Luft ab, wenn er sah, wie sich die Tante nach jeder Mahlzeit eifrig bekreuzigte, dabei verstohlene Blicke durchs Fenster warf und gleich darauf kreischend und rot vor Anstrengung auf die Stra?e sturzte, um die vor dem Haus spielenden Kinder anzuschreien. Unertraglich waren fur Fedja auch die standigen Gesprache mit dem lieben Gott, den sie offenbar ebenso inbrunstig bedauerte wie sich selber. Dessenungeachtet klagte sie unentwegt uber ihr schweres Los und heulte ihm wegen des mi?ratenen Sohnes ihrer toten Schwester die Ohren voll.
Gott hing in einer Ecke an der Wand. Er hatte mude Augen und machte ein Gesicht, als qualten ihn Tantes endlose Tiraden. Aus seinem Winkel blickte er traurig die Tante an, lauschte ihrem Geflenn und schien jederzeit bereit zu sein, selber den Mund aufzurei?en und zu schreien: „Gro?er Gott, wann hort das endlich auf!'
Wenn Tante das Geschirr abtrocknete oder Fedjas Hemden wusch, sah man ihr deutlich an, was fur eine leidgeprufte Frau sie war. Zugleich aber — und das war merkwurdig — spiegelte sich auf ihrem Gesicht eine stille innere Freude. Es bereitete ihr Genugtuung, da? sie sich schinden mu?te und da? alle, Gott und Fedja eingeschlossen, Zeuge waren, wie sauer es ihr wurde. Sie litt, aber sie litt gern und mit Talent. „Vielleicht ist sie uberhaupt nicht meine Tante?' uberlegte Fedja laut. „Mutter war nicht so. Sie hatte immer freundliche Augen und hie? auch anders.'
Auf halbem Wege zum Flugplatz legten sie eine Rast ein, setzten sich an den Stra?engraben und lie?en die Beine baumeln.
,,Bist ein komischer Kerl', meinte der Flieger, „deine Mutter hatte naturlich den Namen deines Vaters angenommen.'
,Ja?' wunderte sich Fedja.
„Anders nicht.'
Fedja zog frostelnd den Kopf zwischen die Schultern und schauderte zusammen. Es war still geworden, aber in dieser Stille schwang ein fernes, kaum horbares Summen. Das kam aus der Luft. In gro?er Hohe jagten vier Flugzeuge mit keck zuruckgelegten Flugeln uber die Siedlung. Sie sturzten und stiegen, eine rosige Schaumspur hinterlassend, steil wieder auf.
„Warum landen sie nicht?'
„Es sind Militarflugzeuge. Wei?t du, in welcher Hohe sie fliegen? Dort oben ist der Himmel tiefblau, fast schwarz. Auch am Tage leuchten die Sterne.'
„Woher wissen Sie das?'
Der Flieger stand auf. Er klopfte den Staub aus der Hose. „Ich wei? es eben. Komm zum Flugplatz. Ich bringe dir das Fliegen bei. Du fragst nach Goga Sisow. Ist das ein Vorschlag?'
„Und was fur einer ', antwortete Fedja erfreut. „Ich komme.'
Uberall durfte Fedja nun hingehen, sogar zum Funker. In den Reparaturwerkstatten war er zu finden, neben dem Fahrer der Zugmaschine, im Unter-richtsraum, wo Propeller und Tafeln mit Zylinderschnitten an den Wanden hingen.
Am schonsten waren freilich die Fluge mit Goga. Fedja kauerte auf dem Pilotensitz, Goga sa? als Passagier an seiner rechten Seite.
Fedja pre?te den Steuerknuppel in den Fausten, die Fu?e auf den Hebeln. Er horte die leisen Kommandos des Fliegers.
„Links anziehn!'
Mit gleichma?igem Druck bewegte er den Knuppel seitwarts, die Fu?e auf den Hebeln erstarrten. Fedja hatte es sich fest eingepragt: Hohen- und Querruder werden durch den Steuerknuppel bedient, die Seitenruder durch die Fu?hebel.
„Halt, Rechtskurve und gleichzeitig hochziehen — rechter Fu?hebel — Steuerknuppel an den Korper, leichte Rechtsdrehung — noch starker an den Korper drucken.'
Schon, dachte Fedja, sehr schon, ja, ich kann was. Er beobachtete Goga aus den Augenwinkeln.
Goga schuttelte mi?billigend den Kopf. „Du bringst die Maschine zum Trudeln', schimpfte er.
Trudeln bedeutet, das Flugzeug dreht sich wie ein Kreisel, die Erde kommt auf den Piloten zugerast. Mit beangstigender Geschwindigkeit verringert sich die Flughohe.
