„Ihr kommt mit', befahl mein Vater, „und Shuikow, Sie gehen an die Arbeit. Ich werde sehen, was los ist.'

Mein Vater fuhrte uns zur Dienststelle. 

„Wer war das?' fragte er, als wir ihm in seinem Arbeitszimmer gegenuberstanden.

„Ich', erwiderte Sjowka. 

„Wir', verbesserte ich ihn. 

„Warum habt ihr das getan?' 

Ich leckte mir die Lippen. „Weil er ein Dieb ist. Er hat Netze wie die Fischereigenossenschaft und eine Fangleine mit zweihundert Haken.'

„Woher wei?t du das?' 

„Das sagen alle Leute', schaltete sich Sjowka schnell ein.

„Solange er nicht uberfuhrt wird, ist er kein Dieb', wies mich Vater zurecht. Er zog funf Rubel aus der Tasche. „Fur die Reparaturkosten. Bring ihm das Geld.'

„Ich gehe nicht zu ihm', widersprach ich. Vater zuckte die Achseln. „Dann gehe ich selbst. Du verstehst, da? die Sache fur dich dadurch nicht angenehmer wird.'

Das sah ich ein und erklarte mich bereit, hinzugehen. „Na schon', sagte ich und nahm das Geld.

Nun hort mal zu, Freunde', sprach Vater weiter, „wozu braucht ihr das Boot?'

„Fur Spazierfahrten', gab Sjowka zuruck. 

,,Wo fuhren sie euch denn hin, diese Spazierfahrten?'

„Nur am Ufer lang', sagte ich.

„Soso.' Mein Vater wiegte den Kopf. „Na gut.'

Den Geldschein schoben wir unter Stepans Tur. Wenn er ihn fand, wurde er Augen machen.

Fast einen Monat blieb er in seinen vier Wanden. Wir feierten schon unseren Sieg. Gleichzeitig taten wir alles, um ihm nicht wieder uber den Weg zu laufen.

Ende Juli sahen wir sein Boot auf dem Jenissej. Aber wir fuhren jetzt fur die Genossenschaft das Heu von den entfernteren Wiesen ein. Daher ging es uns wie den Erwachsenen. Wir hatten keine Zeit.

Als wir eines Tages eine neue Fuhre holen wollten und an dem gro?en Graben voruberruderten, hatte Sjowka einen Einfall. „Wei?t du, wollen wir nicht mal schnell an der Stelle nachsehn, wo wir ihn das erstemal getroffen haben?'

Da vom Jenissej ein kalter Wind landeinwarts strich, war es mit den Mucken nicht so schlimm. Wir suchten den alten Pfad und fanden ihn nicht. Nach langem fruchtlosem Umherirren stie?en wir auf die vertraute Wiese und sahen sofort, da? wieder Netze aufgespannt waren. Funkelnagelneue Netze! Ich traute meinen Augen kaum. Hatte Stepan wirklich nicht mit uns gerechnet? 

Sjowka zerbrach sich hieruber nicht den Kopf. „Da hast du eine Klinge', sagte er.

Die Wiese kam mir verandert vor.

Dort stand die Laubhutte, und da war auch die Birke, an der Stepan das Gewehr zerschmettert hatte, aber jetzt lag sie auf der Erde, die Wurzeln in die Luft gereckt, und daneben...

Daneben hockte Stepan. 

Er stutzte sich mit den Handen auf, blickte uns gro? an. Seine Beine waren verdreht. 

Da fiel mir ein, da? sein „SIL' heute nicht durchs Dorf gefahren war. Ich wich zuruck.

„Jungs', flehte er, „kommt her, Jungs, ich tue euch nichts.'

Wir traten naher und begriffen, was geschehen war. Die sturzende Buke hatte ihm beide Beine zerschmettert. Stepan war ein kraftiger Mensch. Er hatte den schweren Stamm beiseite geschoben, aber gehen konnte er nicht.

In dieser Minute tat er mir leid. Ich verzieh ihm alles. Auf Sjowkas Gesicht las ich kein Mitleid. Dennoch war er der erste, der Stepan unter die Arme griff. Einen schweren Mann durchs Dickicht zu schleifen ist keine Kleinigkeit. Die Weidemuten waren biegsam wie Stahlfedern. Sie schlugen uns ins Gesicht und Stepan um die Beine. Kein Laut kam uber seine Lippen. Er schlo? nur bisweilen die Augen und knirschte mit den Zahnen.

