Daran merkte Fedja, da? Goga nicht gern an die Zeit erinnert wurde, als er selber einen Dusenjager flog.
„Das wei? ich nicht', wiederholte der Flieger. „Es hangt nicht allein von uns ab. Verstehst du?'
„Ja.'
In Wahrheit verstand Fedja vieles nicht. Beispielsweise war ihm unbegreiflich, da? Goga mit seinen ausladenden Schultern, die unter der Lederjacke besonders wuchtig wirkten, nicht kerngesund sein sollte. Aber er war von der Luftwaffe gekommen und hatte dort einen Dusenjager geflogen. Jetzt beforderte er Postsacke sowie stille, angstlich blickende Fluggaste, die gekunstelt, verzerrt lachelten. Er traumte davon, zu seinem Jagdgeschwader zuruckzukehren. Wie es hie?, uberkam ihn, wenn er allein flog und sich unbeobachtet fuhlte, gelegentlich die Sehnsucht nach einem Dusenflugzeug. Dann raste er nur so uber die Taiga hin, machte Jagd auf Adler, stie? im Sturzflug nach unten, schuttelte der Maschine die Seele aus dem Leib. Die Passagiere behaupteten, da? er sie wahrend des Fluges in dem Spiegel uber seinem Kopf beobachtete und ratselhaft lachelte. Wenn sie dieses Lacheln sahen, erstarrten sie vor Angst. Die Geruchte uber Gogas Kunststuckchen waren auch ihnen zu Ohren gekommen. Aber der Pilot ging mit der Maschine um, als ware sie keine stabile „Schawruschka', sondern ein Kinderwagen. Dennoch wurden die Fluggaste beim Verlassen der Kabine das Gefuhl nicht los, da? sie nur durch ein Wunder einer todlichen Gefahr entronnen waren. Zum Abschied schuttelten sie Goga verdachtig lange die Pranke.
Fedja wu?te das alles. Betont rauh, um seinen Worten einen uberzeugenden Klang zu verleihen, sprach er in die Dunkelheit: „Sie werden schon wieder zu den Dusenjagern kommen, nur das Rauchen mussen Sie lassen, das ist schadlich.'
„Auch gut. Machen wir Schlu? damit.' Die Kippe landete im Aschenbecher.
„Schlafen wir?'
„Ja.'
Wenige Minuten spater hob Fedja den Kopf aus dem Kissen. Er fragte: „Goga, ist es wahr, da? Sie Adler jagen?'
„Rate mal.'
„Ich wei? nicht. Geht das uberhaupt?' „Nein, es geht nicht.'
„Ist also nur ein Gerucht, nicht?'
„Ich schlafe schon', erwiderte Goga.
Goga war sehr oft unterwegs. Er flog in die entferntesten Gebiete, auch zu den Flo?stutzpunkten am Oberlauf der Flusse. Dort gab es fur die gro?e „Schawruschka' wenig geeignete Landeplatze. Goga mu?te auf einem steinigen Fleckchen niedergehen, auf einem gewundenen Flu?chen, einem faulig stinkenden See, immer unter der Gefahr, gegen einen im Wasser verborgenen Ast zu rennen.
Die ubrigen Piloten der Abteilung beflogen die gleiche Strecke. Sie schimpften auf die niedrig treibenden Wolken, auf den Nordwind, der sie von der Seite bedrangte, auf die abgesunkenen Baumstamme, die sie aus dem Wasser bedrohten, auf die Pferde, die meist dort weideten, wo es fur eine Landung am gunstigsten war.
Trotzdem ware keinem eingefallen, seinen Beruf an den Nagel zu hangen. Sie sagten, in unserer Zeit ist das Fliegen eine harmlose Sache. Fu?ganger sterben mehr als Piloten. Den Gedanken, da? sie von einem Flug womoglich nicht zuruckkehren konnten, wiesen die Manner weit von sich. Aber wie schnell gab es einen Motorschaden. Und mu?te man nicht immer mit einem dummen Zufall rechnen? Wennschon. Dann plumste man eben in die Taiga. Die anderen wurden einen suchen und finden.
Nur Fedja empfand beim Anblick der mattgrun schimmernden Flugel von Gogas „Schawruschka' neuerdings Unbehagen. Er schlenderte ziellos uber das Gelande des Flughafens und argerte den Dispatcher mit seinen Fragen.
Einmal gab es ernsthaften Anla? zur Aufregung.
Ende Juli waren einer Gruppe von Topographen aus irgendeinem Grunde die Lebensmittel ausgegangen. Ununterbrochen schickten die hungernden Menschen Hilferufe in den Ather. Da keine standige Funkverbindung mit ihnen bestand, vergingen zwei Tage, bis der Flughafen ihre Signale auffing.