Der linke Fu?hebel war bis zum au?ersten durchgedruckt. Fedja hatte kein Gefuhl mehr dafur, wie er den Knuppel hielt: dicht an den Korper oder weit von sich ab? Halt, mu?te er nicht so drucken? Sicher, jetzt wurde es richtig sein. Na? Abermals ein Seitenblick nach rechts.
„In welcher Hohe befanden wir uns?'
Fedja merkte, da? etwas nicht stimmte, und legte auf alle Falle was zu. „Tausend Meter.'
„Irrtum.' Goga schuttelte den Kopf. „Die Flughohe betrug zweihundert Meter. Du bist ein toter Mann.'
„Mit Ihren Kommandos machen Sie mich kribbelig', versuchte sich Fedja zu rechtfertigen. „Allein geht es bestimmt besser.'
„Schon, allein. Fang an.'
Eine knappe Bewegung der Hand auf dem Schaltbrett. Starter. Eins — zwei. Steuer anziehen, noch starker. Das ging ja! Goga hatte aufgehort, die Stirn zu runzeln. Also war es in Ordnung. Wolken segelten uber den Flughafen. Wenn Fedja den Landeplatz und die Flugzeuge darauf nicht sahe, konnte er meinen, die „Schawruschka' lose sich tatsachlich von der Erde und erhebe sich in die Luft. Diesmal wurde es ein ruhiger Horizontalf lug, ganz ohne Trudeln. Jeder Griff sa?, Fedja war die Sicherheit selbst. Mit leichtem Wiegen der Fu?hebel und des Steuerknuppels brachte er die Maschine in die Waagerechte.
Goga lachte. „Wo sind wir?' Fedja war jetzt nicht aus der Ruhe zu bringen. Gelassen beantwortete er samtliche Fragen.
„Was fur Wind haben wir?'
„Sudwind.'
Das bedeutete: Sie flogen nach Suden. Funf Minuten verstrichen.
„Unter uns liegt Kangotowo.'
Goga lachte laut auf. Dabei zeigte er fast alle seine Zahne.
Ich wei? nicht, was er daran lacherlich findet, dachte Fedja.
Abermals nach funf Minuten: „Wo sind wir?' „Unter uns liegt Iskup.'
Goga erhob sich wortlos, stutzte die Hande auf den Rand des Flugzeugs und stand mit einem Satz drau?en. Das war, gelinde gesagt, eine Schweinerei. In der „Schawruschka' fliegt man ohne Fallschirm.
Fedja sprang hoch, rekelte sich. Vom langen Sitzen schmerzte der Rucken. „Sie sind ein toter Mann', rief er argerlich. „Die Flughohe betrug zweihundert Meter. Sie liegen zerschmettert am Boden.'
Statt zu antworten, zeigte Goga auf den Griff der Bremse. Sie war bis zum au?ersten angezogen. Keinen Zentimeter hatten sich die Rader des Fahrgestells gedreht. Das Flugzeug ware nicht aufgestiegen, allenfalls unter angestrengtem Heulen ein Stuck uber die Startbahn gekrochen. Fedja wurde rot.
„Feierabend', rief Goga, „gehen wir in die Kantine essen.'
Niedergeschlagen trottete Fedja hinter Goga drein.
Bremse. Sie war bis zum au?ersten angezogen. Keinen Zentimeter hatten sich die Rader des Fahrgestells gedreht. Das Flugzeug ware nicht aufgestiegen, allenfalls unter angestrengtem Heulen ein Stuck uber die Startbahn gekrochen. Fedja wurde rot.
„Feierabend', rief Goga, „gehen wir in die Kantine essen.'
Niedergeschlagen trottete Fedja hinter Goga drein.
Fedjas Bett stand neben Gogas. Am Abend warf sich der Junge noch lange auf dem quietschenden Gestell hin und her. Neuerdings ubernachtete er haufig bei den Fliegern. Der Tante war es recht. Sie sparte Geld.
Fedja dachte an seine heutigen Mi?erfolge. Er seufzte.
„Nun beruhige dich endlich', sagte Goga, „du warst doch gar nicht aufgestiegen.'
„Aber beim erstenmal ware ich abgetrudelt.'
Goga gab es zu. „Stimmt, das la?t sich nicht bestreiten.'
„Ob ich schnell fliegen lernen wurde?'
„Ich glaube schon. Aber damit hat's keine Eile. Mach man erst die Schule fertig.'
„Ob ich zu den Dusenfliegern komme?'
„Das wei? ich auch nicht', erwiderte Goga. Mehrmals, in kurzen Abstanden, glomm seine Zigarette auf.