflinte, die am ganzen Jenissej nicht ihresgleichen hatte, ein Drilling, bestehend aus zwei nebeneinanderliegenden Laufen fur Schrot und einem dritten daruber, fur Kugeln.
Gegen dieses Prachtstuck hatte man glatt ein Motorboot eintauschen konnen, aber Sjowkas Vater wollte sich davon nicht trennen.
Um drei Uhr ruderten wir ans andere Ufer, zogen das Boot ins Weidengebusch und legten uns auf die Lauer.
Es war eine sonnige, windstille Nacht. Unzahlige Mucken summten uns um die Ohren. Wir scheuchten sie von den Gesichtern, fuchtelten wie toll mit den Armen, aber die Biester setzten sich auf den Rucken und die Beine und stachen durch die Kleidung. Einige waren dreist genug, sich auf den Handen niederzulassen. Nach einer halben Stunde schien die Haut mit Muckengift gesattigt. Ich verspurte am ganzen Korper ein Kribbeln und Jucken, als hatte ich mich in Brennesseln gewalzt.
„Ich mochte nur wissen, wovon sie sich ernahren wurden, wenn wir nicht gekommen waren', meinte Sjowka tiefsinnig.
Nach einer Stunde waren wir derma?en zerstochen, da? wir schlechte Laune bekamen und uns beinah in die Wolle gerieten.
Zum Gluck nahte Stepan. Wir hatten ihn gar nicht bemerkt. Als wir das Platschern der Ruder horten, war er nur noch zehn Meter entfernt. Wir erstarrten, wagten uns nicht zu ruhren, bis sein Boot hinter einer Biegung des Grabens verschwand. Ich verstehe heute noch nicht, wo ich die Kraft hernahm, funf Minuten lang diese Strapazen auszuhalten. Als ich beide Hande gegen die Stirn pre?te, platzten die prall gewordenen Mucken wie reife Schoten. Es knallte richtig.
Wir fuhren hinterher. Unsere Ruder verursachten einen Hollenlarm. Endlich entdeckten wir das aufs Land gezogene Boot. Inzwischen mochte eine halbe Stunde vergangen sein. Wir sahen einen schmalen Pfad, der in die Taiga fuhrte.
Unseren Kahn versteckten wir in einer kleinen Bucht.
Ich sprang ans Ufer und schaute mich um. Von hier waren weder das Dorf noch der Jenissej zu sehen. Ich blickte Sjowka fragend an.
„Komm', flusterte mein Freund.
„La? das Gewehr lieber hier', riet ich.
„Und wenn es gestohlen wird?'
Sjowka bog vorsichtig die Zweige auseinander und schritt voraus.
Der Pfad fuhrte auf eine Wiese, wo nur wenig Baume wuchsen. Dort erblickten wir Stepan. Er ging von einem Stamm zum andern und hangte sein Fanggerat auf: eine etwa funfhundert Meter lange Schnur mit ungefahr zweihundert Stahlhaken. Am anderen Ende der Wiese stand eine Laubhutte. An den eingerammten Pfahlen waren mehrere Reihen Netze aufgespannt, insgesamt etwa dreihundert Meter. Ein beachtlicher Reichtum. Wenn der unserer Fischereikontrolle in die Hande fiel, wurde es diesem Stepan Shuikow mindestens zwei Jahre Gefangnis eintragen.
Wir standen zusammengekauert hinter den Strauchern und wu?ten nicht, was wir tun sollten.
Stepan setzte seinen Rundgang fort.
Sjowka hielt das Gewehr umklammert. Die Mucken zerstachen ihm Arme und Gesicht. Es sah aus, als hatte er graue Handschuhe angezogen. Um die Plagegeister fortzujagen, schnitt er komische Grimassen, aber die Mucken sa?en wie angeleimt auf der Haut. Schlie?lich wurde es ihm zu bunt. Er zog das Gewehr in die Schulter. „Hande hoch!'
Stepan stohnte auf und lie? die Fangleine fallen. Wir horten das Klirren der Haken. Langsam drehte sich der Fischdieb um.
„Hande hoch!'
Aus dem Gebusch gahnten ihn die Mundungen dreier Laufe an.
„Aber Genosse', sagte er halblaut, „la? die Scherze.'
„Gehen Sie voraus, vorwarts marsch!' befahl Sjowka und machte den Fehler, auf die Wiese zu treten.
Als Stepan den Jungen sah, verwandelte sich sein Gesicht. Er dachte nicht daran, die Hande zu heben, sondern kam langsam auf uns zu.
„Hande hoch!' wiederholte Sjowka verzweifelt. Stepan naherte sich von der Seite, packte mit der Linken die Drillingslaufe, zog Sjowka auf sich zu und schlug ihn mit der Rechten ins Gesicht. Mein Freund fiel hin. Stepan hielt das Gewehr gegen das Licht, genauso bedachtig, wie er alles ubrige getan hatte, stellte fest, da? es nicht geladen war, und schmetterte es gegen den Stamm einer Birke. Der Kolben flog ab. Stepan buckte sich, um ihn aufzuheben. Er schleuderte ihn mitsamt den Laufen zu Sjowka hin.
„Das war mal ein Gewehr', sagte er, „und kein schlechtes.'
Erst jetzt wurde mir bewu?t, da? ich die ganze Zeit untatig dabeigestanden hatte. Ich sprang an Sjowkas Seite.
„Du hau ab', forderte Stepan mich auf. „Vor der Miliz hab ich Achtung.'
Sjowka rappelte sich hoch. Seine Nase blutete, die getroffene Wange hatte sich blaulich verfarbt. Kerzengerade stand er vor Stepan, weinte nicht, zuckte mit keiner Wimper. Die Mucken fielen uber sein verquollenes Gesicht her, aber er stand und starrte den Fischdieb an.
„Schlagen Sie doch zu', keuchte er. „Verschwinde. Fur heute reicht's.'
„Schlagen Sie doch zu.'
Stepan lachte auf und ging zu seinen Netzen.
Sjowka verharrte wie angewurzelt neben der Birke. Schlie?lich las er die abgesplitterten Teile des Gewehres zusammen, und wir machten uns auf den Heimweg.
Zu Hause wurde ich von meinem Vater empfangen. Eigentlich mu?te er langst auf seiner Dienststelle sein. Er hatte es vorgezogen zu warten, bis ich kam.
„Was hast du an meiner Pistole zu suchen gehabt?' fragte er mich.
„Ich habe sie nicht angeruhrt.'
„Was du an meiner Pistole zu suchen gehabt hast, will ich wissen.'
„Steck doch den Schlussel nicht in die Revolvertasche', entgegnete ich, „dann gehe ich nicht an deine Pistole.'
Mein Vater schnallte das Koppel ab. Ich stand reglos im Zimmer. Er legte es zusammen und kam auf mich zu.
„Versprich mir, da? so was nicht wieder vorkommt.'
Ich furchtete mich vor nichts. So gro? war mein Ha? auf Stepan.