Drei Flugzeuge wurden ausgeschickt, um die Topographen zu suchen.
Ein kalter Wind fegte uber die Erde, zerrte an den Tragflachen und hullte die Taiga in einen Regenschleier. Alles war grau in grau. Zwei Piloten kehrten am Abend zuruck. Ihre Tanks waren leer, die Benzinvorrate bis auf die letzten Tropfen verbraucht. Von Goga fehlte jede Nachricht.
Fedja lief an das abschussige Ufer des Jenissej. Er starrte lange in den dichten, truben Nebel, der uber dem Flu? hing.
Als das Flugzeug auftauchte, war es schon finster. Beangstigend niedrig schwebte die Maschine heran. Der Motor arbeitete nicht mehr. Fedja horte das feine Pfeifen der Luft in der Verspannung. Ohne einen Zentimeter zu verschenken, segelte die „Schawruschka' uber das Hoteldach hinweg und landete in den Gemusefeldern.
So etwas brachte nur Goga fertig. Als die Tanks leer wurden, war er schnell hoher gestiegen und hatte trotz der beginnenden Dunkelheit mit sicherem Blick das einzige Stuck Erde entdeckt, auf dem er landen konnte. Bis zum Rollfeld des Flughafens ware die Maschine nicht mehr gekommen.
Goga hatte als einziger die Topographen ausfindig gemacht und Lebensmittel abgeworfen, als einziger jedoch auch gegen die Anweisungen versto?en. Was sind Anweisungen, wenn man wei?, da? in der Nahe Menschen Borkensuppe kochen, um nicht zu verhungern? Vom Kommandanten gab es einen tuchtigen Ruffel, aber Goga war an jenem Abend glucklich.
Im Morgengrauen wurde die Maschine von einem Trecker aufs Flugfeld gezogen. Sie war unbeschadigt.
„Wenn Sie nun Bruch gemacht hatten', meinte Fedja.
„Das war unmoglich', erwiderte Goga, „mit dieser Maschine macht man keinen Bruch. Sie landet, wo du willst.'
Fedja schuttelte den Kopf. „Mein Vater war auch Flieger und ist umgekommen.' Zum erstemal wurde dem Jungen mit erschreckender Deutlichkeit klar, da? Goga ein ahnliches Schicksal erleiden konnte.
Goga ruckte auf Fedjas Schultern vorsichtig den Anorak zurecht.
„Eine gute Kajakjacke', meinte er anerkennend. „Die mu?t du in Ehren halten. Sie ist wirklich auserlesen.'
„Ich hab sie vom Vater.' „Dacht ich mir schon.'
Goga schwieg eine Weile, nahm die Mutze ab, legte sie aufs Gras.
„Dein Vater ist im Krieg gefallen. Jetzt ist Frieden.'
„Trotzdem. Man kann als Flieger umkommen.'
Wieder strichen Gogas Finger auf Fedjas Jacke die nicht vorhandenen Falten glatt. Mit abgewandtem Gesicht fragte er: „Willst du nicht bei mir bleiben?'
„Ich?'
„Nun ja.'
Unglaubig starrte Fedja den Flieger an.
„Meinen Sie das im Ernst?'
„Mit solchen Dingen spa?e ich nicht.'
Das war alles, was Goga sagte, aber von diesem Tag an herrschte zwischen ihnen ein stillschweigendes Einvernehmen, als ware bereits alles entschieden und man mu?te nur noch den Tag festsetzen, an dem Fedja das Haus der Tante fur immer verlassen wurde. Auf seinem Weg durch die staubigen Stra?en betrachtete er aufmerksam die Hauser, die Aushangeschilder der Laden und alles andere, als wolle er es sich fur immer einpragen.
Der August ging ins Land. Morgens hinterlie?en die Rader der Tankwagen tiefe Spuren im taufeuchten Gras. Aus den Schluchten und Niederungen kroch die Kalte hervor, die sich in der Nacht angesammelt hatte. Am kuhlen Augusthimmel erklang deutlich und weithin vernehmbar das Brummen der Motoren. Schon langst hatte Goga das Versprechen abgegeben, Fedja einmal mitzunehmen. Vorerst machte ihnen die Witterung einen Strich durch die Rechnung. An den wenigen Tagen, wo das Wetter einigerma?en gunstig war, bewaltigte die Abteilung mit Muhe und Not die vorgesehenen Transportfluge. Fedja hatte schon alle Hoffnung verloren. Eines Abends erklarte Goga uberraschend, da? sie am nachsten Morgen gemeinsam fliegen wurden. Es war ein ruhiger, sonniger Tag. Die