Gepackraum lag ein Junge, zusammengerollt, das Gesicht rot vor Anstrengung. Uber eine Minute hatte er den Atem angehalten.
„Hor mal, Fedja, warum laufst du fort und versteckst dich? Bist du ein Strauchdieb?'
„Selber einer', knurrte der Junge und heulte los.
Goga packte ihn und hob ihn aus der Maschine.
„Du tauschst mich nicht', sagte er streng. „Dein Wort hast du gebrochen. Vielleicht heulst du auch absichtlich.'
Fedja wischte die Tranen vom Gesicht.
„Ich hab mein Wort nicht gebrochen', entgegnete er trotzig.
„Weshalb bis du fortgerannt?' Fedja wandte sich ab.
„Na gut', sagte der Flieger. „Komm mit. Zeige mir, wo du wohnst. Aber la? es dir nicht noch mal einfallen, auszurucken. Diesmal lauf ich hinterher.'
Sie uberquerten das Flugfeld und stie?en auf die Stra?e, die in die Siedlung fuhrte. Fedja ging in der Wegmitte. Er schlurfte und wirbelte Staub auf.
„Heb die Beine', sagte Goga. „Du bist ein Mensch und kein Tankwagen.'
Fedja erwiderte nichts, aber er hob die Beine.
„In den Gepackraum zu kriechen, war dumm', erklarte der Flieger. „Der wird vor jedem Start geoffnet. Man mu? ja die Klemmen schlie?en. Leuchtet dir das nicht ein?'
Fedja ruckte ein paar Zentimeter ab. Er fing wieder zu scharren an.
Der Flieger zog die Stirn in Falten.
„Wozu gebe ich mich eigentlich mit dir ab? Am besten, ich bringe dich zur Miliz.'
„Bitte sehr', entgegnete Fedja laut und gereizt.
„Warum tun Sie's nicht?'
„Weil ich auch mal so war die du.'
„Wie ich Strauchdieb, ja?' vergewisserte sich Fedja mit heller Stimme.
„Nicht Strauchdieb — Wirrkopf.'
Schweigend schritten sie durch die Siedlung. Bald war das andere Ende erreicht.
„Wo wohnst du?'
„Sind schon vorbei.'
„Warum hast du's mir nicht gezeigt?'
„Vergessen.'
„Schon. Zuruck.' Der Flieger war die Ruhe selbst. „Streng dich an, damit du's nicht wieder vergi?t.' Zwanzig Minuten spater standen sie abermals auf der Stra?e, die zum Flughafen fuhrte. „Na?' fragte Goga.
„Wieder vergessen', erwiderte Fedja ohne Zogern. Sein Gesicht zeigte keine Spur von Verlegenheit und kein bi?chen Angst. Es verriet nichts als Eigensinn. Der Flieger trat einen Schritt zuruck. Der Junge horte sein lautes Lachen.
„Du bist ein Dickkopf', sagte der Flieger, „aber mit mir hast du Pech, ich bin auch einer.'
„Wissen Sie nicht, wo dieser Junge wohnt?' wandte er sich an eine vorubergehende Frau. Sie ri? die Augen auf und starrte Fedja neugierig an.
„Allerdings wei? ich das. Hat wohl wieder was angestellt? Sehen Sie das grune Dach dort druben? Daneben ist es.'
„Schonen Dank', sagte der Flieger.
Die Frau war sehr entgegenkommend. „Ich gehe lieber mit', erbot sie sich bereitwillig. „Was hat er angestellt?'
Der Flieger schuttelte den Kopf. „Das ist nicht notig. Ich finde den Weg jetzt allein. Schonen Dank nochmals.'
„Aber es macht mir wirklich nichts aus', beteuerte die Frau, „die Zeit nehme ich mir. Ich begleite Sie bis zur Haustur. Der Schlingel hat den Flughafen unsicher gemacht, was?'
Goga schielte Fedja von der Seite an.
„Das kann man wohl sagen', entgegnete er mit ernster Miene. „Er hat ein Haus angezundet.'
