zuruck. Goga nahm eine Binde heraus, legte Fedja einen breiten Verband um die Stirn. Die Wunde horte zu bluten auf.

„Jetzt die Plane aus dem Gepackraum. Hilf mir beim Aufstehen.' 

Fedja setzte sich hin. Goga schlang ihm die Arme um den Hals. Schwankend rappelten sich beide auf die Fu?e. Fedja drohnte der Schadel, aber es entging ihm nicht, da? sich Goga nur unter Aufbietung aller Kraft weiterschleppte. 

„Warum kannst du nicht allein laufen?' fragte er besorgt. 

„In der Brust stimmt was nicht. Scheinen die Rippen zu sein.' 

Mit vereinten Kraften zogen sie die Plane heraus und breiteten sie vor der Fichte aus, gegen deren Stamm Goga geschleudert worden war. 

Dort verbrachten sie die Nacht. Als es tagte, horten sie leises Motorengerausch, das bald wieder verstummte.

„Hier finden sie uns nicht', meinte Goga. „Wir sind rund drei?ig Kilometer von der Flugstrecke abgekommen. Die Maschine steckt mitten im Tannendickicht. Von oben ist sie nicht zu sehen. Verstehst du, Fedja?'

„Ja.'

„Kannst du laufen?'

„Gleich.' Fedja stand auf. Vor seinen Augen tanzte und flimmerte es. „Mein Kopf ist wie gespalten. Ich will gehen und kann nicht.'

Goga blickte Fedja gerade in die Augen. „Das ist alles zum Verrucktwerden. Wenn ich allein war, habe ich den Gansen haufig einen kleinen Schreck eingejagt, aber es ware unmoglich gewesen, eine zu rammen, auch wenn ich gewollt hatte. Sie sind immer schon ausgewichen. Nur dieser idiotische Kerl gestern mu?te gegen den Propeller fliegen und ihn kaputt machen. Versteh mich nicht falsch, mein Kleiner. Ich will mich nicht herausreden. Wenn wir zuruckkommen, habe ich nichts zu lachen.'

„Von mir erfahrt keiner was', versicherte Fedja.

„Schonen Dank', sagte Goga langsam, „schonen Dank, Fedja. Ich werde selber hart sein gegen mich. Aber jetzt mu? ich erst mal fort von dir. Wenn ich auf die Beine komme, schaffe ich es bestimmt. Ich wul dich nicht im Stich lassen, verstehst du. Es ist einfach so, da? sie uns hier niemals finden wurden. Bis zum Flu? sind es mindestens zwanzig Kilometer. Sie wurden uberhaupt nicht auf den Gedanken kommen, uns auf diesem Abschnitt zu suchen. Du mu?t mir nur ein wenig behilflich sein.'

Der Junge stutzte die Unterarme auf den Boden. Der Flieger stemmte sich mit der ganzen Last seines Korpers gegen den schmalen Rucken, kam mit einer letzten, verzweifelten Anstrengung auf die Fu?e und stand schwankend vor Fedja, der sich rasch wieder hinsetzen mu?te, weil ihn die Krafte verlie?en.

Goga warf zwei Tafeln Schokolade auf die Plane. „Das ist alles, was wir haben. Unsere eiserne Ration. Hier hast du eine Leuchtpistole. Sie ist geladen. Wenn du einen Motor horst, schie?t du in die Luft. Die Schokolade mu?t du dir einteilen. Sieh zu, da? sie fur zwei Tage reicht. Nun wickle dich in die Plane. Es wird kalt. Ich kann dir nicht helfen, sonst komme ich nicht wieder hoch.'

Er lie? die Pistole fallen und warf drei dicke Hulsen dazu. Das waren Leuchtpatronen.

Fedja hatte Muhe, den Sinn der Worte zu erfassen. Er litt an rasendem Kopfweh. Vor seinen Augen verschwamm alles. Als er den Kopf hob, erblickte er durch dichten Nebel die hunenhafte Gestalt des Fliegers, der merkwurdig zitternd und schwankend hinter den Baumen verschwand.

Fedja sa? reglos auf der Plane. Die geringste Bewegung verursachte rei?ende Schmerzen. In seinem Gehirn war es leer. Er dachte weder an Goga noch an sich, noch daran, ob man ihn hier finden wurde oder nicht. Funf Meter von der Fichte entfernt lag die zertrummerte „Schawruschka'. Der eine Flugel hatte sich in die Erde gewuhlt. Die tote Maschine gehorte der Taiga. Sie schien ein Teil von ihr geworden zu sein. Gleichmutig betrachtete der Junge das libellenahnliche Profil. Auch da? sich der eine Schwimmer in einen Ameisenhugel gebohrt hatte, lie? ihn kalt. Zu essen verspurte er keine Lust. Neben ihm lag die Schokolade. Ameisen krochen daruber. Er hatte eine Hand ausstrecken mussen, um die Tafeln in die Tasche zu stecken. Es war ihm zuviel.