Wir legten ihn in unser Boot. Seinen Kahn, den wir vorhin nicht bemerkt hatten, band Sjowka am Heck fest. Wir sahen die nasse, von Haken gespickte Schnur und einen blutigen Sterlet, der den Innenraum des Bootes zur Halfte ausfullte.

Lange Zeit lag Stepan unbeweglich. Wir dachten, er sei bewu?tlos geworden. Als wir die Flu?mitte erreicht hatten, schlug er die Augen auf.

„Sjowka', sagte er, „hor zu, Sjowka, wirf die Leine ins Wasser.'

Sjowka tat, als hatte er nichts gehort. Er ruderte weiter.

„Sjowka, dafur komme ich ins Gefangnis. Horst du, sobald ich kuriert bin, sperren sie mich ein.' 

Sjowka stellte sich taub. 

„Kinder, bei mir im Zimmer findet ihr Geld. Unter dem Fensterbrett. Das Geld fur die Fische, die ich verkauft habe. Nehmt es euch. Ich brauche es nicht. Hier ist der Schlussel.'

Stepan versuchte, sich auf die Seite zu walzen, um an die Gesa?tasche zu kommen. Es gelang ihm nicht.

Sein Kopf lag hilflos an der Bootswand. Er blickte uns an. In dem Gesicht zuckte kein Muskel.

„Boris', ordnete Sjowka an, „wenn wir druben sind, laufst du zur Miliz. Ich gebe auf ihn acht.'

„Auf wen willst du achtgeben? Auf mich? Ich rucke nicht aus. Wirf die Leine ins Wasser, Sjowka. Ich kaufe dir ein Gewehr, ein gutes wie das alte, das ich zerbrochen habe.'

„Nein', sagte Sjowka. 

„Du hast meine Netze zerschnitten.' 

„Allerdings', erwiderte Sjowka.

„Also sind wir quitt, mehr als das. Und da? ich dich geschlagen habe, tut mir leid. Entschuldige.'

Sjowka senkte das Kinn auf die Brust. Er ruderte schneller. Das Ufer war schon nahe. Stepan stemmte die Hande gegen den Boden des Bootes.

Er verzog das Gesicht zu einer Grimasse und sagte: 

„Da? du so sein kannst, hatte ich nicht gedacht. Ich bin verwundet, vielleicht ein Invalide, hilflos, und du willst mich verraten.'

Sjowka lief rot an, lie? die Ruder fahren. 

„Wer hat heimlich gefischt?' rief er. „Wir? Ich bin ein Verrater?'

Er zog Stepans Boot heran und kippte es um. Die Leine fiel klatschend ins Wasser, sank auf den Grund. Der blutende Sterlet, der noch lebte, glitt zappelnd hinterher. Er bewegte matt die Flossen und versuchte, Tiefe zu gewinnen.

„Du bist ein Verrater!' schrie Sjowka. „Du!'

Wir stie?en ans Ufer.

Sjowka sprang aus dem Boot und ging ohne sich umzublicken davon. 

Stepan verlie? unser Dorf an dem Tage, als er aus dem Krankenhaus entlassen wurde. 

Vor mir liegt der Brief meines Vaters. Ich stecke ihn ein und laufe auf die Stra?e. Von einer Telefonzelle aus rufe ich an. Es dauert lange, bis ich den Kommandanten so weit habe, da? er bereit ist, Sjowka aus Zimmer neununddrei?ig, das im dritten Stock liegt, herunterrufen zu lassen.

„Sjowka!' schreie ich in den Horer. „Hurra,

Sjowka, das Haus ist eingesturzt!'

„Bist du schwachsinnig geworden?' fragte Sjowka.

„Oder hast du schon Examen gemacht?'

„Weder noch. Ich mochte nur nach Hause fahren. Kommst du mit?' 

„Im Sommer konnen wir daruber reden', erwiderte Sjowka.

„Dann la? dich wenigstens mal sehen. Ich habe einen interessanten Brief.'

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