„Das ist ja ...' Die Frau stohnte entsetzt.
„Allerdings', bestatigte der Flieger. „Ein Steingebaude. Stellen Sie sich vor, mit einem Streichholz.'
Fedja wandte das Gesicht ab und prustete los. Der Flieger versetzte ihm einen leichten Schlag in den Rucken. Sie gingen los. In der Ferne schimmerte das grune Dach.
„So ein Schwatzer', geiferte die Frau, „kann seine Zunge nicht im Zaum halten.'
Die Tante sa? auf dem Bettrand, beide Hande gegen die Schlafen gepre?t. „Ein Dieb', kreischte sie, „ein Dieb.' Ihr Korper schwankte hin und her. „Der Sohn meiner Schwester entwickelt sich zu einem Dieb.' Es klang beinahe wie Gesang.
Auf dem Tisch lagen zusammengerollte Geldscheine. Als die Tante verstummte, horte man das Rascheln des Papiers, das geglattet wurde. Das langgezogene
„Iiii ...' schien sich zwischen den Maschen des Spinnengewebes in der Ecke verfangen zu haben und darin unentwegt weiterzuschwingen. „
Ich habe ihn gekleidet, ernahrt. Gro?er Gott! Ihm ein Nest gegeben, in mein eigenes Haus genommen. Gro?er Gott!'
Der Flieger stand in der Tur. Er blickte unverwandt die Tante an.
„Horen Sie', sagte er endlich, „der Junge hat den ganzen Tag ohne Essen auf dem Flugplatz zugebracht.'
„Und ich?' jammerte die Tante. „Habe ich vielleicht einen Bissen runtergekriegt? Wen kummert das?' „Naturlich hast du heute morgen gefruhstuckt', rief Fedja dazwischen. „Au?erdem gehort das Geld nicht dir. Es ist fur meinen Vater.'
„Schweige doch, du Dieb', sagte die Tante, „du undankbarer Dieb!'
Fedja rannte aus dem Zimmer. Krachend flog hinter ihm die Tur ins Schlo?.
„Horen Sie, so geht es doch auch nicht', lie? sich Goga vernehmen.
Die Tante funkelte ihn an. „Gehen Sie, Flieger. Ich habe Sie nicht hergebeten. Der Herr behute Sie.'
Dem Flieger wurde schwul. Er buckte sich, um nicht an den Balken zu sto?en, und schritt hinaus. Am liebsten hatte auch er die Tur zugeworfen.
Fedja stand auf dem Hof.
„Wohnst du schon lange hier?'
„Zwei Jahre drei Monate.'
„Das ist nicht wenig', meinte der Flieger nachdenklich. „Komm, begleite mich ein Stuck.'
„Warum?'
„Darum. Wir mussen uns bekannt machen. Wenn du wieder zum Flughafen gehst, bist du nicht mehr fremd dort. Hast du Freunde?'
„Ja. Aber nur auf der Stra?e. Sie durfen nicht ins Haus.'
„Hm. Komm.'
Fedja trat unschlussig auf der Stelle.
„Aber mein Ehrenwort habe ich gar nicht gegeben', erklarte er. „Beim Sprechen hab ich Ihnen heimlich einen Vogel gezeigt.'
„Warum?'
„Weil es dann nicht gilt.'
Der Vater fiel 1945 bei einem Luftkampf uber der tschechoslowakischen Stadt Bratislava, zwei Monate ehe der Junge geboren wurde. Vor zwei Jahren kehrte Fedjas Mutter, von Beruf Forstingenieur, aus der Taiga nicht zuruck. Fedja blieb bei der Tante, die zwei Wochen lang um die verschollene Schwester trauerte und weinte. Ihre Tranen wurden stets von einem ruhrseligen Wortschwall begleitet.
„Sie ist jetzt alle Sorgen los', jammerte die Tante.
„Und ich? Womit habe ich das verdient, womit?'
Fedja konnte den Anblick des vom Weinen gedunsenen Gesichts nicht mehr ertragen. Es schnurte ihm die