Alles war ihm zuviel. Gegen Abend horte er wieder Motorengerausch. Es kam naher und schien bald uber seinem Kopf zu schweben. Er hob die Leuchtpistole. Eine Feuerkugel raste in die Luft. Das Flugzeug entfernte sich. Das Brummen wurde schwacher. Nacheinander stopfte Fedja zwei Patronen in den Lauf und jagte die Raketen der davonfliegenden Maschine nach. Der Pilot bemerkte es nicht.

Der Junge wickelte sich fester in die Plane. An Schlaf war nicht zu denken. Bis zum Morgen hockte er vor dem Stamm der Fichte und lauschte auf jedes Gerausch, das aus der Dunkelheit an sein Ohr schlug. Angst hatte er nicht. Ihm war alles einerlei.

Als die Nacht zu Ende ging, fielen Tautropfen auf die Plane. Wenn sich Fedja bewegte, kamen die Tropfen ins Rollen, flossen zusammen und rannen herab. In den Falten bildeten sich kleine Lachen. Mit beiden Handen packte Fedja die Plane und zog die Falten an den Mund. Erst jetzt wurde ihm bewu?t, da? er schrecklichen Durst hatte.

Dies war der Morgen des dritten Tages.

Spater larmte wieder ein Motor in der Luft.

Der Junge lauschte auf das gedampfte Tacken. In seinem geplagten Kopf machte sich die verschwommene Vorstellung breit, da? er kein Recht habe, auch die letzte Patrone auf gut Gluck in die Luft zu knallen. Der Gedanke fra? sich fest. Alles andere tat Fedja wie im Traum. Er rappelte sich hoch, schwankte mit weichen Knien zum Flugzeug und drehte den Benzinhahn auf. In einem dicken Strahl spritzte der Treibstoff auf die Erde. Fedja stellte sich hinter einen Baum und scho? in die Pfutze, die sich im Nu entzundete. Wie eine Fackel stand die Flamme in der Taiga. Eine Rauchfahne flatterte zum Himmel auf.

Das Rettungskommando, das der Pilot an die Brandstatte gerufen hatte, entdeckte den Jungen funfzig Meter von dem brennenden Flugzeug entfernt im Gras. Als Fedja nach Goga gefragt wurde, konnte er schon nicht mehr sprechen. Er zeigte nur noch mit einer matten Handbewegung die Richtung an, in die sein Freund gegangen war.

Den Flieger fanden sie jenseits des Flusses an einen Baum gelehnt. Verbissen hielt er sich auf den schwachen Beinen, rutschte kraftlos am Stamm herab und richtete sich auf. Er durfte nicht fallen. Dazu hatte er kein Recht. Wieder aufzustehen, ware unmoglich gewesen. Zwanzig Kilometer hatte Goga zuruckgelegt und fur diese Strecke annahernd vierundzwanzig Stunden gebraucht. Durch dichtes, hufthohes Gras war er von Baum zu Baum gewankt, uber modernde Aste gestolpert, hatte kein einziges Mal gewagt, sich hinzulegen oder auch nur zu setzen — aus Furcht, nicht wieder auf die Beine zu kommen. Noch sah er die Leute nicht, die ihn suchten. Er lie? den Baumstamm los und taumelte mit vornubergebeugtem Korper weiter.

Bis zur nachsten Siedlung verblieben zwei Kilometer.

Beide, der Mann und der Junge, wurden mit einem Flugzeug ins Krankenhaus gebracht. Wie sich herausstellte, hatte Fedja eine Gehirnerschutterung. Bei Goga waren vier Rippen gebrochen. Noch in der Nacht verlangte Goga den Arzt zu sprechen.

„Was ist mit dem Jungen?'

„Mussen Sie das wirklich jetzt wissen?' erwiderte der Arzt ungehalten. „Deswegen lassen Sie mich von den Betten meiner Patienten rufen? Sie sollen ruhigliegen und keine Fragen stellen.'

„Ich bitte Sie aber', entgegnete Goga hartnackig, „ich bitte Sie sehr.'

„Er hat eine Gehirnerschutterung.'

„Wie kann man ihm helfen?' „Einzig und allein durch Ruhe.' „Er wird durchkommen?'

„Sehr wahrscheinlich.'

„Und vollig gesund werden?'

„Das ist moglich.'

„Lassen Sie bitte einen Piloten holen.'

„Einen Piloten?' fragte der Arzt erstaunt. „Mitten in der Nacht?'

„Ja. Irgendeinen aus dem Linienverkehr. Sie schlafen im Hotel.'

„Ich bin doch nicht verruckt', entgegnete der Arzt. 

„Ich bitte Sie aber', sagte Goga wieder, „ich bitte Sie sehr.' 

Er erreichte, was er wollte. Kurze Zeit spater kam ein Pilot. 

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